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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Kleinmuth. Vor allem sollte unter uns seine Schrift "über die Unterdrückung
und Wiederbefreiung Europens," die alsbald nach der Leipziger Völkerschlacht
zündend durch ganz Deutschland lief, der Vergessenheit entrissen werden.

Die Allgemeine Deutsche Biographie weist viermal den Namen Feuerbach
auf. Es ist unser Feuerbach mit dreien seiner Söhne: dem Archäologen Anselm,
dessen "Vatikanischer Apollo" noch heute, über sechzig Jahre nach seinem Er¬
scheinen, als mustergiltig gepriesen wird, dem Mathematiker Karl, der als ein
Opfer der bairischen Justiz frühzeitig starb, und dem vielgeschmähten Philo¬
sophen Ludwig, dem wir zwei Bände urkundliche Mitteilungen über den Vater
verdanken. Der hochbegabte Maler, an den bei dem Namen Anselm Feuer-
bnch das lebende Geschlecht zunächst denkt, war der Sohn des Archäologen.

Unser Anselm von Feuerbach war am 14. November 1775 geboren, und
zwar in der Heimat seiner Mutter, dem kleinen Dörfchen Hainichen bei Jena.
Als seine Vaterstadt galt ihm aber Frankfurt a. M; dort lebte sein Vater,
or, ,jur. Anselm Feuerbach, als Rechtsanwalt -- ein strenger, etwas schrullen¬
hafter Mann, der für die reizbare Seele und für den Wissensdurst des Knaben
kein rechtes Verständnis gehabt zu haben scheint. Kaum sechzehnjährig, entfloh
dieser dem Vaterhause, um in Jena, wo er bei den Verwandten der Mutter
uotdürftige Unterstützung fand, zu studiren. In Jena herrschte damals die
Kantische Philosophie. Ihr Hauptvertreter war Karl Leonhard Reinhold,
dessen hinreißende Beredsamkeit den jungen Studenten mächtig anzog, und der
bald, wie Feuerbach dem halbversöhnten Vater schreibt, sein Führer zum Guten
und väterlicher Freund ward. Empfänglich für jeden Eindruck und leicht ver¬
trauend, aber zugleich ehrgeizig und rasch zum Argwohn wie zum Zorn, be¬
dürfte der Jüngling eines solchen Führers. Ihm und der Kantischen Philo¬
sophie verdankte er zum guten Teil nicht nur die Schärfe des Denkens, sondern
anch den sittlichen Halt in Krankheit und Not.

Das zweite, was gewaltig auf das junge Gemüt einwirkte, war das Welt¬
schauspiel jener Zeit, die französische Revolution -- der Untergang einer äußer¬
lich glänzenden, innerlich hohlen und morschen, zur Lüge gewordnen Herrschaft.
Einer der Erstlinge seines Geistes, im Sommer 1795 erschienen, war eine
"Verteidigung der Menschenrechte." Auch von seinen weitern Schriften verrät
die eine oder andre den gleichen Ursprung, und noch als Mann redet er gern
von den "großen Ideen über Menschheit und Menschenwürde, die trotz den
Greueln, zu welchen sie als Vorwand dienen mußten, ewig wahr und herrlich
bleiben und, einmal gewonnen, niemals wieder verloren gehen können."*)

Es waren hohe Ideale, denen der Jüngling nachjagte, sein schönster Traum
war -- so schreibt er in sein Tagebuch daß ihm dereinst die Nachwelt
"eine Stelle unter den Wohlthätern des Menschengeschlechts und den Männern



*) Kleine Schriften, S. 14.
Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller

Kleinmuth. Vor allem sollte unter uns seine Schrift „über die Unterdrückung
und Wiederbefreiung Europens," die alsbald nach der Leipziger Völkerschlacht
zündend durch ganz Deutschland lief, der Vergessenheit entrissen werden.

Die Allgemeine Deutsche Biographie weist viermal den Namen Feuerbach
auf. Es ist unser Feuerbach mit dreien seiner Söhne: dem Archäologen Anselm,
dessen „Vatikanischer Apollo" noch heute, über sechzig Jahre nach seinem Er¬
scheinen, als mustergiltig gepriesen wird, dem Mathematiker Karl, der als ein
Opfer der bairischen Justiz frühzeitig starb, und dem vielgeschmähten Philo¬
sophen Ludwig, dem wir zwei Bände urkundliche Mitteilungen über den Vater
verdanken. Der hochbegabte Maler, an den bei dem Namen Anselm Feuer-
bnch das lebende Geschlecht zunächst denkt, war der Sohn des Archäologen.

Unser Anselm von Feuerbach war am 14. November 1775 geboren, und
zwar in der Heimat seiner Mutter, dem kleinen Dörfchen Hainichen bei Jena.
Als seine Vaterstadt galt ihm aber Frankfurt a. M; dort lebte sein Vater,
or, ,jur. Anselm Feuerbach, als Rechtsanwalt — ein strenger, etwas schrullen¬
hafter Mann, der für die reizbare Seele und für den Wissensdurst des Knaben
kein rechtes Verständnis gehabt zu haben scheint. Kaum sechzehnjährig, entfloh
dieser dem Vaterhause, um in Jena, wo er bei den Verwandten der Mutter
uotdürftige Unterstützung fand, zu studiren. In Jena herrschte damals die
Kantische Philosophie. Ihr Hauptvertreter war Karl Leonhard Reinhold,
dessen hinreißende Beredsamkeit den jungen Studenten mächtig anzog, und der
bald, wie Feuerbach dem halbversöhnten Vater schreibt, sein Führer zum Guten
und väterlicher Freund ward. Empfänglich für jeden Eindruck und leicht ver¬
trauend, aber zugleich ehrgeizig und rasch zum Argwohn wie zum Zorn, be¬
dürfte der Jüngling eines solchen Führers. Ihm und der Kantischen Philo¬
sophie verdankte er zum guten Teil nicht nur die Schärfe des Denkens, sondern
anch den sittlichen Halt in Krankheit und Not.

