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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Zweikampf

stand als eine bevorzugte Klasse aus dem Volke herauszuheben, dadurch seinen
sogenannten Standesgeist zu stärken und ihn so dem Throne möglichst fest zu
verbinden. Bei einer solchen Haltung der Staatsgewalt dem Zweikampfe
gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß die Macht dieser Narrheit über die
Gemüter bis zu dem Grade steigt, daß sich dieser oder jener außer stände
fühlt, ihr Trotz zu bieten und, den Spott und die Verachtung der Standes¬
genossen, die ihn als feige verschreien, auf sich nehmend, ihnen zuzurufen: Ihr
Narren, haltet mich, wofür ihr wollt, mir genügt, wofür ich selbst mich halte,
und wofür andre vernünftige Menschen mich halten müssen!

Erwägt man das alles, so wird man es weniger befremdlich finden, als
man vielleicht zuerst geneigt war, daß es selbst ein so bedeutender Mann wie
Professor Wagner, dem man doch sicherlich ein richtiges Urteil über den hier
behandelten Gegenstand zutrauen darf, in seinem vielbesprochnen Ehrenhandel
mit dem Freiherrn von Stumm vermieden hat, dessen Herausforderung zum
Zweikampfe grundsätzlich abzulehnen. Zu bedauern bleibt es freilich dennoch.

Es giebt mancherlei Narrheit im sozialen Leben: die Modenarrheit, die
Reisenarrheit, die Kouleurnarrheit auf unsern Universitäten u. s. w. Sie
alle kosten im schlimmsten Falle viel Zeit und Geld. Das Ungeheuer der
Duellnarrheit aber fordert jährlich so und so viel Opfer von Menschenleben.
Und wofür?

Kommen wir auf den thatsächlich einzigen Fall zurück, wo jemand seine
Ehre im wahren Sinne des Wortes als nicht völlig wiederhergestellt erachten
mag, wenn nämlich eine ihm nachgesagte ehrenrührige Thatsache eben nur
nicht hat nachgewiesen werden können, sodaß andre Menschen, wenn sie nicht
von besonders wohlwollender Art sind, sie immer noch glauben mögen. Das
ist freilich ein Übelstand. Aber es giebt schlimmeres, und wenn sich einer
deshalb totschießen lassen wollte, so könnte er es nur gleich thun. Denn er
wird immer Menschen finden, die ihm das schlimmste zutrauen, auch wenn es
niemand von ihm behauptet haben sollte. Und so endigt mein Katechismus,
wie Falstaff sagt.




Die Ehre und der Zweikampf

stand als eine bevorzugte Klasse aus dem Volke herauszuheben, dadurch seinen
sogenannten Standesgeist zu stärken und ihn so dem Throne möglichst fest zu
verbinden. Bei einer solchen Haltung der Staatsgewalt dem Zweikampfe
gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß die Macht dieser Narrheit über die
Gemüter bis zu dem Grade steigt, daß sich dieser oder jener außer stände
fühlt, ihr Trotz zu bieten und, den Spott und die Verachtung der Standes¬
genossen, die ihn als feige verschreien, auf sich nehmend, ihnen zuzurufen: Ihr
Narren, haltet mich, wofür ihr wollt, mir genügt, wofür ich selbst mich halte,
und wofür andre vernünftige Menschen mich halten müssen!

Erwägt man das alles, so wird man es weniger befremdlich finden, als
man vielleicht zuerst geneigt war, daß es selbst ein so bedeutender Mann wie
Professor Wagner, dem man doch sicherlich ein richtiges Urteil über den hier
behandelten Gegenstand zutrauen darf, in seinem vielbesprochnen Ehrenhandel
mit dem Freiherrn von Stumm vermieden hat, dessen Herausforderung zum
Zweikampfe grundsätzlich abzulehnen. Zu bedauern bleibt es freilich dennoch.

Es giebt mancherlei Narrheit im sozialen Leben: die Modenarrheit, die
Reisenarrheit, die Kouleurnarrheit auf unsern Universitäten u. s. w. Sie
alle kosten im schlimmsten Falle viel Zeit und Geld. Das Ungeheuer der
Duellnarrheit aber fordert jährlich so und so viel Opfer von Menschenleben.
Und wofür?

Kommen wir auf den thatsächlich einzigen Fall zurück, wo jemand seine
Ehre im wahren Sinne des Wortes als nicht völlig wiederhergestellt erachten
mag, wenn nämlich eine ihm nachgesagte ehrenrührige Thatsache eben nur
nicht hat nachgewiesen werden können, sodaß andre Menschen, wenn sie nicht
von besonders wohlwollender Art sind, sie immer noch glauben mögen. Das
ist freilich ein Übelstand. Aber es giebt schlimmeres, und wenn sich einer
deshalb totschießen lassen wollte, so könnte er es nur gleich thun. Denn er
wird immer Menschen finden, die ihm das schlimmste zutrauen, auch wenn es
niemand von ihm behauptet haben sollte. Und so endigt mein Katechismus,
wie Falstaff sagt.




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[0325] Die Ehre und der Zweikampf stand als eine bevorzugte Klasse aus dem Volke herauszuheben, dadurch seinen sogenannten Standesgeist zu stärken und ihn so dem Throne möglichst fest zu verbinden. Bei einer solchen Haltung der Staatsgewalt dem Zweikampfe gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß die Macht dieser Narrheit über die Gemüter bis zu dem Grade steigt, daß sich dieser oder jener außer stände fühlt, ihr Trotz zu bieten und, den Spott und die Verachtung der Standes¬ genossen, die ihn als feige verschreien, auf sich nehmend, ihnen zuzurufen: Ihr Narren, haltet mich, wofür ihr wollt, mir genügt, wofür ich selbst mich halte, und wofür andre vernünftige Menschen mich halten müssen! Erwägt man das alles, so wird man es weniger befremdlich finden, als man vielleicht zuerst geneigt war, daß es selbst ein so bedeutender Mann wie Professor Wagner, dem man doch sicherlich ein richtiges Urteil über den hier behandelten Gegenstand zutrauen darf, in seinem vielbesprochnen Ehrenhandel mit dem Freiherrn von Stumm vermieden hat, dessen Herausforderung zum Zweikampfe grundsätzlich abzulehnen. Zu bedauern bleibt es freilich dennoch. Es giebt mancherlei Narrheit im sozialen Leben: die Modenarrheit, die Reisenarrheit, die Kouleurnarrheit auf unsern Universitäten u. s. w. Sie alle kosten im schlimmsten Falle viel Zeit und Geld. Das Ungeheuer der Duellnarrheit aber fordert jährlich so und so viel Opfer von Menschenleben. Und wofür? Kommen wir auf den thatsächlich einzigen Fall zurück, wo jemand seine Ehre im wahren Sinne des Wortes als nicht völlig wiederhergestellt erachten mag, wenn nämlich eine ihm nachgesagte ehrenrührige Thatsache eben nur nicht hat nachgewiesen werden können, sodaß andre Menschen, wenn sie nicht von besonders wohlwollender Art sind, sie immer noch glauben mögen. Das ist freilich ein Übelstand. Aber es giebt schlimmeres, und wenn sich einer deshalb totschießen lassen wollte, so könnte er es nur gleich thun. Denn er wird immer Menschen finden, die ihm das schlimmste zutrauen, auch wenn es niemand von ihm behauptet haben sollte. Und so endigt mein Katechismus, wie Falstaff sagt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/325>, abgerufen am 24.06.2024.