Politische Ziele auf das allgemeine Wohl gerichtet gewesen wären. Die Be¬ amtenstellen der Bahn- und Postbetriebe kamen bei dieser ohne jede Scheu aus¬ geübten Günstlingswirtschaft in die Hände der Klienten der herrschenden Partei; die Zugehörigkeit zu dieser Partei und nicht die fachmännische Tüchtigkeit gaben den Ausschlag. Die Steuern lasteten lediglich auf dem Handel, der Industrie und dem Gewerbe, uicht aber, wie es gerecht gewesen wäre, auch aus den 30000 Großgrundbesitzern, zu deren Gunsten jene produktiven Kreise die Kosten tragen mußten.
Mit dieser Parteiwirtschaft hängen die unsichern rechtlichen und Boden¬ besitzverhältnisse zusammen, ein hervorragendes Hemmnis kleinbäuerlicher Ein¬ wanderung; die jeweilige Regierung ist nur darauf bedacht, ihre Macht zu stärken, nicht aber eine geordnete Verwaltung zu schaffen. Den Großgrund¬ besitzern steht eine überwiegende Masse von Nichtbesitzenden gegenüber, der Mittelstand, der eigentliche Trüger des Volkswohlstandes, fehlt fast ganz, wenn man von den Städten absieht. An einem freien Bauernstande auf eignem Besitze war deu Großgrundbesitzern nichts gelegen, sie wünschten die Einwan¬ derung nur, um statt der Sklaven weiße Arbeiter zu erlangen. Daher ist denn auch die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so gering geblieben, daß dieses Land, das durch seine natürlichen Reichtümer auf die Ausfuhr geradezu hingewiesen wird, doch nur eine Ausfuhr von 200000 Contos de Reis im Jahre verzeichnet, also weniger als dreißig Mark auf den Kopf der Be¬ völkerung.
Die deutsche Einwanderung floß vor allem nach den Provinzen Rio Grande do Suk, Santa Katharina, Sav Paulo, Bcchia, Paraim. Die ersten Besiedlnngsversnche, die Johann VI. mit Deutschen anstellte, die zum Teil den Söldnerscharen entnommen waren, verliefen unglücklich. Auch unter Dom Pedro I. ging es nur langsam vorwärts, wozu das Gesetz vom 20. März 1820, das nur einwandernden Kolonisten katholischen Bekenntnisses Landschenkungen zusicherte, außerdem die geringe Sorglichkeit der Regierung den Kolonisten gegenüber, die Latifundicnwirtschaft, die Störungen der Siedlungen in Rio Grande do Sui durch den Bürgerkrieg 1835 bis 1844 u. a. in. beitragen mochten. Es kostete harte Arbeit und Entbehrungen aller Art, ehe sich die Ansiedler in die Höhe gearbeitet hatten, und man muß diese Vorkämpfer der deutschen Kultur bewundern, daß sie trotz der Schwierigkeiten so Großes ge¬ lastet haben. An Stelle der anfangs herrschenden Planlosigkeit bei Unter¬ bringung der Ansiedler suchte mau aber allmählich ein geordnetes Verfahren zu setzen, und wir können drei Arten von Kolonien unterscheiden nach ihrer Entstehungsweise und der Stellung der Eingewanderten in ihnen: Staats- kvlonien, Provinzialkolonien und Privatkolonien.
Die Siedlung in den Staatstvlonien fand so statt, daß den Einwandrern fiskalischer Grund und Boden gewährt wurde, außerdem Geldunterstützungen,
Brasilien
Politische Ziele auf das allgemeine Wohl gerichtet gewesen wären. Die Be¬ amtenstellen der Bahn- und Postbetriebe kamen bei dieser ohne jede Scheu aus¬ geübten Günstlingswirtschaft in die Hände der Klienten der herrschenden Partei; die Zugehörigkeit zu dieser Partei und nicht die fachmännische Tüchtigkeit gaben den Ausschlag. Die Steuern lasteten lediglich auf dem Handel, der Industrie und dem Gewerbe, uicht aber, wie es gerecht gewesen wäre, auch aus den 30000 Großgrundbesitzern, zu deren Gunsten jene produktiven Kreise die Kosten tragen mußten.
Mit dieser Parteiwirtschaft hängen die unsichern rechtlichen und Boden¬ besitzverhältnisse zusammen, ein hervorragendes Hemmnis kleinbäuerlicher Ein¬ wanderung; die jeweilige Regierung ist nur darauf bedacht, ihre Macht zu stärken, nicht aber eine geordnete Verwaltung zu schaffen. Den Großgrund¬ besitzern steht eine überwiegende Masse von Nichtbesitzenden gegenüber, der Mittelstand, der eigentliche Trüger des Volkswohlstandes, fehlt fast ganz, wenn man von den Städten absieht. An einem freien Bauernstande auf eignem Besitze war deu Großgrundbesitzern nichts gelegen, sie wünschten die Einwan¬ derung nur, um statt der Sklaven weiße Arbeiter zu erlangen. Daher ist denn auch die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so gering geblieben, daß dieses Land, das durch seine natürlichen Reichtümer auf die Ausfuhr geradezu hingewiesen wird, doch nur eine Ausfuhr von 200000 Contos de Reis im Jahre verzeichnet, also weniger als dreißig Mark auf den Kopf der Be¬ völkerung.
