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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

der ihrer selbst bewußten Wahrheit geziemt, bloß mit dem Recht, und zwar
bloß mit dem geltenden, anerkannten, gewissen Rechte beschäftigen." So wußte
er überall seine Schreibweise dem Gegenstand und der Gelegenheit anzupassen.

Seine letzten Schriften betreffen den unglücklichen Kaspar Hauser, der in
der Litteratur noch heutigen Tages nicht zur Ruhe gekommen ist. Persönlich
nahe davon berührt, hatte Feuerbach die Angelegenheit lebhafter mit seinein
lveiten, warmen Herzen erfaßt, als dem nüchternen Urteil und -- seiner Ge¬
sundheit zuträglich war.

Das Übermaß geistiger Anstrengung und seelischer Aufregung hatte schon
längst seiue Gesundheit erschüttert. Eines Tages wurde er in der Sitzung
von einem Nervenschlag getroffen, von dem er sich nur halb wieder erholte.
Besonders bekümmerte ihn, daß er die Feder nicht mehr selber zu führen ver¬
mochte. Dem Nahen des "großen, allgemeinen Menschenfreundes, der alle
Wunden heilt und alle Schmerzen stillt," sah er mit heiterer Ruhe entgegen.
Der alte Vulkan, wie er sich im Scherz nannte, war ausgebrannt.

Im Frühjahr 1833 ergriff ihn eine gewaltige Sehnsucht nach seiner Vater¬
stadt Frankfurt und nach seiner dort lebenden Schwester, mit der er sich von
verjährter Verstimmung ausgesöhnt hatte. Er reiste hin, und anscheinend schritt
seine Genesung in der freundlichen, friedlichen Umgebung rasch vorwärts.
Aber ein erneuter Schlaganfall machte am 29. Mai seinem Leben ein Eude.

Was er in der Jugend geträumt hatte, ist in Erfüllung gegangen: die
Nachwelt zählt ihn zu den Wohlthätern der Menschheit, zu den Männern,
die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben. Vieles Große
hat er bei Lebzeiten geschaffen, mancher Same, den er ausgestreut hatte, ist
erst nach seinem Tode aufgegangen oder noch im Aufgehen begriffen. Uns
aber soll er ein Vorbild bleiben zunächst in der rastlosen Arbeit; in der warmen
Liebe für unser Volk und für dessen Eigenart in Recht, Sprache und Sitte;
in dem edeln Freimut, der keine Menschenfurcht kennt, und in der offnen
Feindschaft gegen Knechtsinn, gegen Heuchelei und Scheinwesen jeder Art; vor
allem auch in dem unerschütterlichen Vertrauen auf den endlichen Sieg des
Guten in der Welt.




Grenzboten III 189547
Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

der ihrer selbst bewußten Wahrheit geziemt, bloß mit dem Recht, und zwar
bloß mit dem geltenden, anerkannten, gewissen Rechte beschäftigen." So wußte
er überall seine Schreibweise dem Gegenstand und der Gelegenheit anzupassen.

Seine letzten Schriften betreffen den unglücklichen Kaspar Hauser, der in
der Litteratur noch heutigen Tages nicht zur Ruhe gekommen ist. Persönlich
nahe davon berührt, hatte Feuerbach die Angelegenheit lebhafter mit seinein
lveiten, warmen Herzen erfaßt, als dem nüchternen Urteil und — seiner Ge¬
sundheit zuträglich war.

Das Übermaß geistiger Anstrengung und seelischer Aufregung hatte schon
längst seiue Gesundheit erschüttert. Eines Tages wurde er in der Sitzung
von einem Nervenschlag getroffen, von dem er sich nur halb wieder erholte.
Besonders bekümmerte ihn, daß er die Feder nicht mehr selber zu führen ver¬
mochte. Dem Nahen des „großen, allgemeinen Menschenfreundes, der alle
Wunden heilt und alle Schmerzen stillt," sah er mit heiterer Ruhe entgegen.
Der alte Vulkan, wie er sich im Scherz nannte, war ausgebrannt.

