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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Ehre und der Zweikampf

konnte, der Stolz und die Ehre des wehrhaften Mannes. Natürlich durfte
er dem Feinde nur im ehrlichen, offnen Kampfe entgegentreten; wie hätte er
sonst zeigen können, daß er der stärkere sei! Das Bewußtsein seiner Über¬
legenheit oder wenigstens der feste Glaube daran gab ihm den wilden Kampfes¬
mut, der nicht durch den Gedanken erschüttert wurde, daß auch der Starke
unterliegen könne; denn widerfuhr ihm das, so hatte es ihm Allvater Wotan
beschieden, der die Starken liebte und im Kampfe fallen ließ, um sie zu sich
nach Walhall zu versammeln.

Dieser gewaltthntigc Charakterzug des heidnischen Germanentums, der
in der Vorstellung des Volks die Gewalt zum Recht umwandelte, hat, den
Einwirkungen des Christentums und der von ihm getragnen Kultur Trotz
bietend, die Jahrhunderte überdauert, er hat sich in dem Faust- und Fehde-
recht des Mittelalters mit besondrer Kraft geäußert, und er ist es denn auch
allein, der sich noch in unsrer Zeit, die auf dem Höhepunkte der Nechtsent-
wicklnng und Gesittung angelangt zu sein wähnt, in der Form des Zwei¬
kampfs in Ehrensachen geltend macht.

Aber man würde Wohl der großen Anzahl ernster und verständiger
Männer, die heute noch für das Duell eintreten, bitter Unrecht thun, wenn
man annehmen wollte, daß sie mit Bewußtsein die Anschauung jener Helden
der grauen Vorzeit hegen, die ihre Ehre darein setzten, jeden niederschlagen
zu können, der ihnen zu nahe treten sollte. Zwar ist das sogenannte Recht
des Stärkern sogar von einem Philosophen unsrer Tage, der inzwischen freilich
in offenkundiger Irrsinn verfallen ist, aber doch Anhänger gefunden hat, zu
eiuer Art von sittlichem Prinzip erhoben worden. Möglich ist es auch, daß
sich hin und wieder ein Raufbold findet, der, im Gegensatz zu Shylocks Aus¬
spruch: Mein Geld ist meine Ehre, alles Ernstes erklärt: Meine Ehre ist
mein Degen und meine sicher treffende Pistole. Aber mit solchen Leuten
haben wir es hier nicht zu thun.

Wie weit entfernt von diesem Staudpunkte jene Herren sind, beweist
übrigens gerade der Umstand, daß sie allen Standesgenossen ohne Ausnahme,
nicht bloß den starken und gewaltigen unter ihnen, jene rätselhafte Ehre mit
ihren Rechten und Pflichten zuerkennen. Dadurch werden die schwachen,
namentlich die im Gebrauche der Waffen unerfahrnen oder ungeübten, in die
seltsame Lage versetzt, die ihnen völlig unangemessene Rolle der Starken spielen,
also da Mut zeigen zu müssen, wo man ihn vernünftigerweise von ihnen nicht
verlangen kann. Denn Mut ist der Wille, einer Gefahr zu trotzen, die man
nach seinen Fähigkeiten überwinden kaun, und Mangel an Mut wird -- selbst
von denen, die auch da Mut verlangen, wo es nicht notwendig ist, ihn zu
zeigen -- als Feigheit nur an dem getadelt, der der Gefahr ausweicht, ob¬
wohl er imstande ist, sie zu bestehen, der also seinen Fähigkeiten mißtraut.
So wird man dem nicht Feigheit vorwerfen, der es ablehnt, einem Ertrinkender


Die Ehre und der Zweikampf

konnte, der Stolz und die Ehre des wehrhaften Mannes. Natürlich durfte
er dem Feinde nur im ehrlichen, offnen Kampfe entgegentreten; wie hätte er
sonst zeigen können, daß er der stärkere sei! Das Bewußtsein seiner Über¬
legenheit oder wenigstens der feste Glaube daran gab ihm den wilden Kampfes¬
mut, der nicht durch den Gedanken erschüttert wurde, daß auch der Starke
unterliegen könne; denn widerfuhr ihm das, so hatte es ihm Allvater Wotan
beschieden, der die Starken liebte und im Kampfe fallen ließ, um sie zu sich
nach Walhall zu versammeln.

Dieser gewaltthntigc Charakterzug des heidnischen Germanentums, der
in der Vorstellung des Volks die Gewalt zum Recht umwandelte, hat, den
Einwirkungen des Christentums und der von ihm getragnen Kultur Trotz
bietend, die Jahrhunderte überdauert, er hat sich in dem Faust- und Fehde-
recht des Mittelalters mit besondrer Kraft geäußert, und er ist es denn auch
allein, der sich noch in unsrer Zeit, die auf dem Höhepunkte der Nechtsent-
wicklnng und Gesittung angelangt zu sein wähnt, in der Form des Zwei¬
kampfs in Ehrensachen geltend macht.

