Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Der erste Beste stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬ Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬ Sehr gern, gleich, aus der Stelle. Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst -- so schloß sie die stumme Froher -- wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden; Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬ Dann aber -- nach einigen Minuten -- sagte sie ruhig, während sie die Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. -- Es ist ja nur -- Und darum weinst du? -- Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten Ach Mama! Du weißt ja nicht -- ich konnte dir das nicht schreiben -- Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬ Sie schluchzte von neuem bitterlich. Der erste Beste stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬ Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬ Sehr gern, gleich, aus der Stelle. Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst — so schloß sie die stumme Froher — wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden; Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬ Dann aber — nach einigen Minuten — sagte sie ruhig, während sie die Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. — Es ist ja nur — Und darum weinst du? — Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten Ach Mama! Du weißt ja nicht — ich konnte dir das nicht schreiben — Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬ Sie schluchzte von neuem bitterlich. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220620"/> <fw type="header" place="top"> Der erste Beste</fw><lb/> <p xml:id="ID_1210" prev="#ID_1209"> stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬<lb/> same Wehmuthschatten die Freude überhauchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1211"> Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬<lb/> dem das erste Hin und Her über die langweilige Fahrt, das Ansteigen, das<lb/> Warten, die Hitze unterwegs u. s. w. abgethan war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1212"> Sehr gern, gleich, aus der Stelle.</p><lb/> <p xml:id="ID_1213"> Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell<lb/> wieder geschlossenen Lippen verriet, was sie verschweigen wollten: ach, allzu<lb/> gern hat ers erlaubt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1214"> Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern<lb/> Ende des Zimmers sein sammetnes Hauskäppchen voni Kamin geholt hatte,<lb/> wenn du der Lina draußen ein Wort wegen des Abendbrotes sagen wolltest.<lb/> Nicht zu spat, ja?</p><lb/> <p xml:id="ID_1215"> Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm<lb/> geehrten Gesichtskreis; habe noch Akten durchzusehen, die meuchlings gekommen<lb/> sind. Also gute Verrichtung! Nach dem Essen kommen dann meine An¬<lb/> sprüche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1216"> Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der<lb/> Lampe in die Höhe und betrachtete aufmerksam Margaretens Gesicht, das ihr<lb/> jetzt, leicht erblaßt, aus großen, etwas ängstlichen Angen unsicher lächelnd<lb/> entgegensah.</p><lb/> <p xml:id="ID_1217"> Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst — so schloß sie die stumme<lb/> Prüfung —, daran mag die Fahrt in der Hitze und dem Staub schuld sein.<lb/> Aber — fügte sie mit ernster werdendem Blick hinzu: froher hätt ich dich<lb/> gewünscht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1218"> Froher — wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden;<lb/> sie blickte an der Mutter vorbei, ins Weite. Dann hob sich ihre Brust in<lb/> einem tiefen Atemzug, sie drückte plötzlich die Hände ans Gesicht und brach<lb/> in Schluchzen aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_1219"> Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬<lb/> zogen und hielt sie nun in den Armen, an ihre Schalter gedrückt, ohne sich<lb/> zu rühren. Sie hörte wohl, daß da erst viele Thränen ins Freie wollten,<lb/> die gefangen gesessen hatten. Und so wartete sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1220"> Dann aber — nach einigen Minuten — sagte sie ruhig, während sie die<lb/> Arme ein wenig sinken ließ: So, nun ists genug. Nun sprich, was quält<lb/> dich, mein Kind!</p><lb/> <p xml:id="ID_1221"> Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. — Es ist ja nur —<lb/> stieß sie heraus, es ist ja nur — daß ich ihn so lieb habe, Mama!</p><lb/> <p xml:id="ID_1222"> Und darum weinst du? — Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten<lb/> Erstaunen zurück. Aber du unglaubliches kleines Schaf, dann ist ja alles in<lb/> schönster Ordnung!</p><lb/> <p xml:id="ID_1223"> Ach Mama! Du weißt ja nicht — ich konnte dir das nicht schreiben —</p><lb/> <p xml:id="ID_1224"> Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich<lb/> freilich nicht viel entnehmen — oder vielleicht zu viel, mehr, als du wolltest —</p><lb/> <p xml:id="ID_1225"> Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬<lb/> zeih! es war mir ja auch so schwer. Aber sieh, ich dachte, über unfertige<lb/> Dinge — und ich hoffte ja auch eine Zeit lang — zu Anfang war ich zu<lb/> traurig, zu unglücklich — und jetzt ist alles wieder aus!</p><lb/> <p xml:id="ID_1226"> Sie schluchzte von neuem bitterlich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Der erste Beste
stillen, aufmerksamen Blick in das erregte Gesicht der Tochter, in dem selt¬
same Wehmuthschatten die Freude überhauchten.
