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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Am heiligen Damm

piff pass! und sie lag zappelnd auf der Erde. Der Jagdhund sprang hinzu
und brachte sie wieder zu dem Leichensammler. Sogleich eilte aber auch schon
der Rote hinzu und steckte ein neues Opfer für den edeln Scharf--schützen
in den verhängnisvollen Kasten. Und nun versuchte einer nach dem andern
seine Geschicklichkeit. Taube auf Taube fiel. Aber nicht alle stürzten gleich
beim Auffluge. Manche flog noch eine Strecke und taumelte außerhalb der
Umzäunung nieder: der gewissenhafte Jagdhund sprang rasch über den Zaun
dem flatternden Vogel nach und holte die Beute heran. Andre, die weiter
geflogen waren, wurden von Schuljungen verfolgt, die sich in wachsender Zahl
außerhalb des Zaunes am Walde zur Rechten angesammelt hatten. Was sie
erHaschen, gehört ihnen; sie sind daher eifrig hinter den angeschossenen, aber
entwischenden Vögeln her. Wie viele aber mögen sich auf die Bäume des
Waldes retten und sich tagelang zwischen Leben und Sterben quälen! Ob
denn keiner der Taubeuschützen, keine der edeln weiblichen Seelen -- denn auch
weichherzige Frauen beteiligen sich mitunter an dem Schießen --, keine von
diesen an die Leiden der anmutigen Vogel denken mag? Von einem zuver¬
lässigen Gewährsmann, der öfter in der Nähe des Schießplatzes gewohnt hat,
habe ich gehört, daß die Zahl der angeschossenen und elend umkommenden
Tiere keineswegs so gering sei, wie die Verteidiger des Taubensports behaupten,
und das läßt sich wohl begreifen, wenn man hört, daß jeden Sommer Tausende
von Tauben gemordet werden, jawohl, Tausende, und gemordet zum bloßen
Vergnügen. Wer diesem Massenmord harmloser Tiere zusieht und kein Ärgernis
daran nimmt, der hat einen dreifachen ehernen Panzer ums Herz. Was
gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügeu? heißt es in dem deutschesten
aller Singspiele. Schwerlich hätte der edle Weber die schöne Weise zur Ver¬
herrlichung der Jagd ersonnen, wenn er diese Jagdgenossen bei ihrer Schlächter¬
arbeit gesehen hätte. Als ich einem alten, allerdings nicht mecklenburgischen
Forstmann von dem Taubenschießen am heiligen Damm erzählte, entfloh dem
Gehege seiner Zähne ein kräftiger Jägerfluch.

Wie kommt es wohl, daß die mecklenburgische Regierung allein in ihrem
Lande diesen Unfug duldet? Ist man in dem gesegneten Lande zwischen Elbe
und Peene nachsichtiger als irgendwo anders? Und etwa deshalb, weil die
Unfugtreibendeu -- nach preußischer Polizeiauffassung Unfug treibenden --
die gebornen Gesetzgeber des Landes sind? Nein, ein Gesetzgeber, noch dazu
einer, der nach den Worten eines vom Volke in "ganz freier Wahl" gewählten
Reichsboten im Besitze einer Fülle von "Erbweisheit" ist, kann überhaupt
keinen Unfug treiben. Auch der Taubensport muß also wohl als geheiligte
"Tradition" augesehen werden. Aber sehr hoch ist ihr Alter noch nicht,
wenigstens finde ich in den lesenswerten Erinnerungen eines alten Dobercmer
Badegastes (des Freiherrn Julius Maltzan) nichts davon erwähnt. Oder sollte
der Verfasser so entartet sein, daß er das noble Vergnügen seiner Standes-


Am heiligen Damm

piff pass! und sie lag zappelnd auf der Erde. Der Jagdhund sprang hinzu
und brachte sie wieder zu dem Leichensammler. Sogleich eilte aber auch schon
der Rote hinzu und steckte ein neues Opfer für den edeln Scharf—schützen
in den verhängnisvollen Kasten. Und nun versuchte einer nach dem andern
seine Geschicklichkeit. Taube auf Taube fiel. Aber nicht alle stürzten gleich
beim Auffluge. Manche flog noch eine Strecke und taumelte außerhalb der
Umzäunung nieder: der gewissenhafte Jagdhund sprang rasch über den Zaun
dem flatternden Vogel nach und holte die Beute heran. Andre, die weiter
geflogen waren, wurden von Schuljungen verfolgt, die sich in wachsender Zahl
außerhalb des Zaunes am Walde zur Rechten angesammelt hatten. Was sie
erHaschen, gehört ihnen; sie sind daher eifrig hinter den angeschossenen, aber
entwischenden Vögeln her. Wie viele aber mögen sich auf die Bäume des
Waldes retten und sich tagelang zwischen Leben und Sterben quälen! Ob
denn keiner der Taubeuschützen, keine der edeln weiblichen Seelen — denn auch
weichherzige Frauen beteiligen sich mitunter an dem Schießen —, keine von
diesen an die Leiden der anmutigen Vogel denken mag? Von einem zuver¬
lässigen Gewährsmann, der öfter in der Nähe des Schießplatzes gewohnt hat,
habe ich gehört, daß die Zahl der angeschossenen und elend umkommenden
Tiere keineswegs so gering sei, wie die Verteidiger des Taubensports behaupten,
und das läßt sich wohl begreifen, wenn man hört, daß jeden Sommer Tausende
von Tauben gemordet werden, jawohl, Tausende, und gemordet zum bloßen
Vergnügen. Wer diesem Massenmord harmloser Tiere zusieht und kein Ärgernis
daran nimmt, der hat einen dreifachen ehernen Panzer ums Herz. Was
gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügeu? heißt es in dem deutschesten
aller Singspiele. Schwerlich hätte der edle Weber die schöne Weise zur Ver¬
herrlichung der Jagd ersonnen, wenn er diese Jagdgenossen bei ihrer Schlächter¬
arbeit gesehen hätte. Als ich einem alten, allerdings nicht mecklenburgischen
Forstmann von dem Taubenschießen am heiligen Damm erzählte, entfloh dem
Gehege seiner Zähne ein kräftiger Jägerfluch.

Wie kommt es wohl, daß die mecklenburgische Regierung allein in ihrem
Lande diesen Unfug duldet? Ist man in dem gesegneten Lande zwischen Elbe
und Peene nachsichtiger als irgendwo anders? Und etwa deshalb, weil die
Unfugtreibendeu — nach preußischer Polizeiauffassung Unfug treibenden —
die gebornen Gesetzgeber des Landes sind? Nein, ein Gesetzgeber, noch dazu
einer, der nach den Worten eines vom Volke in „ganz freier Wahl" gewählten
Reichsboten im Besitze einer Fülle von „Erbweisheit" ist, kann überhaupt
keinen Unfug treiben. Auch der Taubensport muß also wohl als geheiligte
„Tradition" augesehen werden. Aber sehr hoch ist ihr Alter noch nicht,
wenigstens finde ich in den lesenswerten Erinnerungen eines alten Dobercmer
Badegastes (des Freiherrn Julius Maltzan) nichts davon erwähnt. Oder sollte
der Verfasser so entartet sein, daß er das noble Vergnügen seiner Standes-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/242>, abgerufen am 24.06.2024.