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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

ist. (Dafür spricht auch das hohe Alter, das Hebbels jüngerer, 1889 gestor¬
bener Bruder erreichte, obwohl er dem Schnaps nicht abgeneigt war.) Aber
Ludwig war ein Patriziersohn, Hebbel ein Proletarierkind. Von väterlicher
und mütterlicher Seite entstammte Otto Ludwig (geboren am 12. Februar 1813)
angesehenen Familien, sein Vater war Syndikus der damals hildburghausischeu,
später meiningischen Stadt Eisfeld, seine Mutter eine Tochter der ersten
Kaufmannsfamilie der Stadt; Hebbels (geboren am 18. März 1813) Vater
war ein tagelöhnender Maurer, der nur wenige Jahre ein eignes Häuschen
besaß, dann aber sein Leben in einer der traurigen kleinstädtischen Miet¬
wohnungen jener Zeit verbringe" mußte, die meist nur aus einem niedrigen
Zimmer mit zwei "eingemachten" Bettstellen (Alkoven) und einer Küche be¬
standen, die zugleich Vorflur war, und aus der der Tvrfdunst kaum wich.
Man findet sie einzeln Wohl noch jetzt. Dagegen halte man die Umgebung,
in der Otto Ludwig aufwuchs: das stattliche Vaterhaus, den großen Berg-
garten mit dem prächtigen Gartenhause, das der Lieblingsaufenthalt des jungeu
Dichters wurde, später das Haus des als reich geltenden Oheims, des Kauf¬
manns Otto! Zwar an Sorge fehlte es auch in dem Hause des Syndikus
nicht: der Vater wurde ungerecht angeklagt und verlor eiuen großen Teil
seines Vermögens, er wie seine Frau war kränklich, und als der Vater starb,
war Otto erst zwölf Jahre alt, aber schou soweit gereift, daß er dem Teuern
lange vorher die Todesgedanken vom Gesicht hatte ablesen können. Aber was
will das alles gegen die Jugend Hebbels besagen, der gelegentlich kein Hemd
auf dem Leibe hatte und in der Hauptsache mit Kaffee und Brot großgezogen,
anch von seinem Vater nicht geliebt wurde, jedes Jahr fürchten mußte, zum
Bauer in den Dienst gejagt zu werden, und dann zum Maurerhandwerk ge¬
zwungen werden sollte, der außerdem auch die Stellung des Armen in der
Kleinstadt früh auszukosten hatte und, da er eben eine feinorganisirte Natur
war, viel mehr darunter litt als andre? Als Hebbels Vater starb, konnte der
damals vierzehnjährige Sohn gewissermaßen aufatmen, so sehr ihn auch der
Tod ergriff, so trübselig die Lage im elterlichen Hause war, da man den Sarg
des Ernährers mit den vorhandnen Winterkartoffcln bezahlen mußte. Not hat
Otto Ludwig in seiner Jugend nie kennen gelernt, Hebbel hat stets unter
ihrem Bann gestanden, noch weit über seine Jugend hinaus. Er war freilich
der Lieblingssohn seiner Mutter, aber was konnte die arme Frau mehr für
ihn thun, als ihn vor dem Schlimmsten, eben dem Bauerndieust, bewahren,
der ihn sicher umgebracht Hütte? Otto Ludwig ist stets vou ängstlicher, viel¬
leicht zu ängstlicher Sorgfalt umgeben gewesen. Eine glückliche Kindheit haben
sie freilich beide nicht gehabt; schon früh sind schmerzliche Erfahrungen an sie
herangetreten, und sie haben von ihnen ihrer Natur uach nur zu starke Ein-
drücke empfangen.

Die kleinstädtische Umgebung, in der Hebbel und Ludwig groß wurden,


Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

ist. (Dafür spricht auch das hohe Alter, das Hebbels jüngerer, 1889 gestor¬
bener Bruder erreichte, obwohl er dem Schnaps nicht abgeneigt war.) Aber
Ludwig war ein Patriziersohn, Hebbel ein Proletarierkind. Von väterlicher
und mütterlicher Seite entstammte Otto Ludwig (geboren am 12. Februar 1813)
angesehenen Familien, sein Vater war Syndikus der damals hildburghausischeu,
später meiningischen Stadt Eisfeld, seine Mutter eine Tochter der ersten
Kaufmannsfamilie der Stadt; Hebbels (geboren am 18. März 1813) Vater
war ein tagelöhnender Maurer, der nur wenige Jahre ein eignes Häuschen
besaß, dann aber sein Leben in einer der traurigen kleinstädtischen Miet¬
wohnungen jener Zeit verbringe» mußte, die meist nur aus einem niedrigen
Zimmer mit zwei „eingemachten" Bettstellen (Alkoven) und einer Küche be¬
standen, die zugleich Vorflur war, und aus der der Tvrfdunst kaum wich.
Man findet sie einzeln Wohl noch jetzt. Dagegen halte man die Umgebung,
in der Otto Ludwig aufwuchs: das stattliche Vaterhaus, den großen Berg-
garten mit dem prächtigen Gartenhause, das der Lieblingsaufenthalt des jungeu
Dichters wurde, später das Haus des als reich geltenden Oheims, des Kauf¬
manns Otto! Zwar an Sorge fehlte es auch in dem Hause des Syndikus
nicht: der Vater wurde ungerecht angeklagt und verlor eiuen großen Teil
seines Vermögens, er wie seine Frau war kränklich, und als der Vater starb,
war Otto erst zwölf Jahre alt, aber schou soweit gereift, daß er dem Teuern
lange vorher die Todesgedanken vom Gesicht hatte ablesen können. Aber was
will das alles gegen die Jugend Hebbels besagen, der gelegentlich kein Hemd
auf dem Leibe hatte und in der Hauptsache mit Kaffee und Brot großgezogen,
anch von seinem Vater nicht geliebt wurde, jedes Jahr fürchten mußte, zum
Bauer in den Dienst gejagt zu werden, und dann zum Maurerhandwerk ge¬
zwungen werden sollte, der außerdem auch die Stellung des Armen in der
Kleinstadt früh auszukosten hatte und, da er eben eine feinorganisirte Natur
war, viel mehr darunter litt als andre? Als Hebbels Vater starb, konnte der
damals vierzehnjährige Sohn gewissermaßen aufatmen, so sehr ihn auch der
Tod ergriff, so trübselig die Lage im elterlichen Hause war, da man den Sarg
des Ernährers mit den vorhandnen Winterkartoffcln bezahlen mußte. Not hat
Otto Ludwig in seiner Jugend nie kennen gelernt, Hebbel hat stets unter
ihrem Bann gestanden, noch weit über seine Jugend hinaus. Er war freilich
der Lieblingssohn seiner Mutter, aber was konnte die arme Frau mehr für
ihn thun, als ihn vor dem Schlimmsten, eben dem Bauerndieust, bewahren,
der ihn sicher umgebracht Hütte? Otto Ludwig ist stets vou ängstlicher, viel¬
leicht zu ängstlicher Sorgfalt umgeben gewesen. Eine glückliche Kindheit haben
sie freilich beide nicht gehabt; schon früh sind schmerzliche Erfahrungen an sie
herangetreten, und sie haben von ihnen ihrer Natur uach nur zu starke Ein-
drücke empfangen.

