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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Lhre und der Iweikamxf

Macht äußern könnte, würde man diese doch bald sehr unangenehm empfinden,
da man nun doch einmal in der Welt, die, wie bekannt, im argen liegt, zu
leben hat. Kein Zweifel also, daß das, was sie über den Einzelnen urteilt,
ihn persönlich berührt und, wenn es auf Verleumdung beruht, von ihm als
Verletzung seiner Ehre empfunden werden muß. Da diese von der Persönlich¬
keit untrennbar ist, so liegt in der Verleumdung offenbar auch eine Verletzung
der Persönlichkeit. Daraus folgt aber nicht, daß die andern, oben erwähnten
Fälle einer solchen gleichzeitig eine Verletzung der Ehre bilden. Wenn jemand
z. B. von einem andern geprügelt wird, so ist das ein roher Angriff gegen seine
Person, dessen Anblick bei dem Pöbel Schadenfreude, in dem edeln Menschen
Mitleid und Empörung wachrufen wird; aber daß aus dieser Veranlassung
bei irgend einem andern die Meinung über die sittlichen Eigenschaften des
Gemißhandelten verschlimmert werden könnte, wird sich schlechterdings nicht
behaupten lassen, und es ist deshalb völlig verkehrt, hier von einer Ehrver¬
letzung zu sprechen. Aus demselben Grunde muß -- nebenbei bemerkt -- der
Begriff der sogenannten entehrenden Strafen, als die man die Prügelstrafe,
die früher gebräuchliche Prangerstrafe u. f. w. bezeichnet, als widersinnig erachtet
werden- Nicht die Strafe entehrt, sondern die That, für die sie verhängt
wird, und als deren angemessene Sühne sie von dem Inhaber der Strafgewalt
angesehen worden ist. Man kann darüber streiten, ob Strafen jener Art in
der That angemessen und zweckentsprechend seien, sie aber als entehrend zu
bezeichnen, widerstrebt geradezu den Denkgesetzen.

Was von den thätlichen Beleidigungen gilt, trifft im allgemeinen auch
bei denen zu, die durch Worte oder Zeichen verübt werden: sie verletzen die
Person, lasten aber ihre Ehre unberührt. Nur solche Schimpfreden sind aller¬
dings auch als ehrenkränkend anzusehen, die, wie sich Schopenhauer ausdrückt,
eine summarische Verleumdung bilden, d. h. die allgemeine Behauptung dieser
oder jener Thatsache in sich schließen, die den andern verächtlich zu machen
oder in der öffentlichen Meinung herabzusetzen geeignet ist. So, wenn einer
den andern Dieb, Betrüger, Ehebrecher u. dergl. schimpft. Den für gewöhnlich
gebrauchten Schimpfworten fehlt dieses Merkmal; sie sind nichts als sinnlose,
rohe Äußerungen der Mißachtung.

Es kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden, daß die Ehre
nur in einer Meinung andrer Menschen besteht, und daß sie deshalb, außer
durch das eigne Verhalten, einzig und allein durch die Verleumdung, die jene
Meinung irreführt, geschädigt oder geraubt werden kann. Denn hiernach läßt
sich beurteilen, durch welche Mittel sie wiederherzustellen oder zurückzugewinnen
ist. Offenbar kann das nur dadurch geschehen, daß die Meinung der Welt
berichtigt wird. Das läßt sich unzweifelhaft dadurch erreichen, daß die ehren¬
rühriger Behauptungen in einer Weise als unwahr erwiesen werden, die jeden
vernünftigen Menschen überzeugen muß; daß sich etwa einer oder der andre


Die Lhre und der Iweikamxf

Macht äußern könnte, würde man diese doch bald sehr unangenehm empfinden,
da man nun doch einmal in der Welt, die, wie bekannt, im argen liegt, zu
leben hat. Kein Zweifel also, daß das, was sie über den Einzelnen urteilt,
ihn persönlich berührt und, wenn es auf Verleumdung beruht, von ihm als
Verletzung seiner Ehre empfunden werden muß. Da diese von der Persönlich¬
keit untrennbar ist, so liegt in der Verleumdung offenbar auch eine Verletzung
der Persönlichkeit. Daraus folgt aber nicht, daß die andern, oben erwähnten
Fälle einer solchen gleichzeitig eine Verletzung der Ehre bilden. Wenn jemand
z. B. von einem andern geprügelt wird, so ist das ein roher Angriff gegen seine
Person, dessen Anblick bei dem Pöbel Schadenfreude, in dem edeln Menschen
Mitleid und Empörung wachrufen wird; aber daß aus dieser Veranlassung
bei irgend einem andern die Meinung über die sittlichen Eigenschaften des
Gemißhandelten verschlimmert werden könnte, wird sich schlechterdings nicht
behaupten lassen, und es ist deshalb völlig verkehrt, hier von einer Ehrver¬
letzung zu sprechen. Aus demselben Grunde muß — nebenbei bemerkt — der
Begriff der sogenannten entehrenden Strafen, als die man die Prügelstrafe,
die früher gebräuchliche Prangerstrafe u. f. w. bezeichnet, als widersinnig erachtet
werden- Nicht die Strafe entehrt, sondern die That, für die sie verhängt
wird, und als deren angemessene Sühne sie von dem Inhaber der Strafgewalt
angesehen worden ist. Man kann darüber streiten, ob Strafen jener Art in
der That angemessen und zweckentsprechend seien, sie aber als entehrend zu
bezeichnen, widerstrebt geradezu den Denkgesetzen.

Was von den thätlichen Beleidigungen gilt, trifft im allgemeinen auch
bei denen zu, die durch Worte oder Zeichen verübt werden: sie verletzen die
Person, lasten aber ihre Ehre unberührt. Nur solche Schimpfreden sind aller¬
dings auch als ehrenkränkend anzusehen, die, wie sich Schopenhauer ausdrückt,
eine summarische Verleumdung bilden, d. h. die allgemeine Behauptung dieser
oder jener Thatsache in sich schließen, die den andern verächtlich zu machen
oder in der öffentlichen Meinung herabzusetzen geeignet ist. So, wenn einer
den andern Dieb, Betrüger, Ehebrecher u. dergl. schimpft. Den für gewöhnlich
gebrauchten Schimpfworten fehlt dieses Merkmal; sie sind nichts als sinnlose,
rohe Äußerungen der Mißachtung.

Es kann nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden, daß die Ehre
nur in einer Meinung andrer Menschen besteht, und daß sie deshalb, außer
durch das eigne Verhalten, einzig und allein durch die Verleumdung, die jene
Meinung irreführt, geschädigt oder geraubt werden kann. Denn hiernach läßt
sich beurteilen, durch welche Mittel sie wiederherzustellen oder zurückzugewinnen
ist. Offenbar kann das nur dadurch geschehen, daß die Meinung der Welt
berichtigt wird. Das läßt sich unzweifelhaft dadurch erreichen, daß die ehren¬
rühriger Behauptungen in einer Weise als unwahr erwiesen werden, die jeden
vernünftigen Menschen überzeugen muß; daß sich etwa einer oder der andre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/315>, abgerufen am 23.06.2024.