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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

einer Witwe und Wäscherin, und deren Söhnchen zusammen in unsrer ge¬
meinsamen Küchenstube hauste, und waren so wirtschaftlich unabhängig. Auch
unser Geld erhielten wir nicht vom Pfarrer, sondern teils vom Kirchkassen-
rendcmten, teils von einem Dominium (Dezem-Entschädigung), teils von den
höhern Lehranstalten, an denen wir den katholischen Schülern Religionsunter¬
richt gaben, die geringen Accidentien vom Küster. Unsre Arbeit besorgten wir
ganz selbständig. Der Pfarrer that wenig und bald gar nichts mehr; zu
seiner Vertretung bestellte er sich einen dritten Kaplan. Wir machten ihm
jeden Sonnabend um elf Uhr einen Anstandsbesuch und kamen sonst uicht mit
ihm zusammen. Das andre angenehme war die stramme Arbeit. Ich hatte
sehr viel zu predigen, nicht selten zweimal an einem Sonntage, wöchentlich
zwölf, später sechzehn Religionsstunden zu geben, außer dem Kommunion-
uuterricht und einer Stunde in einer auswärtigen Schule, die einem beinahe
den ganzen Morgen raubte. Beichtende gabs auch genug. Dazu kamen die
Leitung eines Gesellen- und eiues Paramentenvereins, längere Vertretungen
ertränkter Lehrer, in der Cholerazeit von 1866 eine Unzahl von Kranken¬
besuchen und Beerdigungen, anderthalbjährige Administration der Pfarrei
-- scho. lag ein Jahr lang krank --, nach seinem Tode eine sehr mühsame,
mit viel Zank und Ärger verbundne Erbschaftsregulirung, da er die Pfarr¬
kirche zur Universalerbin eingesetzt hatte.

So kam das verhängnisvolle Jahr heran. Ein paar weitere Erschüt¬
terungen hatte mein Glaube schon vorher erlitten. Eine alte Dame von aus¬
gezeichnetem Charakter, mit der ich befreundet war, gestand mir einmal in der
Beichte, daß sie nicht um die Hölle glauben könne. Ich suchte ihr den Höllen-
glauben beizubringen, sie schüttelte aber bloß den Kopf und bemerkte kurz: Ich
glaube, daß Gott barmherzig ist. Und ich fühlte, daß mich meine Gründe
selber nicht überzeugten. Bald war ich in diesem Punkte soweit, daß es mir
als ein Rätsel erschien, wie Männer von tiefer Einsicht und edelm Charakter,
Augustinus z. B., eine so scheußliche Lehre hätten annehmen und verkündigen
können. Ich fand zwei Erklärungsgründe, die aber unser heutiges Geschlecht
uicht mehr entschuldigen können: die Härte des antiken, wenigstens des römischen
Lebens, die Abstumpfung des Mitgefühls durch ewige Kriege und grausame
Schauspiele, sodann die Unkenntnis der wirklichen Zahl der Menschen. Zwar
verträgt es sich auch schon nicht mit der Idee Gottes, wenn man annimmt,
daß er auch nur ein einziges Geschöpf ins Leben gerufen habe zu keinem andern
Zweck, als es in einem ewigen Feuer braten zu lassen, gleichviel, ob man sich
ein materielles oder ein immaterielles Feuer denkt, aber wenn man überlegt,
daß sich nach dem orthodoxen Glauben die Zahl der für dieses Schicksal be¬
stimmten auf unzählige Milliarden beläuft, wovon die Alten noch keine Vor¬
stellung hatten, dann schlägt der Gedanke aus dem Entsetzlichen ins Lächerliche
um, er wird einfach unmöglich. Ein Blick auf ein Kindergesicht, aus eine


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

einer Witwe und Wäscherin, und deren Söhnchen zusammen in unsrer ge¬
meinsamen Küchenstube hauste, und waren so wirtschaftlich unabhängig. Auch
unser Geld erhielten wir nicht vom Pfarrer, sondern teils vom Kirchkassen-
rendcmten, teils von einem Dominium (Dezem-Entschädigung), teils von den
höhern Lehranstalten, an denen wir den katholischen Schülern Religionsunter¬
richt gaben, die geringen Accidentien vom Küster. Unsre Arbeit besorgten wir
ganz selbständig. Der Pfarrer that wenig und bald gar nichts mehr; zu
seiner Vertretung bestellte er sich einen dritten Kaplan. Wir machten ihm
jeden Sonnabend um elf Uhr einen Anstandsbesuch und kamen sonst uicht mit
ihm zusammen. Das andre angenehme war die stramme Arbeit. Ich hatte
sehr viel zu predigen, nicht selten zweimal an einem Sonntage, wöchentlich
zwölf, später sechzehn Religionsstunden zu geben, außer dem Kommunion-
uuterricht und einer Stunde in einer auswärtigen Schule, die einem beinahe
den ganzen Morgen raubte. Beichtende gabs auch genug. Dazu kamen die
Leitung eines Gesellen- und eiues Paramentenvereins, längere Vertretungen
ertränkter Lehrer, in der Cholerazeit von 1866 eine Unzahl von Kranken¬
besuchen und Beerdigungen, anderthalbjährige Administration der Pfarrei
— scho. lag ein Jahr lang krank —, nach seinem Tode eine sehr mühsame,
mit viel Zank und Ärger verbundne Erbschaftsregulirung, da er die Pfarr¬
kirche zur Universalerbin eingesetzt hatte.

