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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Der erste Beste

Margarete stand auf und wandte sich um. Der da in der Abenddämme¬
rung in der Thür stand --

Du! schrie sie auf und wurde totenblaß.

Im nächsten Augenblick lag sie an seiner Brust, lag an seinem Munde.
Das Leben verging ihr in diesem Kuß. Nie mehr von dir! dachte sie noch.
Dann wurde es still.

Als sie die Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf seinem Schoß, noch
fest in seinen Armen. Die Mutter war nicht mehr da. Er lächelte sie an
und nickte, noch stumm. Sie seufzte tief auf und schlang den freien Arm um
seinen Nacken.

Sprich zu mir! bat sie. Es klang, als ob ein Verdurstender sagt: Gieb
mir zu trinken.

Mein Liebling, murmelte er zärtlich, bist erschrocken, armes kleines Ding?

Sie nickte mit glückseligen Lächeln.

Und ist dir wieder gut? Du warst mir ganz weg einen Augenblick.
Wo warst du denn hin, sag?

Zu dir! flüsterte sie. Sie wandte den dunkel strahlenden Blick nicht von
ihm. Ich habe dich sehr lieb, sagte sie dann etwas lauter, mit weicher Stimme,
ich wollte es dir schon lange sagen, ich wollte -- ich habe dich sehr lieb --
ein zitterndes Aufschluchzen nahm ihr die Worte wieder weg.

Er zog sie aufs neue an sich, so heftig, daß es ihr fast weh that. Aber
küß mich nur tot! ging es in dieser seligen Atemlosigkeit durch sie hin.

Glaubst du mir jetzt? fragte sie, als sie wieder sprechen konnte, als er
sie wieder sprechen ließ.

Was?

Daß ich dein bin. Und willst du nie mehr denken -- das andre meine
ich, das Häßliche?

Nie. Ich Habs ja schon nicht mehr gedacht. Wär ich sonst gekommen?
Es war nur ein böser Augenblick. Ich wollte dann uns beide prüfen. Aber
ich hielts nicht aus. Es riß mich. Ich mußte zu meiner Grete.

Voll glückseliger Dankbarkeit sah sie ihn ein Weilchen stumm an. In
ihrem tieferblnßten Gesicht begannen die Rosen wieder aufzubinden. Leise,
fast zaghaft legte sie beide Arme um seinen Hals.

Und du verzeihst mir? fragte sie bittend.

Was in aller Welt, du lieber Narr?

O so vieles, Fritz, die ganze böse, erste Zeit -- du weißt Wohl, was
ich meine.

Er schien sich zu besinnen; mit seinem sonnigen Lächeln leuchtete er ihr
tief in die Angen.

Gieb mir ganz von selbst einen Kuß, sagte er dann leise, dann will ich
sehen, ob ich dir "verzeihen" kann.

Sie erglühte. Hab ich dir denn noch keinen gegeben? flüsterte sie. Mit
geschlossenen Augen bot sie ihm den Mund. Er umschlang sie sanft und
nahm sie ans Herz.

Ich muß dich noch etwas fragen, sagte Margarete nach einer langen
Weile, dicht an seine Schulter geschmiegt.

Nun?

Du weißt doch noch den Tag, wo du das Datum neben dem Vers ge¬
lesen hast?


Grenzboten III 189S 37
Der erste Beste

Margarete stand auf und wandte sich um. Der da in der Abenddämme¬
rung in der Thür stand —

Du! schrie sie auf und wurde totenblaß.

Im nächsten Augenblick lag sie an seiner Brust, lag an seinem Munde.
Das Leben verging ihr in diesem Kuß. Nie mehr von dir! dachte sie noch.
Dann wurde es still.

Als sie die Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf seinem Schoß, noch
fest in seinen Armen. Die Mutter war nicht mehr da. Er lächelte sie an
und nickte, noch stumm. Sie seufzte tief auf und schlang den freien Arm um
seinen Nacken.

Sprich zu mir! bat sie. Es klang, als ob ein Verdurstender sagt: Gieb
mir zu trinken.

Mein Liebling, murmelte er zärtlich, bist erschrocken, armes kleines Ding?

Sie nickte mit glückseligen Lächeln.

Und ist dir wieder gut? Du warst mir ganz weg einen Augenblick.
Wo warst du denn hin, sag?

Zu dir! flüsterte sie. Sie wandte den dunkel strahlenden Blick nicht von
ihm. Ich habe dich sehr lieb, sagte sie dann etwas lauter, mit weicher Stimme,
ich wollte es dir schon lange sagen, ich wollte — ich habe dich sehr lieb —
ein zitterndes Aufschluchzen nahm ihr die Worte wieder weg.

Er zog sie aufs neue an sich, so heftig, daß es ihr fast weh that. Aber
küß mich nur tot! ging es in dieser seligen Atemlosigkeit durch sie hin.