Die kleinstädtische Umgebung, in der Hebbel und Ludwig groß wurden,


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[0045] Friedrich Hebbel und Veto Ludwig ist. (Dafür spricht auch das hohe Alter, das Hebbels jüngerer, 1889 gestor¬ bener Bruder erreichte, obwohl er dem Schnaps nicht abgeneigt war.) Aber Ludwig war ein Patriziersohn, Hebbel ein Proletarierkind. Von väterlicher und mütterlicher Seite entstammte Otto Ludwig (geboren am 12. Februar 1813) angesehenen Familien, sein Vater war Syndikus der damals hildburghausischeu, später meiningischen Stadt Eisfeld, seine Mutter eine Tochter der ersten Kaufmannsfamilie der Stadt; Hebbels (geboren am 18. März 1813) Vater war ein tagelöhnender Maurer, der nur wenige Jahre ein eignes Häuschen besaß, dann aber sein Leben in einer der traurigen kleinstädtischen Miet¬ wohnungen jener Zeit verbringe» mußte, die meist nur aus einem niedrigen Zimmer mit zwei „eingemachten" Bettstellen (Alkoven) und einer Küche be¬ standen, die zugleich Vorflur war, und aus der der Tvrfdunst kaum wich. Man findet sie einzeln Wohl noch jetzt. Dagegen halte man die Umgebung, in der Otto Ludwig aufwuchs: das stattliche Vaterhaus, den großen Berg- garten mit dem prächtigen Gartenhause, das der Lieblingsaufenthalt des jungeu Dichters wurde, später das Haus des als reich geltenden Oheims, des Kauf¬ manns Otto! Zwar an Sorge fehlte es auch in dem Hause des Syndikus nicht: der Vater wurde ungerecht angeklagt und verlor eiuen großen Teil seines Vermögens, er wie seine Frau war kränklich, und als der Vater starb, war Otto erst zwölf Jahre alt, aber schou soweit gereift, daß er dem Teuern lange vorher die Todesgedanken vom Gesicht hatte ablesen können. Aber was will das alles gegen die Jugend Hebbels besagen, der gelegentlich kein Hemd auf dem Leibe hatte und in der Hauptsache mit Kaffee und Brot großgezogen, anch von seinem Vater nicht geliebt wurde, jedes Jahr fürchten mußte, zum Bauer in den Dienst gejagt zu werden, und dann zum Maurerhandwerk ge¬ zwungen werden sollte, der außerdem auch die Stellung des Armen in der Kleinstadt früh auszukosten hatte und, da er eben eine feinorganisirte Natur war, viel mehr darunter litt als andre? Als Hebbels Vater starb, konnte der damals vierzehnjährige Sohn gewissermaßen aufatmen, so sehr ihn auch der Tod ergriff, so trübselig die Lage im elterlichen Hause war, da man den Sarg des Ernährers mit den vorhandnen Winterkartoffcln bezahlen mußte. Not hat Otto Ludwig in seiner Jugend nie kennen gelernt, Hebbel hat stets unter ihrem Bann gestanden, noch weit über seine Jugend hinaus. Er war freilich der Lieblingssohn seiner Mutter, aber was konnte die arme Frau mehr für ihn thun, als ihn vor dem Schlimmsten, eben dem Bauerndieust, bewahren, der ihn sicher umgebracht Hütte? Otto Ludwig ist stets vou ängstlicher, viel¬ leicht zu ängstlicher Sorgfalt umgeben gewesen. Eine glückliche Kindheit haben sie freilich beide nicht gehabt; schon früh sind schmerzliche Erfahrungen an sie herangetreten, und sie haben von ihnen ihrer Natur uach nur zu starke Ein- drücke empfangen. Die kleinstädtische Umgebung, in der Hebbel und Ludwig groß wurden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/45>, abgerufen am 27.07.2024.