Das zweite, was gewaltig auf das junge Gemüt einwirkte, war das Welt¬
schauspiel jener Zeit, die französische Revolution — der Untergang einer äußer¬
lich glänzenden, innerlich hohlen und morschen, zur Lüge gewordnen Herrschaft.
Einer der Erstlinge seines Geistes, im Sommer 1795 erschienen, war eine
„Verteidigung der Menschenrechte." Auch von seinen weitern Schriften verrät
die eine oder andre den gleichen Ursprung, und noch als Mann redet er gern
von den „großen Ideen über Menschheit und Menschenwürde, die trotz den
Greueln, zu welchen sie als Vorwand dienen mußten, ewig wahr und herrlich
bleiben und, einmal gewonnen, niemals wieder verloren gehen können."*)

Es waren hohe Ideale, denen der Jüngling nachjagte, sein schönster Traum
war — so schreibt er in sein Tagebuch daß ihm dereinst die Nachwelt
„eine Stelle unter den Wohlthätern des Menschengeschlechts und den Männern



*) Kleine Schriften, S. 14.
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[0364] Anselm von Feuerbach als politischer Schriftsteller Kleinmuth. Vor allem sollte unter uns seine Schrift „über die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europens," die alsbald nach der Leipziger Völkerschlacht zündend durch ganz Deutschland lief, der Vergessenheit entrissen werden. Die Allgemeine Deutsche Biographie weist viermal den Namen Feuerbach auf. Es ist unser Feuerbach mit dreien seiner Söhne: dem Archäologen Anselm, dessen „Vatikanischer Apollo" noch heute, über sechzig Jahre nach seinem Er¬ scheinen, als mustergiltig gepriesen wird, dem Mathematiker Karl, der als ein Opfer der bairischen Justiz frühzeitig starb, und dem vielgeschmähten Philo¬ sophen Ludwig, dem wir zwei Bände urkundliche Mitteilungen über den Vater verdanken. Der hochbegabte Maler, an den bei dem Namen Anselm Feuer- bnch das lebende Geschlecht zunächst denkt, war der Sohn des Archäologen. Unser Anselm von Feuerbach war am 14. November 1775 geboren, und zwar in der Heimat seiner Mutter, dem kleinen Dörfchen Hainichen bei Jena. Als seine Vaterstadt galt ihm aber Frankfurt a. M; dort lebte sein Vater, or, ,jur. Anselm Feuerbach, als Rechtsanwalt — ein strenger, etwas schrullen¬ hafter Mann, der für die reizbare Seele und für den Wissensdurst des Knaben kein rechtes Verständnis gehabt zu haben scheint. Kaum sechzehnjährig, entfloh dieser dem Vaterhause, um in Jena, wo er bei den Verwandten der Mutter uotdürftige Unterstützung fand, zu studiren. In Jena herrschte damals die Kantische Philosophie. Ihr Hauptvertreter war Karl Leonhard Reinhold, dessen hinreißende Beredsamkeit den jungen Studenten mächtig anzog, und der bald, wie Feuerbach dem halbversöhnten Vater schreibt, sein Führer zum Guten und väterlicher Freund ward. Empfänglich für jeden Eindruck und leicht ver¬ trauend, aber zugleich ehrgeizig und rasch zum Argwohn wie zum Zorn, be¬ dürfte der Jüngling eines solchen Führers. Ihm und der Kantischen Philo¬ sophie verdankte er zum guten Teil nicht nur die Schärfe des Denkens, sondern anch den sittlichen Halt in Krankheit und Not. Das zweite, was gewaltig auf das junge Gemüt einwirkte, war das Welt¬ schauspiel jener Zeit, die französische Revolution — der Untergang einer äußer¬ lich glänzenden, innerlich hohlen und morschen, zur Lüge gewordnen Herrschaft. Einer der Erstlinge seines Geistes, im Sommer 1795 erschienen, war eine „Verteidigung der Menschenrechte." Auch von seinen weitern Schriften verrät die eine oder andre den gleichen Ursprung, und noch als Mann redet er gern von den „großen Ideen über Menschheit und Menschenwürde, die trotz den Greueln, zu welchen sie als Vorwand dienen mußten, ewig wahr und herrlich bleiben und, einmal gewonnen, niemals wieder verloren gehen können."*) Es waren hohe Ideale, denen der Jüngling nachjagte, sein schönster Traum war — so schreibt er in sein Tagebuch daß ihm dereinst die Nachwelt „eine Stelle unter den Wohlthätern des Menschengeschlechts und den Männern *) Kleine Schriften, S. 14.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/364>, abgerufen am 06.10.2024.