Die deutsche Einwanderung floß vor allem nach den Provinzen Rio Grande do Suk, Santa Katharina, Sav Paulo, Bcchia, Paraim. Die ersten Besiedlnngsversnche, die Johann VI. mit Deutschen anstellte, die zum Teil den Söldnerscharen entnommen waren, verliefen unglücklich. Auch unter Dom Pedro I. ging es nur langsam vorwärts, wozu das Gesetz vom 20. März 1820, das nur einwandernden Kolonisten katholischen Bekenntnisses Landschenkungen zusicherte, außerdem die geringe Sorglichkeit der Regierung den Kolonisten gegenüber, die Latifundicnwirtschaft, die Störungen der Siedlungen in Rio Grande do Sui durch den Bürgerkrieg 1835 bis 1844 u. a. in. beitragen mochten. Es kostete harte Arbeit und Entbehrungen aller Art, ehe sich die Ansiedler in die Höhe gearbeitet hatten, und man muß diese Vorkämpfer der deutschen Kultur bewundern, daß sie trotz der Schwierigkeiten so Großes ge¬ lastet haben. An Stelle der anfangs herrschenden Planlosigkeit bei Unter¬ bringung der Ansiedler suchte mau aber allmählich ein geordnetes Verfahren zu setzen, und wir können drei Arten von Kolonien unterscheiden nach ihrer Entstehungsweise und der Stellung der Eingewanderten in ihnen: Staats- kvlonien, Provinzialkolonien und Privatkolonien.
Die Siedlung in den Staatstvlonien fand so statt, daß den Einwandrern fiskalischer Grund und Boden gewährt wurde, außerdem Geldunterstützungen,
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Brasilien
Politische Ziele auf das allgemeine Wohl gerichtet gewesen wären. Die Be¬
amtenstellen der Bahn- und Postbetriebe kamen bei dieser ohne jede Scheu aus¬
geübten Günstlingswirtschaft in die Hände der Klienten der herrschenden Partei;
die Zugehörigkeit zu dieser Partei und nicht die fachmännische Tüchtigkeit gaben
den Ausschlag. Die Steuern lasteten lediglich auf dem Handel, der Industrie
und dem Gewerbe, uicht aber, wie es gerecht gewesen wäre, auch aus den
30000 Großgrundbesitzern, zu deren Gunsten jene produktiven Kreise die
Kosten tragen mußten.
Mit dieser Parteiwirtschaft hängen die unsichern rechtlichen und Boden¬
besitzverhältnisse zusammen, ein hervorragendes Hemmnis kleinbäuerlicher Ein¬
wanderung; die jeweilige Regierung ist nur darauf bedacht, ihre Macht zu
stärken, nicht aber eine geordnete Verwaltung zu schaffen. Den Großgrund¬
besitzern steht eine überwiegende Masse von Nichtbesitzenden gegenüber, der
Mittelstand, der eigentliche Trüger des Volkswohlstandes, fehlt fast ganz, wenn
man von den Städten absieht. An einem freien Bauernstande auf eignem
Besitze war deu Großgrundbesitzern nichts gelegen, sie wünschten die Einwan¬
derung nur, um statt der Sklaven weiße Arbeiter zu erlangen. Daher ist
denn auch die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens so gering geblieben, daß
dieses Land, das durch seine natürlichen Reichtümer auf die Ausfuhr geradezu
hingewiesen wird, doch nur eine Ausfuhr von 200000 Contos de Reis im
Jahre verzeichnet, also weniger als dreißig Mark auf den Kopf der Be¬
völkerung.
Die deutsche Einwanderung floß vor allem nach den Provinzen Rio
Grande do Suk, Santa Katharina, Sav Paulo, Bcchia, Paraim. Die ersten
Besiedlnngsversnche, die Johann VI. mit Deutschen anstellte, die zum Teil den
Söldnerscharen entnommen waren, verliefen unglücklich. Auch unter Dom
Pedro I. ging es nur langsam vorwärts, wozu das Gesetz vom 20. März 1820,
das nur einwandernden Kolonisten katholischen Bekenntnisses Landschenkungen
zusicherte, außerdem die geringe Sorglichkeit der Regierung den Kolonisten
gegenüber, die Latifundicnwirtschaft, die Störungen der Siedlungen in Rio
Grande do Sui durch den Bürgerkrieg 1835 bis 1844 u. a. in. beitragen
mochten. Es kostete harte Arbeit und Entbehrungen aller Art, ehe sich die
Ansiedler in die Höhe gearbeitet hatten, und man muß diese Vorkämpfer der
deutschen Kultur bewundern, daß sie trotz der Schwierigkeiten so Großes ge¬
lastet haben. An Stelle der anfangs herrschenden Planlosigkeit bei Unter¬
bringung der Ansiedler suchte mau aber allmählich ein geordnetes Verfahren
zu setzen, und wir können drei Arten von Kolonien unterscheiden nach ihrer
Entstehungsweise und der Stellung der Eingewanderten in ihnen: Staats-
kvlonien, Provinzialkolonien und Privatkolonien.
Die Siedlung in den Staatstvlonien fand so statt, daß den Einwandrern
fiskalischer Grund und Boden gewährt wurde, außerdem Geldunterstützungen,
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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/413>, abgerufen am 27.01.2025.
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