Er hat dir also gern erlaubt, herzukommen, dein Fritz? fragte sie, nach¬
dem das erste Hin und Her über die langweilige Fahrt, das Ansteigen, das
Warten, die Hitze unterwegs u. s. w. abgethan war.
Sehr gern, gleich, aus der Stelle.
Es kam ziemlich gedrückt heraus, ziemlich tonlos; das Zittern der schnell
wieder geschlossenen Lippen verriet, was sie verschweigen wollten: ach, allzu
gern hat ers erlaubt!
Lieber Papa, sagte Frau Heidenreich zu ihrem Mann, der am andern
Ende des Zimmers sein sammetnes Hauskäppchen voni Kamin geholt hatte,
wenn du der Lina draußen ein Wort wegen des Abendbrotes sagen wolltest.
Nicht zu spat, ja?
Will ich, Mamachen. Überhaupt verschwinde ich zunächst aus euerm
geehrten Gesichtskreis; habe noch Akten durchzusehen, die meuchlings gekommen
sind. Also gute Verrichtung! Nach dem Essen kommen dann meine An¬
sprüche.
Als der alte Herr hinaus war, hob Frau Heidenreich den Schleier der
Lampe in die Höhe und betrachtete aufmerksam Margaretens Gesicht, das ihr
jetzt, leicht erblaßt, aus großen, etwas ängstlichen Angen unsicher lächelnd
entgegensah.
Daß du nicht sehr Wohl und frisch aussiehst — so schloß sie die stumme
Prüfung —, daran mag die Fahrt in der Hitze und dem Staub schuld sein.
Aber — fügte sie mit ernster werdendem Blick hinzu: froher hätt ich dich
gewünscht.
Froher — wiederholte Margarete leise. Sie war noch blasser geworden;
sie blickte an der Mutter vorbei, ins Weite. Dann hob sich ihre Brust in
einem tiefen Atemzug, sie drückte plötzlich die Hände ans Gesicht und brach
in Schluchzen aus.
Die Mutter hatte, ohne ein Wort zu sagen, die Weinende an sich ge¬
zogen und hielt sie nun in den Armen, an ihre Schalter gedrückt, ohne sich
zu rühren. Sie hörte wohl, daß da erst viele Thränen ins Freie wollten,
die gefangen gesessen hatten. Und so wartete sie.
Dann aber — nach einigen Minuten — sagte sie ruhig, während sie die
Arme ein wenig sinken ließ: So, nun ists genug. Nun sprich, was quält
dich, mein Kind!
Margarete richtete sich auf und trocknete ihr Gesicht. — Es ist ja nur —
stieß sie heraus, es ist ja nur — daß ich ihn so lieb habe, Mama!
Und darum weinst du? — Frau Heidenreich lehnte sich wie im tiefsten
Erstaunen zurück. Aber du unglaubliches kleines Schaf, dann ist ja alles in
schönster Ordnung!
Ach Mama! Du weißt ja nicht — ich konnte dir das nicht schreiben —
Nein, aus deinen kurzen, dummen, ungenügenden Briefen konnte ich
freilich nicht viel entnehmen — oder vielleicht zu viel, mehr, als du wolltest —
Margarete faßte die Hand der Mutter und küßte sie leidenschaftlich. Ver¬
zeih! es war mir ja auch so schwer. Aber sieh, ich dachte, über unfertige
Dinge — und ich hoffte ja auch eine Zeit lang — zu Anfang war ich zu
traurig, zu unglücklich — und jetzt ist alles wieder aus!
Sie schluchzte von neuem bitterlich.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |