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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der Zug nach dem Vsten

Die ganze Balkanhalbinsel, reich an kulturfähigem Boden und verhältnis¬
mäßig schwach bevölkert, mit einem milden Klima, das durch regem Anbau
des Landes mich von den Nachteilen der Malaria befreit werden kann, bietet
Raum und günstige Verhältnisse für die Einwanderung. Die kleinen Balkan¬
staaten, die sich dem Einfluß Rußlands entzogen haben, werden und können
ihr keinen Widerstand entgegensetzen. Und warum soll man nicht, dem nüch¬
ternen Realpolitiker zum Trotz, den Blick noch weiter schweifen lassen, wenn
eine elementare Macht diesen Zug nach Osten wach ruft und zu weitern Be¬
setzungen drängt? Die Jahre der Herrschaft des Halbmonds auf europäischem
Boden sind gezählt. Ist es eine Utopie, darauf hinzuweisen, daß der Keil
deutscher Einwanderung bis Salonichi und an den Bosporus vordringen kann
und über ihn hinaus in die alten, jetzt verödeten Kulturstätten Kleinasiens,
und daß diese unter den fleißigen Händen deutscher Arbeiter und durch die
Intelligenz der deutschen Bildung zu neuem Leben erweckt werden könnten?
Diesem Zuge nach Osten sind keine engen Grenzen gesetzt. Die türkische Gleich-
giltigkeit und Unfähigkeit, selbst das Vorhandne zu erhalten, geschweige denn
Neues zu schaffen, muß der Kultur weichen; das räuberische Gesindel der
Kurden und andrer Bergvölker des Taurus vermag ebenso wenig den Fort¬
schritt aufzuhalten. Was könnte in den von der Natur so reich bedachten
transkaukasischeu Provinzen, deren Kultivirung und Ausbeutung den Russen
bei ihrem Mangel an Unternehmungsgeist und organisatorischem Talent nicht
gelingen will -- was könnte in jenen Gebieten geschaffen werden, wenn sich
der deutsche Pionier ihrer bemächtigte, lehr sg-owrus


xsr iodospitÄlsm
L-UKÄZllill oft qug,s long, lÄbiilosug
I^ambit H^ÄSpos.

Mancher wird sagen, das heiße denn doch der Phantasie zu sehr die Zügel
schießen lassein müssen wir Deutschen uns nicht verteidigen gegen den russischen
Koloß, der, stets zum Ausfall gerüstet, mit enormen Truppenmassen seine
Westgrenze besetzt hält? Wie soll unter solchen Umständen, mit dem vcr-
geltungslüsternen Frankreich im Rücken, Deutschland eine solche Politik treiben!

Es handelt sich hier nicht um die augenblickliche politische Lage, um die
Schachzüge der Diplomatie, sondern um Erwägung von Möglichkeiten, die in sich
die Keime zu neuen Gestaltungen enthalten und diese mit Notwendigkeit entwickeln
werden. Sehr wohl könnte das germanische Element auf friedlichem Wege nach
Osten vordringen. Der alte Reichskanzler hat noch kürzlich wieder das sla¬
wische Naturell mit dem weiblichen verglichen und darauf hingewiesen, daß der
Germane befruchtend wirke, wo Natur und Geschichte die beiden Stämme zu¬
sammengeführt haben. An den Tschechen, Slowenen und andern slawischen
Völkerschaften habe sich diese Ausfassung bewahrt. Solch ein günstiger Einfluß


Der Zug nach dem Vsten

Die ganze Balkanhalbinsel, reich an kulturfähigem Boden und verhältnis¬
mäßig schwach bevölkert, mit einem milden Klima, das durch regem Anbau
des Landes mich von den Nachteilen der Malaria befreit werden kann, bietet
Raum und günstige Verhältnisse für die Einwanderung. Die kleinen Balkan¬
staaten, die sich dem Einfluß Rußlands entzogen haben, werden und können
ihr keinen Widerstand entgegensetzen. Und warum soll man nicht, dem nüch¬
ternen Realpolitiker zum Trotz, den Blick noch weiter schweifen lassen, wenn
eine elementare Macht diesen Zug nach Osten wach ruft und zu weitern Be¬
setzungen drängt? Die Jahre der Herrschaft des Halbmonds auf europäischem
Boden sind gezählt. Ist es eine Utopie, darauf hinzuweisen, daß der Keil
deutscher Einwanderung bis Salonichi und an den Bosporus vordringen kann
und über ihn hinaus in die alten, jetzt verödeten Kulturstätten Kleinasiens,
und daß diese unter den fleißigen Händen deutscher Arbeiter und durch die
Intelligenz der deutschen Bildung zu neuem Leben erweckt werden könnten?
Diesem Zuge nach Osten sind keine engen Grenzen gesetzt. Die türkische Gleich-
giltigkeit und Unfähigkeit, selbst das Vorhandne zu erhalten, geschweige denn
Neues zu schaffen, muß der Kultur weichen; das räuberische Gesindel der
Kurden und andrer Bergvölker des Taurus vermag ebenso wenig den Fort¬
schritt aufzuhalten. Was könnte in den von der Natur so reich bedachten
transkaukasischeu Provinzen, deren Kultivirung und Ausbeutung den Russen
bei ihrem Mangel an Unternehmungsgeist und organisatorischem Talent nicht
gelingen will — was könnte in jenen Gebieten geschaffen werden, wenn sich
der deutsche Pionier ihrer bemächtigte, lehr sg-owrus


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L-UKÄZllill oft qug,s long, lÄbiilosug
I^ambit H^ÄSpos.