Aber man würde Wohl der großen Anzahl ernster und verständiger
Männer, die heute noch für das Duell eintreten, bitter Unrecht thun, wenn
man annehmen wollte, daß sie mit Bewußtsein die Anschauung jener Helden
der grauen Vorzeit hegen, die ihre Ehre darein setzten, jeden niederschlagen
zu können, der ihnen zu nahe treten sollte. Zwar ist das sogenannte Recht
des Stärkern sogar von einem Philosophen unsrer Tage, der inzwischen freilich
in offenkundiger Irrsinn verfallen ist, aber doch Anhänger gefunden hat, zu
eiuer Art von sittlichem Prinzip erhoben worden. Möglich ist es auch, daß
sich hin und wieder ein Raufbold findet, der, im Gegensatz zu Shylocks Aus¬
spruch: Mein Geld ist meine Ehre, alles Ernstes erklärt: Meine Ehre ist
mein Degen und meine sicher treffende Pistole. Aber mit solchen Leuten
haben wir es hier nicht zu thun.

Wie weit entfernt von diesem Staudpunkte jene Herren sind, beweist
übrigens gerade der Umstand, daß sie allen Standesgenossen ohne Ausnahme,
nicht bloß den starken und gewaltigen unter ihnen, jene rätselhafte Ehre mit
ihren Rechten und Pflichten zuerkennen. Dadurch werden die schwachen,
namentlich die im Gebrauche der Waffen unerfahrnen oder ungeübten, in die
seltsame Lage versetzt, die ihnen völlig unangemessene Rolle der Starken spielen,
also da Mut zeigen zu müssen, wo man ihn vernünftigerweise von ihnen nicht
verlangen kann. Denn Mut ist der Wille, einer Gefahr zu trotzen, die man
nach seinen Fähigkeiten überwinden kaun, und Mangel an Mut wird — selbst
von denen, die auch da Mut verlangen, wo es nicht notwendig ist, ihn zu
zeigen — als Feigheit nur an dem getadelt, der der Gefahr ausweicht, ob¬
wohl er imstande ist, sie zu bestehen, der also seinen Fähigkeiten mißtraut.
So wird man dem nicht Feigheit vorwerfen, der es ablehnt, einem Ertrinkender


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[0322] Die Ehre und der Zweikampf konnte, der Stolz und die Ehre des wehrhaften Mannes. Natürlich durfte er dem Feinde nur im ehrlichen, offnen Kampfe entgegentreten; wie hätte er sonst zeigen können, daß er der stärkere sei! Das Bewußtsein seiner Über¬ legenheit oder wenigstens der feste Glaube daran gab ihm den wilden Kampfes¬ mut, der nicht durch den Gedanken erschüttert wurde, daß auch der Starke unterliegen könne; denn widerfuhr ihm das, so hatte es ihm Allvater Wotan beschieden, der die Starken liebte und im Kampfe fallen ließ, um sie zu sich nach Walhall zu versammeln. Dieser gewaltthntigc Charakterzug des heidnischen Germanentums, der in der Vorstellung des Volks die Gewalt zum Recht umwandelte, hat, den Einwirkungen des Christentums und der von ihm getragnen Kultur Trotz bietend, die Jahrhunderte überdauert, er hat sich in dem Faust- und Fehde- recht des Mittelalters mit besondrer Kraft geäußert, und er ist es denn auch allein, der sich noch in unsrer Zeit, die auf dem Höhepunkte der Nechtsent- wicklnng und Gesittung angelangt zu sein wähnt, in der Form des Zwei¬ kampfs in Ehrensachen geltend macht. Aber man würde Wohl der großen Anzahl ernster und verständiger Männer, die heute noch für das Duell eintreten, bitter Unrecht thun, wenn man annehmen wollte, daß sie mit Bewußtsein die Anschauung jener Helden der grauen Vorzeit hegen, die ihre Ehre darein setzten, jeden niederschlagen zu können, der ihnen zu nahe treten sollte. Zwar ist das sogenannte Recht des Stärkern sogar von einem Philosophen unsrer Tage, der inzwischen freilich in offenkundiger Irrsinn verfallen ist, aber doch Anhänger gefunden hat, zu eiuer Art von sittlichem Prinzip erhoben worden. Möglich ist es auch, daß sich hin und wieder ein Raufbold findet, der, im Gegensatz zu Shylocks Aus¬ spruch: Mein Geld ist meine Ehre, alles Ernstes erklärt: Meine Ehre ist mein Degen und meine sicher treffende Pistole. Aber mit solchen Leuten haben wir es hier nicht zu thun. Wie weit entfernt von diesem Staudpunkte jene Herren sind, beweist übrigens gerade der Umstand, daß sie allen Standesgenossen ohne Ausnahme, nicht bloß den starken und gewaltigen unter ihnen, jene rätselhafte Ehre mit ihren Rechten und Pflichten zuerkennen. Dadurch werden die schwachen, namentlich die im Gebrauche der Waffen unerfahrnen oder ungeübten, in die seltsame Lage versetzt, die ihnen völlig unangemessene Rolle der Starken spielen, also da Mut zeigen zu müssen, wo man ihn vernünftigerweise von ihnen nicht verlangen kann. Denn Mut ist der Wille, einer Gefahr zu trotzen, die man nach seinen Fähigkeiten überwinden kaun, und Mangel an Mut wird — selbst von denen, die auch da Mut verlangen, wo es nicht notwendig ist, ihn zu zeigen — als Feigheit nur an dem getadelt, der der Gefahr ausweicht, ob¬ wohl er imstande ist, sie zu bestehen, der also seinen Fähigkeiten mißtraut. So wird man dem nicht Feigheit vorwerfen, der es ablehnt, einem Ertrinkender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/322>, abgerufen am 23.06.2024.