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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Btto Ludwig

Dichter, der den Mut der äußersten Konsequenz hat und sein Weltbild ganz
ausrundet. Ein Weltbild aber ist die "Maria Magdalene," sie giebt die typische
Kleinstadt der vormärzlichen Zeit und predigt, indem sie den tragischen Kampf
des harten Sittengesetzes, das den Lebensnerv des alten Geschlechts bildet,
mit den Anschauungen einer neuern, mildern, aber noch nicht klar gewordnen
Zeit darstellt, aufs eindringlichste Liebe und Barmherzigkeit. Das Stück hat
immer viel Gegner gehabt, da man den Fall Klaras ohne Liebe als hä߬
lich empfindet; aber man vergißt, daß Hebbel in seinem Streben nach einer
ganz tragischen Erscheinung und einem echten Konflikt eine minderwertige sinn¬
liche Frauennatur nicht brauchen konnte, übrigens den Fall aus der Natur
der Tochter Meister Antons heraus, die eben auch ihre Folgerungen zu ziehen
gewohnt ist, wie aus der Situation hinreichend erklärt. Das Werk hält nicht
bloß dem Kunstverstande, sondern auch der Prüfung auf wahren Lebensgehalt
Stand und ist immer noch die beste bürgerliche Tragödie der Deutschen. Das
wird auch die Betrachtung der in diese Gattung fallenden Stücke Ludwigs
zeigen, auf die das Beiwort "gräßlich" viel eher paßt als ans Hebbels herbes
und düstres, aber von aller grausamen Willkür freies Trauerspiel.

Von dem "Fräulein von Senden" Ludwigs braucht man bei einer Mu¬
sterung seiner Werke nicht allzuviel zu sagen. Es ist der großartige Versuch
der Dramatisirung einer Novelle, der in der Hauptsache mißlungen ist, aber
doch einen bedeutenden Charakter darstellt, den Goldschmied Ccirdillac, den
Ludwig über sein Vorbild in der Novelle Hofmanns durch Vertiefung des
Dämonischen und Einführung eines stark "sozialistischen" Zuges weit empor¬
gehoben hat. Nur beiläufig erwähne ich, daß der Sozialismus in seinen An¬
sängen auch Hebbel nahetrat, wie Briefe und Tagebücher und später ja auch
eine Reihe Dramen zeigen. Ludwigs "Pfarrrvse" wie die "Rechte des Herzens"
sind unzweifelhaft poesievolle, teilweise vortrefflich charakterisirende Werke mit
zarten Und weichen, zugleich auch volkstümlichen Farben und Tönen, wie sie
Hebbel nicht zur Verfügung standen, aber wirkliche Tragödien sind sie nicht,
sondern Jntriguenstücke mit starker Beimischung einer theatralischen Romantik,
die oft wahrhaft gräßlich wirkt. Eine bestimmte Sicherheit in der Menschen-
darstellung beweist er schon in diesen Werken, manche realistische Züge sind
meisterhaft, aber das typische Gepräge der Hebbelschen haben Ludwigs Menschen
noch nicht und sind von der Denkart der Zeiten sehr wenig berührt, woraus sich
zwar einige Vorzüge, aber auch einige Nachteile ergeben. Die "Pfarrrose" verrät
den Einfluß Tieckscher Novellen, die "Rechte des Herzens" sind selbständiger,
schweben aber dafür auch mehr in der Luft, wie denn z. B. das Polentum
fast nur dekorativ ist. Für die Entwicklung unsrer Litteratur bedeutet keines
der drei Stücke etwas, aber um die Entwicklung Ludwigs zu erkennen, sind
sie freilich unentbehrlich.

Dann kommt der "Erbförster," die große "Tragödie der Irrungen," wie


Grenzboten III 189S 48
Friedrich Hebbel und Btto Ludwig

Dichter, der den Mut der äußersten Konsequenz hat und sein Weltbild ganz
ausrundet. Ein Weltbild aber ist die „Maria Magdalene," sie giebt die typische
Kleinstadt der vormärzlichen Zeit und predigt, indem sie den tragischen Kampf
des harten Sittengesetzes, das den Lebensnerv des alten Geschlechts bildet,
mit den Anschauungen einer neuern, mildern, aber noch nicht klar gewordnen
Zeit darstellt, aufs eindringlichste Liebe und Barmherzigkeit. Das Stück hat
immer viel Gegner gehabt, da man den Fall Klaras ohne Liebe als hä߬
lich empfindet; aber man vergißt, daß Hebbel in seinem Streben nach einer
ganz tragischen Erscheinung und einem echten Konflikt eine minderwertige sinn¬
liche Frauennatur nicht brauchen konnte, übrigens den Fall aus der Natur
der Tochter Meister Antons heraus, die eben auch ihre Folgerungen zu ziehen
gewohnt ist, wie aus der Situation hinreichend erklärt. Das Werk hält nicht
bloß dem Kunstverstande, sondern auch der Prüfung auf wahren Lebensgehalt
Stand und ist immer noch die beste bürgerliche Tragödie der Deutschen. Das
wird auch die Betrachtung der in diese Gattung fallenden Stücke Ludwigs
zeigen, auf die das Beiwort „gräßlich" viel eher paßt als ans Hebbels herbes
und düstres, aber von aller grausamen Willkür freies Trauerspiel.