Mancher wird sagen, das heiße denn doch der Phantasie zu sehr die Zügel
schießen lassein müssen wir Deutschen uns nicht verteidigen gegen den russischen
Koloß, der, stets zum Ausfall gerüstet, mit enormen Truppenmassen seine
Westgrenze besetzt hält? Wie soll unter solchen Umständen, mit dem vcr-
geltungslüsternen Frankreich im Rücken, Deutschland eine solche Politik treiben!

Es handelt sich hier nicht um die augenblickliche politische Lage, um die
Schachzüge der Diplomatie, sondern um Erwägung von Möglichkeiten, die in sich
die Keime zu neuen Gestaltungen enthalten und diese mit Notwendigkeit entwickeln
werden. Sehr wohl könnte das germanische Element auf friedlichem Wege nach
Osten vordringen. Der alte Reichskanzler hat noch kürzlich wieder das sla¬
wische Naturell mit dem weiblichen verglichen und darauf hingewiesen, daß der
Germane befruchtend wirke, wo Natur und Geschichte die beiden Stämme zu¬
sammengeführt haben. An den Tschechen, Slowenen und andern slawischen
Völkerschaften habe sich diese Ausfassung bewahrt. Solch ein günstiger Einfluß


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[0308] Der Zug nach dem Vsten Die ganze Balkanhalbinsel, reich an kulturfähigem Boden und verhältnis¬ mäßig schwach bevölkert, mit einem milden Klima, das durch regem Anbau des Landes mich von den Nachteilen der Malaria befreit werden kann, bietet Raum und günstige Verhältnisse für die Einwanderung. Die kleinen Balkan¬ staaten, die sich dem Einfluß Rußlands entzogen haben, werden und können ihr keinen Widerstand entgegensetzen. Und warum soll man nicht, dem nüch¬ ternen Realpolitiker zum Trotz, den Blick noch weiter schweifen lassen, wenn eine elementare Macht diesen Zug nach Osten wach ruft und zu weitern Be¬ setzungen drängt? Die Jahre der Herrschaft des Halbmonds auf europäischem Boden sind gezählt. Ist es eine Utopie, darauf hinzuweisen, daß der Keil deutscher Einwanderung bis Salonichi und an den Bosporus vordringen kann und über ihn hinaus in die alten, jetzt verödeten Kulturstätten Kleinasiens, und daß diese unter den fleißigen Händen deutscher Arbeiter und durch die Intelligenz der deutschen Bildung zu neuem Leben erweckt werden könnten? Diesem Zuge nach Osten sind keine engen Grenzen gesetzt. Die türkische Gleich- giltigkeit und Unfähigkeit, selbst das Vorhandne zu erhalten, geschweige denn Neues zu schaffen, muß der Kultur weichen; das räuberische Gesindel der Kurden und andrer Bergvölker des Taurus vermag ebenso wenig den Fort¬ schritt aufzuhalten. Was könnte in den von der Natur so reich bedachten transkaukasischeu Provinzen, deren Kultivirung und Ausbeutung den Russen bei ihrem Mangel an Unternehmungsgeist und organisatorischem Talent nicht gelingen will — was könnte in jenen Gebieten geschaffen werden, wenn sich der deutsche Pionier ihrer bemächtigte, lehr sg-owrus xsr iodospitÄlsm L-UKÄZllill oft qug,s long, lÄbiilosug I^ambit H^ÄSpos. Mancher wird sagen, das heiße denn doch der Phantasie zu sehr die Zügel schießen lassein müssen wir Deutschen uns nicht verteidigen gegen den russischen Koloß, der, stets zum Ausfall gerüstet, mit enormen Truppenmassen seine Westgrenze besetzt hält? Wie soll unter solchen Umständen, mit dem vcr- geltungslüsternen Frankreich im Rücken, Deutschland eine solche Politik treiben! Es handelt sich hier nicht um die augenblickliche politische Lage, um die Schachzüge der Diplomatie, sondern um Erwägung von Möglichkeiten, die in sich die Keime zu neuen Gestaltungen enthalten und diese mit Notwendigkeit entwickeln werden. Sehr wohl könnte das germanische Element auf friedlichem Wege nach Osten vordringen. Der alte Reichskanzler hat noch kürzlich wieder das sla¬ wische Naturell mit dem weiblichen verglichen und darauf hingewiesen, daß der Germane befruchtend wirke, wo Natur und Geschichte die beiden Stämme zu¬ sammengeführt haben. An den Tschechen, Slowenen und andern slawischen Völkerschaften habe sich diese Ausfassung bewahrt. Solch ein günstiger Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/308>, abgerufen am 23.06.2024.