Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die große Berliner Unnstausstellimg

gegenüber haben die französischen Künstler ihre Zurückhaltung längst aufgegeben,
weil sie sehr fein zwischen Baiern und Preußen zu unterscheiden wissen. Sie
und die Mehrzahl ihrer Landsleute hoffen noch immer auf eine Zersplitterung
des deutschen Reiches, und darum sind sie höflich gegen die, die ihnen eine
trügerische Fata Morgan" in absehbarer Zukunft als Bundesgenossen gegen
die verhaßten Prussiens vorgaukelt.

An Höflichkeit gegen diese haben es die Franzosen, nachdem sie einmal die
Einladung angenommen hatten, auch nicht fehlen lassen. Beide Künstlergesell¬
schaften haben sogar dafür gesorgt, trotz der Kürze der gegebnen Zeit eine
Art Eliteausstellung zustande zu bringen. Der alten Gesellschaft, die ihre
Ausstellungen in dem Glaspalaste der Champs-Elysves veranstaltet, fehlt
freilich der Glanz der berühmtesten Namen: Laurens, Bonnae, Carolus-Duran,
B. Constant. Nur Bouguereau bringt mit einer Allegorie der Perle, die in
der Gestalt eines jungfräulichen Mädchens den geöffneten Schalen einer
Muschel entsteigt, den Ruhm der alten Schule in Erinnerung. Sie stirbt
aber keineswegs mit den Alten aus. Ihre Anhänger sind nicht minder zahl¬
reich und unternehmungslustig als die Gefolgschaft der Naturalisten, Im¬
pressionisten, Pointillisten, Spiritualisteu, Mystiker u. s. w., die ihr Haupt¬
quartier in dem Ausstellungspalaste des Marsfeldes haben, daneben aber noch
über viele Privatausstellungen von Kunsthändlern, sogenannte Cercles, auf
deutsch "Ringe" verfügen. Auch die Richtung der französischen Malerei großen
Stils hat sich seit fünfzig Jahren in ihrem Inhalt nicht viel geändert. Die
alte Lust an grauenvollen Schilderungen aus allen Perioden der Weltgeschichte
ist heute noch ebenso lebendig wie die Freude an der Darstellung des nackten
menschlichen Körpers in allen, auch in den verwegensten Stellungen und Lagen.
Nur daß alles heute, dem Zuge der Zeit entsprechend, ins Kolossale und
Massenhafte gesteigert wird. Wenn früher ein Bach, eine Quelle, ein Fluß
durch eine, durch vier oder fünf Gestalten nackter Mädchen Versinnlicht wurde,
so wird jetzt ein Massenaufgebot veranstaltet. Ein junger Künstler, Fernand
Le Qnesne, malt einen von hohen Felsen herabstürzenden, mächtige Baum¬
stämme und Steinblöcke mit sich fortwälzenden Wildbach, von dessen Kaskaden
packte Mädchen, die einen mit vollem Behagen, die andern bei heftigem Wider¬
stande mit fortgerissen werden. Hier ist der fromme Glaube der alten Griechen,
die Bäume, Wiesen, Bäche und Flüsse mit Elementargeistern belebten, zum
Spiel einer wilden Phantastik gemacht worden, die am Ende nur darauf hin¬
aus kunst, die Virtuosität des Künstlers in der Darstellung nackter weiblicher
Körper in den gewagtesten Stellungen im hellsten Lichte zu zeigen. Das ist
ihm auch gelungen. Nicht geringer ist diese Virtuosität auf Wcnckers Bilde
einer nackten Jägerin, die sich im Waldesschatten des Wildes harrend an einen
Baum lehnt, auf der Versuchung des heiligen Antonius durch eine nackte
Teufelin von C. Bourgouuier, auf der Jagd der Diana von Axilette, dem


Die große Berliner Unnstausstellimg

gegenüber haben die französischen Künstler ihre Zurückhaltung längst aufgegeben,
weil sie sehr fein zwischen Baiern und Preußen zu unterscheiden wissen. Sie
und die Mehrzahl ihrer Landsleute hoffen noch immer auf eine Zersplitterung
des deutschen Reiches, und darum sind sie höflich gegen die, die ihnen eine
trügerische Fata Morgan« in absehbarer Zukunft als Bundesgenossen gegen
die verhaßten Prussiens vorgaukelt.