Von dem „Fräulein von Senden" Ludwigs braucht man bei einer Mu¬
sterung seiner Werke nicht allzuviel zu sagen. Es ist der großartige Versuch
der Dramatisirung einer Novelle, der in der Hauptsache mißlungen ist, aber
doch einen bedeutenden Charakter darstellt, den Goldschmied Ccirdillac, den
Ludwig über sein Vorbild in der Novelle Hofmanns durch Vertiefung des
Dämonischen und Einführung eines stark „sozialistischen" Zuges weit empor¬
gehoben hat. Nur beiläufig erwähne ich, daß der Sozialismus in seinen An¬
sängen auch Hebbel nahetrat, wie Briefe und Tagebücher und später ja auch
eine Reihe Dramen zeigen. Ludwigs „Pfarrrvse" wie die „Rechte des Herzens"
sind unzweifelhaft poesievolle, teilweise vortrefflich charakterisirende Werke mit
zarten Und weichen, zugleich auch volkstümlichen Farben und Tönen, wie sie
Hebbel nicht zur Verfügung standen, aber wirkliche Tragödien sind sie nicht,
sondern Jntriguenstücke mit starker Beimischung einer theatralischen Romantik,
die oft wahrhaft gräßlich wirkt. Eine bestimmte Sicherheit in der Menschen-
darstellung beweist er schon in diesen Werken, manche realistische Züge sind
meisterhaft, aber das typische Gepräge der Hebbelschen haben Ludwigs Menschen
noch nicht und sind von der Denkart der Zeiten sehr wenig berührt, woraus sich
zwar einige Vorzüge, aber auch einige Nachteile ergeben. Die „Pfarrrose" verrät
den Einfluß Tieckscher Novellen, die „Rechte des Herzens" sind selbständiger,
schweben aber dafür auch mehr in der Luft, wie denn z. B. das Polentum
fast nur dekorativ ist. Für die Entwicklung unsrer Litteratur bedeutet keines
der drei Stücke etwas, aber um die Entwicklung Ludwigs zu erkennen, sind
sie freilich unentbehrlich.

Dann kommt der „Erbförster," die große „Tragödie der Irrungen," wie


Grenzboten III 189S 48
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[0385] Friedrich Hebbel und Btto Ludwig Dichter, der den Mut der äußersten Konsequenz hat und sein Weltbild ganz ausrundet. Ein Weltbild aber ist die „Maria Magdalene," sie giebt die typische Kleinstadt der vormärzlichen Zeit und predigt, indem sie den tragischen Kampf des harten Sittengesetzes, das den Lebensnerv des alten Geschlechts bildet, mit den Anschauungen einer neuern, mildern, aber noch nicht klar gewordnen Zeit darstellt, aufs eindringlichste Liebe und Barmherzigkeit. Das Stück hat immer viel Gegner gehabt, da man den Fall Klaras ohne Liebe als hä߬ lich empfindet; aber man vergißt, daß Hebbel in seinem Streben nach einer ganz tragischen Erscheinung und einem echten Konflikt eine minderwertige sinn¬ liche Frauennatur nicht brauchen konnte, übrigens den Fall aus der Natur der Tochter Meister Antons heraus, die eben auch ihre Folgerungen zu ziehen gewohnt ist, wie aus der Situation hinreichend erklärt. Das Werk hält nicht bloß dem Kunstverstande, sondern auch der Prüfung auf wahren Lebensgehalt Stand und ist immer noch die beste bürgerliche Tragödie der Deutschen. Das wird auch die Betrachtung der in diese Gattung fallenden Stücke Ludwigs zeigen, auf die das Beiwort „gräßlich" viel eher paßt als ans Hebbels herbes und düstres, aber von aller grausamen Willkür freies Trauerspiel. Von dem „Fräulein von Senden" Ludwigs braucht man bei einer Mu¬ sterung seiner Werke nicht allzuviel zu sagen. Es ist der großartige Versuch der Dramatisirung einer Novelle, der in der Hauptsache mißlungen ist, aber doch einen bedeutenden Charakter darstellt, den Goldschmied Ccirdillac, den Ludwig über sein Vorbild in der Novelle Hofmanns durch Vertiefung des Dämonischen und Einführung eines stark „sozialistischen" Zuges weit empor¬ gehoben hat. Nur beiläufig erwähne ich, daß der Sozialismus in seinen An¬ sängen auch Hebbel nahetrat, wie Briefe und Tagebücher und später ja auch eine Reihe Dramen zeigen. Ludwigs „Pfarrrvse" wie die „Rechte des Herzens" sind unzweifelhaft poesievolle, teilweise vortrefflich charakterisirende Werke mit zarten Und weichen, zugleich auch volkstümlichen Farben und Tönen, wie sie Hebbel nicht zur Verfügung standen, aber wirkliche Tragödien sind sie nicht, sondern Jntriguenstücke mit starker Beimischung einer theatralischen Romantik, die oft wahrhaft gräßlich wirkt. Eine bestimmte Sicherheit in der Menschen- darstellung beweist er schon in diesen Werken, manche realistische Züge sind meisterhaft, aber das typische Gepräge der Hebbelschen haben Ludwigs Menschen noch nicht und sind von der Denkart der Zeiten sehr wenig berührt, woraus sich zwar einige Vorzüge, aber auch einige Nachteile ergeben. Die „Pfarrrose" verrät den Einfluß Tieckscher Novellen, die „Rechte des Herzens" sind selbständiger, schweben aber dafür auch mehr in der Luft, wie denn z. B. das Polentum fast nur dekorativ ist. Für die Entwicklung unsrer Litteratur bedeutet keines der drei Stücke etwas, aber um die Entwicklung Ludwigs zu erkennen, sind sie freilich unentbehrlich. Dann kommt der „Erbförster," die große „Tragödie der Irrungen," wie Grenzboten III 189S 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/385>, abgerufen am 28.07.2024.