So kam das verhängnisvolle Jahr heran. Ein paar weitere Erschüt¬
terungen hatte mein Glaube schon vorher erlitten. Eine alte Dame von aus¬
gezeichnetem Charakter, mit der ich befreundet war, gestand mir einmal in der
Beichte, daß sie nicht um die Hölle glauben könne. Ich suchte ihr den Höllen-
glauben beizubringen, sie schüttelte aber bloß den Kopf und bemerkte kurz: Ich
glaube, daß Gott barmherzig ist. Und ich fühlte, daß mich meine Gründe
selber nicht überzeugten. Bald war ich in diesem Punkte soweit, daß es mir
als ein Rätsel erschien, wie Männer von tiefer Einsicht und edelm Charakter,
Augustinus z. B., eine so scheußliche Lehre hätten annehmen und verkündigen
können. Ich fand zwei Erklärungsgründe, die aber unser heutiges Geschlecht
uicht mehr entschuldigen können: die Härte des antiken, wenigstens des römischen
Lebens, die Abstumpfung des Mitgefühls durch ewige Kriege und grausame
Schauspiele, sodann die Unkenntnis der wirklichen Zahl der Menschen. Zwar
verträgt es sich auch schon nicht mit der Idee Gottes, wenn man annimmt,
daß er auch nur ein einziges Geschöpf ins Leben gerufen habe zu keinem andern
Zweck, als es in einem ewigen Feuer braten zu lassen, gleichviel, ob man sich
ein materielles oder ein immaterielles Feuer denkt, aber wenn man überlegt,
daß sich nach dem orthodoxen Glauben die Zahl der für dieses Schicksal be¬
stimmten auf unzählige Milliarden beläuft, wovon die Alten noch keine Vor¬
stellung hatten, dann schlägt der Gedanke aus dem Entsetzlichen ins Lächerliche
um, er wird einfach unmöglich. Ein Blick auf ein Kindergesicht, aus eine


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[0428] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome einer Witwe und Wäscherin, und deren Söhnchen zusammen in unsrer ge¬ meinsamen Küchenstube hauste, und waren so wirtschaftlich unabhängig. Auch unser Geld erhielten wir nicht vom Pfarrer, sondern teils vom Kirchkassen- rendcmten, teils von einem Dominium (Dezem-Entschädigung), teils von den höhern Lehranstalten, an denen wir den katholischen Schülern Religionsunter¬ richt gaben, die geringen Accidentien vom Küster. Unsre Arbeit besorgten wir ganz selbständig. Der Pfarrer that wenig und bald gar nichts mehr; zu seiner Vertretung bestellte er sich einen dritten Kaplan. Wir machten ihm jeden Sonnabend um elf Uhr einen Anstandsbesuch und kamen sonst uicht mit ihm zusammen. Das andre angenehme war die stramme Arbeit. Ich hatte sehr viel zu predigen, nicht selten zweimal an einem Sonntage, wöchentlich zwölf, später sechzehn Religionsstunden zu geben, außer dem Kommunion- uuterricht und einer Stunde in einer auswärtigen Schule, die einem beinahe den ganzen Morgen raubte. Beichtende gabs auch genug. Dazu kamen die Leitung eines Gesellen- und eiues Paramentenvereins, längere Vertretungen ertränkter Lehrer, in der Cholerazeit von 1866 eine Unzahl von Kranken¬ besuchen und Beerdigungen, anderthalbjährige Administration der Pfarrei — scho. lag ein Jahr lang krank —, nach seinem Tode eine sehr mühsame, mit viel Zank und Ärger verbundne Erbschaftsregulirung, da er die Pfarr¬ kirche zur Universalerbin eingesetzt hatte. So kam das verhängnisvolle Jahr heran. Ein paar weitere Erschüt¬ terungen hatte mein Glaube schon vorher erlitten. Eine alte Dame von aus¬ gezeichnetem Charakter, mit der ich befreundet war, gestand mir einmal in der Beichte, daß sie nicht um die Hölle glauben könne. Ich suchte ihr den Höllen- glauben beizubringen, sie schüttelte aber bloß den Kopf und bemerkte kurz: Ich glaube, daß Gott barmherzig ist. Und ich fühlte, daß mich meine Gründe selber nicht überzeugten. Bald war ich in diesem Punkte soweit, daß es mir als ein Rätsel erschien, wie Männer von tiefer Einsicht und edelm Charakter, Augustinus z. B., eine so scheußliche Lehre hätten annehmen und verkündigen können. Ich fand zwei Erklärungsgründe, die aber unser heutiges Geschlecht uicht mehr entschuldigen können: die Härte des antiken, wenigstens des römischen Lebens, die Abstumpfung des Mitgefühls durch ewige Kriege und grausame Schauspiele, sodann die Unkenntnis der wirklichen Zahl der Menschen. Zwar verträgt es sich auch schon nicht mit der Idee Gottes, wenn man annimmt, daß er auch nur ein einziges Geschöpf ins Leben gerufen habe zu keinem andern Zweck, als es in einem ewigen Feuer braten zu lassen, gleichviel, ob man sich ein materielles oder ein immaterielles Feuer denkt, aber wenn man überlegt, daß sich nach dem orthodoxen Glauben die Zahl der für dieses Schicksal be¬ stimmten auf unzählige Milliarden beläuft, wovon die Alten noch keine Vor¬ stellung hatten, dann schlägt der Gedanke aus dem Entsetzlichen ins Lächerliche um, er wird einfach unmöglich. Ein Blick auf ein Kindergesicht, aus eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/428>, abgerufen am 27.07.2024.