An Höflichkeit gegen diese haben es die Franzosen, nachdem sie einmal die
Einladung angenommen hatten, auch nicht fehlen lassen. Beide Künstlergesell¬
schaften haben sogar dafür gesorgt, trotz der Kürze der gegebnen Zeit eine
Art Eliteausstellung zustande zu bringen. Der alten Gesellschaft, die ihre
Ausstellungen in dem Glaspalaste der Champs-Elysves veranstaltet, fehlt
freilich der Glanz der berühmtesten Namen: Laurens, Bonnae, Carolus-Duran,
B. Constant. Nur Bouguereau bringt mit einer Allegorie der Perle, die in
der Gestalt eines jungfräulichen Mädchens den geöffneten Schalen einer
Muschel entsteigt, den Ruhm der alten Schule in Erinnerung. Sie stirbt
aber keineswegs mit den Alten aus. Ihre Anhänger sind nicht minder zahl¬
reich und unternehmungslustig als die Gefolgschaft der Naturalisten, Im¬
pressionisten, Pointillisten, Spiritualisteu, Mystiker u. s. w., die ihr Haupt¬
quartier in dem Ausstellungspalaste des Marsfeldes haben, daneben aber noch
über viele Privatausstellungen von Kunsthändlern, sogenannte Cercles, auf
deutsch „Ringe" verfügen. Auch die Richtung der französischen Malerei großen
Stils hat sich seit fünfzig Jahren in ihrem Inhalt nicht viel geändert. Die
alte Lust an grauenvollen Schilderungen aus allen Perioden der Weltgeschichte
ist heute noch ebenso lebendig wie die Freude an der Darstellung des nackten
menschlichen Körpers in allen, auch in den verwegensten Stellungen und Lagen.
Nur daß alles heute, dem Zuge der Zeit entsprechend, ins Kolossale und
Massenhafte gesteigert wird. Wenn früher ein Bach, eine Quelle, ein Fluß
durch eine, durch vier oder fünf Gestalten nackter Mädchen Versinnlicht wurde,
so wird jetzt ein Massenaufgebot veranstaltet. Ein junger Künstler, Fernand
Le Qnesne, malt einen von hohen Felsen herabstürzenden, mächtige Baum¬
stämme und Steinblöcke mit sich fortwälzenden Wildbach, von dessen Kaskaden
packte Mädchen, die einen mit vollem Behagen, die andern bei heftigem Wider¬
stande mit fortgerissen werden. Hier ist der fromme Glaube der alten Griechen,
die Bäume, Wiesen, Bäche und Flüsse mit Elementargeistern belebten, zum
Spiel einer wilden Phantastik gemacht worden, die am Ende nur darauf hin¬
aus kunst, die Virtuosität des Künstlers in der Darstellung nackter weiblicher
Körper in den gewagtesten Stellungen im hellsten Lichte zu zeigen. Das ist
ihm auch gelungen. Nicht geringer ist diese Virtuosität auf Wcnckers Bilde
einer nackten Jägerin, die sich im Waldesschatten des Wildes harrend an einen
Baum lehnt, auf der Versuchung des heiligen Antonius durch eine nackte
Teufelin von C. Bourgouuier, auf der Jagd der Diana von Axilette, dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220763"/>
          <fw type="header" place="top"> Die große Berliner Unnstausstellimg</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1772" prev="#ID_1771"> gegenüber haben die französischen Künstler ihre Zurückhaltung längst aufgegeben,<lb/>
weil sie sehr fein zwischen Baiern und Preußen zu unterscheiden wissen. Sie<lb/>
und die Mehrzahl ihrer Landsleute hoffen noch immer auf eine Zersplitterung<lb/>
