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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Kapital von Aarl Marx

Güter schätzt, darauf kommt der Gesellschaft nichts an, sondern wie die Waren
auf dem Markte geschätzt werden. Diese Schätzung hängt nun allerdings teil¬
weise von subjektiven Erwägungen des Geschmacks, der Mode, der Standes¬
gemäßheit ab, aber für gewisse Massengüter, z.B. die Nahrungsmittel, ist,
wie auch Böhm-Bawerk hervorhebt, die Notwendigkeit der Anschaffung ein für
allemal und ganz allgemein gegeben, hier hängt also bei gleichbleibender Nach¬
frage die Schätzung ganz allein vom Angebot, also von der Menge der ver¬
käuflichen Waren ab, und diese wiederum hängt ab von der Menge und Pro¬
duktivität der aufgewendeten Arbeit. Keine Liebe zum Idyllischen, kein Zwang
der Gesetzgebung vermöchte die Spinnmaschinen durch das Spinnrad zu ver¬
drängen und dem Garn den Wert wiederzugeben, den es haben müßte, wenn
das Spinnen mit dem Rade wieder möglich werden sollte. Ebenso kann die
Handweberei nur noch von Virtuosen der Hungerkunst betriebe" werden, weil
es unmöglich ist, den Geweben wieder einen Marktwert zu verschaffen, der dem
Handweber das Sattessen möglich machen würde. Und die vielbeklagtc Billig¬
keit des Getreides rührt bekanntlich daher, daß große Flüchen jungfräulichen
Bodens unter den Pflug genommen worden sind, die weniger Arbeit erfordern
als alter Kulturboden. Auch die sonstigen höhern Produktionskosten des
deutschen Ackerbaues lassen sich in Arbeit auflösen. So z. B. bedarf jung¬
fräulicher Boden keiner Düngung. Wo Düngung nötig, unmittelbar beim
Acker aber Naturdünger vorhanden ist, da muß schon Arbeit angewendet werden,
um ihn aufs Feld zu fahren und auszubreiten. Muß aber gar Kunstdünger
oder ausländischer Dünger angewendet werden, so steckt eine Masse Fabrik-,
Transport- und kaufmännischer Arbeit darin. Böhm-Bawerk schreibt im Hand¬
wörterbuch. "Insbesondre widerstreitet der Marxischen Werttheorie die zweifel¬
lose Erfahrung, daß der Tauschwert solcher Produkte, deren Erzeugung auf
mehr oder weniger zeitraubende" Umwegen oder, was in andern Worten das¬
selbe sagt, mittels einer mehr oder weniger lange dauernde" Investition von
Kapital erfolgt, thatsächlich nicht im Verhältnis zu der aufgewendeten Arbeit
allein steht, sondern auch und zwar sehr wesentlich durch die Rücksicht auf
die Größe und Dauer der Kapitalinvestition mit beeinflußt wird." Aller¬
dings gehört der Kapitalzins, ebenso wie die Grundrente, der Eingangszoll
und andre Staatseinrichtungen zu den preisbildenden Mächten, die Marx vor¬
läufig beiseite geschoben hat, um sie später in einen andern Zusammenhang
mit seiner Theorie zu setzen. Man darf aber nicht unbeachtet lasse", daß die
wirtschaftliche Entwicklung augenscheinlich darauf ausgeht, solche störende Ein¬
wirkungen zu überwinden und die Arbeitswerttheorie immer reiner zu ver¬
wirklichen. Die Gerber lassen die Häute nicht mehr jahrelang in der Lohe
biegen, die langsame Naturbleiche weicht der Schnellbleichc, und der Häuserbau
dauert kaum noch so viele Monate als früher Jahre.

Höchst merkwürdig sind die Mißverständnisse des scharfsinnigsten unter


Grenzboten III 189S 4
Das Kapital von Aarl Marx

Güter schätzt, darauf kommt der Gesellschaft nichts an, sondern wie die Waren
auf dem Markte geschätzt werden. Diese Schätzung hängt nun allerdings teil¬
weise von subjektiven Erwägungen des Geschmacks, der Mode, der Standes¬
gemäßheit ab, aber für gewisse Massengüter, z.B. die Nahrungsmittel, ist,
wie auch Böhm-Bawerk hervorhebt, die Notwendigkeit der Anschaffung ein für
allemal und ganz allgemein gegeben, hier hängt also bei gleichbleibender Nach¬
frage die Schätzung ganz allein vom Angebot, also von der Menge der ver¬
käuflichen Waren ab, und diese wiederum hängt ab von der Menge und Pro¬
duktivität der aufgewendeten Arbeit. Keine Liebe zum Idyllischen, kein Zwang
der Gesetzgebung vermöchte die Spinnmaschinen durch das Spinnrad zu ver¬
drängen und dem Garn den Wert wiederzugeben, den es haben müßte, wenn
das Spinnen mit dem Rade wieder möglich werden sollte. Ebenso kann die
Handweberei nur noch von Virtuosen der Hungerkunst betriebe» werden, weil
es unmöglich ist, den Geweben wieder einen Marktwert zu verschaffen, der dem
Handweber das Sattessen möglich machen würde. Und die vielbeklagtc Billig¬
keit des Getreides rührt bekanntlich daher, daß große Flüchen jungfräulichen
Bodens unter den Pflug genommen worden sind, die weniger Arbeit erfordern
als alter Kulturboden. Auch die sonstigen höhern Produktionskosten des
deutschen Ackerbaues lassen sich in Arbeit auflösen. So z. B. bedarf jung¬
fräulicher Boden keiner Düngung. Wo Düngung nötig, unmittelbar beim
Acker aber Naturdünger vorhanden ist, da muß schon Arbeit angewendet werden,
um ihn aufs Feld zu fahren und auszubreiten. Muß aber gar Kunstdünger
oder ausländischer Dünger angewendet werden, so steckt eine Masse Fabrik-,
Transport- und kaufmännischer Arbeit darin. Böhm-Bawerk schreibt im Hand¬
wörterbuch. „Insbesondre widerstreitet der Marxischen Werttheorie die zweifel¬
lose Erfahrung, daß der Tauschwert solcher Produkte, deren Erzeugung auf
mehr oder weniger zeitraubende» Umwegen oder, was in andern Worten das¬
selbe sagt, mittels einer mehr oder weniger lange dauernde» Investition von
Kapital erfolgt, thatsächlich nicht im Verhältnis zu der aufgewendeten Arbeit
allein steht, sondern auch und zwar sehr wesentlich durch die Rücksicht auf
die Größe und Dauer der Kapitalinvestition mit beeinflußt wird." Aller¬
dings gehört der Kapitalzins, ebenso wie die Grundrente, der Eingangszoll
und andre Staatseinrichtungen zu den preisbildenden Mächten, die Marx vor¬
läufig beiseite geschoben hat, um sie später in einen andern Zusammenhang
mit seiner Theorie zu setzen. Man darf aber nicht unbeachtet lasse», daß die
wirtschaftliche Entwicklung augenscheinlich darauf ausgeht, solche störende Ein¬
wirkungen zu überwinden und die Arbeitswerttheorie immer reiner zu ver¬
wirklichen. Die Gerber lassen die Häute nicht mehr jahrelang in der Lohe
biegen, die langsame Naturbleiche weicht der Schnellbleichc, und der Häuserbau
dauert kaum noch so viele Monate als früher Jahre.

Höchst merkwürdig sind die Mißverständnisse des scharfsinnigsten unter


Grenzboten III 189S 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/33>, abgerufen am 27.07.2024.