Glaubst du mir jetzt? fragte sie, als sie wieder sprechen konnte, als er
sie wieder sprechen ließ.

Was?

Daß ich dein bin. Und willst du nie mehr denken — das andre meine
ich, das Häßliche?

Nie. Ich Habs ja schon nicht mehr gedacht. Wär ich sonst gekommen?
Es war nur ein böser Augenblick. Ich wollte dann uns beide prüfen. Aber
ich hielts nicht aus. Es riß mich. Ich mußte zu meiner Grete.

Voll glückseliger Dankbarkeit sah sie ihn ein Weilchen stumm an. In
ihrem tieferblnßten Gesicht begannen die Rosen wieder aufzubinden. Leise,
fast zaghaft legte sie beide Arme um seinen Hals.

Und du verzeihst mir? fragte sie bittend.

Was in aller Welt, du lieber Narr?

O so vieles, Fritz, die ganze böse, erste Zeit — du weißt Wohl, was
ich meine.

Er schien sich zu besinnen; mit seinem sonnigen Lächeln leuchtete er ihr
tief in die Angen.

Gieb mir ganz von selbst einen Kuß, sagte er dann leise, dann will ich
sehen, ob ich dir „verzeihen" kann.

Sie erglühte. Hab ich dir denn noch keinen gegeben? flüsterte sie. Mit
geschlossenen Augen bot sie ihm den Mund. Er umschlang sie sanft und
nahm sie ans Herz.

Ich muß dich noch etwas fragen, sagte Margarete nach einer langen
Weile, dicht an seine Schulter geschmiegt.

Nun?

Du weißt doch noch den Tag, wo du das Datum neben dem Vers ge¬
lesen hast?


Grenzboten III 189S 37
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[0297] Der erste Beste Margarete stand auf und wandte sich um. Der da in der Abenddämme¬ rung in der Thür stand — Du! schrie sie auf und wurde totenblaß. Im nächsten Augenblick lag sie an seiner Brust, lag an seinem Munde. Das Leben verging ihr in diesem Kuß. Nie mehr von dir! dachte sie noch. Dann wurde es still. Als sie die Augen wieder aufschlug, fand sie sich auf seinem Schoß, noch fest in seinen Armen. Die Mutter war nicht mehr da. Er lächelte sie an und nickte, noch stumm. Sie seufzte tief auf und schlang den freien Arm um seinen Nacken. Sprich zu mir! bat sie. Es klang, als ob ein Verdurstender sagt: Gieb mir zu trinken. Mein Liebling, murmelte er zärtlich, bist erschrocken, armes kleines Ding? Sie nickte mit glückseligen Lächeln. Und ist dir wieder gut? Du warst mir ganz weg einen Augenblick. Wo warst du denn hin, sag? Zu dir! flüsterte sie. Sie wandte den dunkel strahlenden Blick nicht von ihm. Ich habe dich sehr lieb, sagte sie dann etwas lauter, mit weicher Stimme, ich wollte es dir schon lange sagen, ich wollte — ich habe dich sehr lieb — ein zitterndes Aufschluchzen nahm ihr die Worte wieder weg. Er zog sie aufs neue an sich, so heftig, daß es ihr fast weh that. Aber küß mich nur tot! ging es in dieser seligen Atemlosigkeit durch sie hin. Glaubst du mir jetzt? fragte sie, als sie wieder sprechen konnte, als er sie wieder sprechen ließ. Was? Daß ich dein bin. Und willst du nie mehr denken — das andre meine ich, das Häßliche? Nie. Ich Habs ja schon nicht mehr gedacht. Wär ich sonst gekommen? Es war nur ein böser Augenblick. Ich wollte dann uns beide prüfen. Aber ich hielts nicht aus. Es riß mich. Ich mußte zu meiner Grete. Voll glückseliger Dankbarkeit sah sie ihn ein Weilchen stumm an. In ihrem tieferblnßten Gesicht begannen die Rosen wieder aufzubinden. Leise, fast zaghaft legte sie beide Arme um seinen Hals. Und du verzeihst mir? fragte sie bittend. Was in aller Welt, du lieber Narr? O so vieles, Fritz, die ganze böse, erste Zeit — du weißt Wohl, was ich meine. Er schien sich zu besinnen; mit seinem sonnigen Lächeln leuchtete er ihr tief in die Angen. Gieb mir ganz von selbst einen Kuß, sagte er dann leise, dann will ich sehen, ob ich dir „verzeihen" kann. Sie erglühte. Hab ich dir denn noch keinen gegeben? flüsterte sie. Mit geschlossenen Augen bot sie ihm den Mund. Er umschlang sie sanft und nahm sie ans Herz. Ich muß dich noch etwas fragen, sagte Margarete nach einer langen Weile, dicht an seine Schulter geschmiegt. Nun? Du weißt doch noch den Tag, wo du das Datum neben dem Vers ge¬ lesen hast? Grenzboten III 189S 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/297>, abgerufen am 23.06.2024.