des deutschen Reiches, und darum sind sie höflich gegen die, die ihnen eine<lb/>
trügerische Fata Morgan« in absehbarer Zukunft als Bundesgenossen gegen<lb/>
die verhaßten Prussiens vorgaukelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1773" next="#ID_1774"> An Höflichkeit gegen diese haben es die Franzosen, nachdem sie einmal die<lb/>
Einladung angenommen hatten, auch nicht fehlen lassen. Beide Künstlergesell¬<lb/>
schaften haben sogar dafür gesorgt, trotz der Kürze der gegebnen Zeit eine<lb/>
Art Eliteausstellung zustande zu bringen. Der alten Gesellschaft, die ihre<lb/>
Ausstellungen in dem Glaspalaste der Champs-Elysves veranstaltet, fehlt<lb/>
freilich der Glanz der berühmtesten Namen: Laurens, Bonnae, Carolus-Duran,<lb/>
B. Constant. Nur Bouguereau bringt mit einer Allegorie der Perle, die in<lb/>
der Gestalt eines jungfräulichen Mädchens den geöffneten Schalen einer<lb/>
Muschel entsteigt, den Ruhm der alten Schule in Erinnerung. Sie stirbt<lb/>
aber keineswegs mit den Alten aus. Ihre Anhänger sind nicht minder zahl¬<lb/>
reich und unternehmungslustig als die Gefolgschaft der Naturalisten, Im¬<lb/>
pressionisten, Pointillisten, Spiritualisteu, Mystiker u. s. w., die ihr Haupt¬<lb/>
quartier in dem Ausstellungspalaste des Marsfeldes haben, daneben aber noch<lb/>
über viele Privatausstellungen von Kunsthändlern, sogenannte Cercles, auf<lb/>
deutsch &#x201E;Ringe" verfügen. Auch die Richtung der französischen Malerei großen<lb/>
Stils hat sich seit fünfzig Jahren in ihrem Inhalt nicht viel geändert. Die<lb/>
alte Lust an grauenvollen Schilderungen aus allen Perioden der Weltgeschichte<lb/>
ist heute noch ebenso lebendig wie die Freude an der Darstellung des nackten<lb/>
menschlichen Körpers in allen, auch in den verwegensten Stellungen und Lagen.<lb/>
Nur daß alles heute, dem Zuge der Zeit entsprechend, ins Kolossale und<lb/>
Massenhafte gesteigert wird. Wenn früher ein Bach, eine Quelle, ein Fluß<lb/>
durch eine, durch vier oder fünf Gestalten nackter Mädchen Versinnlicht wurde,<lb/>
so wird jetzt ein Massenaufgebot veranstaltet. Ein junger Künstler, Fernand<lb/>
Le Qnesne, malt einen von hohen Felsen herabstürzenden, mächtige Baum¬<lb/>
stämme und Steinblöcke mit sich fortwälzenden Wildbach, von dessen Kaskaden<lb/>
packte Mädchen, die einen mit vollem Behagen, die andern bei heftigem Wider¬<lb/>
stande mit fortgerissen werden. Hier ist der fromme Glaube der alten Griechen,<lb/>
die Bäume, Wiesen, Bäche und Flüsse mit Elementargeistern belebten, zum<lb/>
Spiel einer wilden Phantastik gemacht worden, die am Ende nur darauf hin¬<lb/>
aus kunst, die Virtuosität des Künstlers in der Darstellung nackter weiblicher<lb/>
Körper in den gewagtesten Stellungen im hellsten Lichte zu zeigen. Das ist<lb/>
ihm auch gelungen. Nicht geringer ist diese Virtuosität auf Wcnckers Bilde<lb/>
einer nackten Jägerin, die sich im Waldesschatten des Wildes harrend an einen<lb/>
Baum lehnt, auf der Versuchung des heiligen Antonius durch eine nackte<lb/>