Im Frühjahr 1833 ergriff ihn eine gewaltige Sehnsucht nach seiner Vater¬
stadt Frankfurt und nach seiner dort lebenden Schwester, mit der er sich von
verjährter Verstimmung ausgesöhnt hatte. Er reiste hin, und anscheinend schritt
seine Genesung in der freundlichen, friedlichen Umgebung rasch vorwärts.
Aber ein erneuter Schlaganfall machte am 29. Mai seinem Leben ein Eude.

Was er in der Jugend geträumt hatte, ist in Erfüllung gegangen: die
Nachwelt zählt ihn zu den Wohlthätern der Menschheit, zu den Männern,
die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben. Vieles Große
hat er bei Lebzeiten geschaffen, mancher Same, den er ausgestreut hatte, ist
erst nach seinem Tode aufgegangen oder noch im Aufgehen begriffen. Uns
aber soll er ein Vorbild bleiben zunächst in der rastlosen Arbeit; in der warmen
Liebe für unser Volk und für dessen Eigenart in Recht, Sprache und Sitte;
in dem edeln Freimut, der keine Menschenfurcht kennt, und in der offnen
Feindschaft gegen Knechtsinn, gegen Heuchelei und Scheinwesen jeder Art; vor
allem auch in dem unerschütterlichen Vertrauen auf den endlichen Sieg des
Guten in der Welt.




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[0377] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller der ihrer selbst bewußten Wahrheit geziemt, bloß mit dem Recht, und zwar bloß mit dem geltenden, anerkannten, gewissen Rechte beschäftigen." So wußte er überall seine Schreibweise dem Gegenstand und der Gelegenheit anzupassen. Seine letzten Schriften betreffen den unglücklichen Kaspar Hauser, der in der Litteratur noch heutigen Tages nicht zur Ruhe gekommen ist. Persönlich nahe davon berührt, hatte Feuerbach die Angelegenheit lebhafter mit seinein lveiten, warmen Herzen erfaßt, als dem nüchternen Urteil und — seiner Ge¬ sundheit zuträglich war. Das Übermaß geistiger Anstrengung und seelischer Aufregung hatte schon längst seiue Gesundheit erschüttert. Eines Tages wurde er in der Sitzung von einem Nervenschlag getroffen, von dem er sich nur halb wieder erholte. Besonders bekümmerte ihn, daß er die Feder nicht mehr selber zu führen ver¬ mochte. Dem Nahen des „großen, allgemeinen Menschenfreundes, der alle Wunden heilt und alle Schmerzen stillt," sah er mit heiterer Ruhe entgegen. Der alte Vulkan, wie er sich im Scherz nannte, war ausgebrannt. Im Frühjahr 1833 ergriff ihn eine gewaltige Sehnsucht nach seiner Vater¬ stadt Frankfurt und nach seiner dort lebenden Schwester, mit der er sich von verjährter Verstimmung ausgesöhnt hatte. Er reiste hin, und anscheinend schritt seine Genesung in der freundlichen, friedlichen Umgebung rasch vorwärts. Aber ein erneuter Schlaganfall machte am 29. Mai seinem Leben ein Eude. Was er in der Jugend geträumt hatte, ist in Erfüllung gegangen: die Nachwelt zählt ihn zu den Wohlthätern der Menschheit, zu den Männern, die den menschlichen Geist auf höhere Stufen geführt haben. Vieles Große hat er bei Lebzeiten geschaffen, mancher Same, den er ausgestreut hatte, ist erst nach seinem Tode aufgegangen oder noch im Aufgehen begriffen. Uns aber soll er ein Vorbild bleiben zunächst in der rastlosen Arbeit; in der warmen Liebe für unser Volk und für dessen Eigenart in Recht, Sprache und Sitte; in dem edeln Freimut, der keine Menschenfurcht kennt, und in der offnen Feindschaft gegen Knechtsinn, gegen Heuchelei und Scheinwesen jeder Art; vor allem auch in dem unerschütterlichen Vertrauen auf den endlichen Sieg des Guten in der Welt. Grenzboten III 189547

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/377>, abgerufen am 27.07.2024.