Teufelin von C. Bourgouuier, auf der Jagd der Diana von Axilette, dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] Die große Berliner Unnstausstellimg gegenüber haben die französischen Künstler ihre Zurückhaltung längst aufgegeben, weil sie sehr fein zwischen Baiern und Preußen zu unterscheiden wissen. Sie und die Mehrzahl ihrer Landsleute hoffen noch immer auf eine Zersplitterung des deutschen Reiches, und darum sind sie höflich gegen die, die ihnen eine trügerische Fata Morgan« in absehbarer Zukunft als Bundesgenossen gegen die verhaßten Prussiens vorgaukelt. An Höflichkeit gegen diese haben es die Franzosen, nachdem sie einmal die Einladung angenommen hatten, auch nicht fehlen lassen. Beide Künstlergesell¬ schaften haben sogar dafür gesorgt, trotz der Kürze der gegebnen Zeit eine Art Eliteausstellung zustande zu bringen. Der alten Gesellschaft, die ihre Ausstellungen in dem Glaspalaste der Champs-Elysves veranstaltet, fehlt freilich der Glanz der berühmtesten Namen: Laurens, Bonnae, Carolus-Duran, B. Constant. Nur Bouguereau bringt mit einer Allegorie der Perle, die in der Gestalt eines jungfräulichen Mädchens den geöffneten Schalen einer Muschel entsteigt, den Ruhm der alten Schule in Erinnerung. Sie stirbt aber keineswegs mit den Alten aus. Ihre Anhänger sind nicht minder zahl¬ reich und unternehmungslustig als die Gefolgschaft der Naturalisten, Im¬ pressionisten, Pointillisten, Spiritualisteu, Mystiker u. s. w., die ihr Haupt¬ quartier in dem Ausstellungspalaste des Marsfeldes haben, daneben aber noch über viele Privatausstellungen von Kunsthändlern, sogenannte Cercles, auf deutsch „Ringe" verfügen. Auch die Richtung der französischen Malerei großen Stils hat sich seit fünfzig Jahren in ihrem Inhalt nicht viel geändert. Die alte Lust an grauenvollen Schilderungen aus allen Perioden der Weltgeschichte ist heute noch ebenso lebendig wie die Freude an der Darstellung des nackten menschlichen Körpers in allen, auch in den verwegensten Stellungen und Lagen. Nur daß alles heute, dem Zuge der Zeit entsprechend, ins Kolossale und Massenhafte gesteigert wird. Wenn früher ein Bach, eine Quelle, ein Fluß durch eine, durch vier oder fünf Gestalten nackter Mädchen Versinnlicht wurde, so wird jetzt ein Massenaufgebot veranstaltet. Ein junger Künstler, Fernand Le Qnesne, malt einen von hohen Felsen herabstürzenden, mächtige Baum¬ stämme und Steinblöcke mit sich fortwälzenden Wildbach, von dessen Kaskaden packte Mädchen, die einen mit vollem Behagen, die andern bei heftigem Wider¬ stande mit fortgerissen werden. Hier ist der fromme Glaube der alten Griechen, die Bäume, Wiesen, Bäche und Flüsse mit Elementargeistern belebten, zum Spiel einer wilden Phantastik gemacht worden, die am Ende nur darauf hin¬ aus kunst, die Virtuosität des Künstlers in der Darstellung nackter weiblicher Körper in den gewagtesten Stellungen im hellsten Lichte zu zeigen. Das ist ihm auch gelungen. Nicht geringer ist diese Virtuosität auf Wcnckers Bilde einer nackten Jägerin, die sich im Waldesschatten des Wildes harrend an einen Baum lehnt, auf der Versuchung des heiligen Antonius durch eine nackte Teufelin von C. Bourgouuier, auf der Jagd der Diana von Axilette, dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/437>, abgerufen am 26.06.2024.