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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Genossenschaft j)an und die allerinodernste Kunst

eignen Gedanken Revue Passiren - bis zur Ermüdung durch. Die Illu¬
strationen dazu von Th. Th. Heine sind dumme Witze, wie man sie sich wohl
in den Fliegenden Blättern, nicht aber in einer vornehmen Zeitschrift dieser
Art gefallen läßt. Detlev von Liliencron hat zwei lyrische Erzeugnisse bei¬
gesteuert, die nur geeignet sind, zu zeigen, wie wenig es dieser Dichter ver¬
steht oder -- beabsichtigt, eine einigermaßen einheitliche Stimmung festzuhalten.
Die Vision "Rabbi Jeschna" ist zwar stimmungsvoll angelegt, aber aus dieser
Stimmung werden wir grausam herausgerissen, wenn wir in dem Zuge nach
Golgatha eine Menge mittelalterlicher und moderner deutscher Figuren an uns
vorüberziehen sehen, wie z. B. Barone, Staatsanwälte, Bader, Dvktvres, einen
General, einen Bärenführer, die Purpursänste einer Edeldame, einen Fourier
aus Rom mit Staatsdepeschen, die alte Semmelfrau aus Jericho<!), Soldaten,
die vou der Felddienstttbung heimkehre", den Adjutanten von Pontius Pilntus
u. s. w., wenn wir die Worte des "Gassendichters" Bnrrabas an den gekreu¬
zigten Christus lesen: "Ja, hättest du wie unsereins verstanden, den Leuten
Spaß zu machen, alter Freund, du hingest nicht, ein schwerer Sack, am Holz.
Kerl, dein Genie hat dich ans Kreuz gebracht." Ich weiß uicht, ob es ge¬
schmackvoll war, Christus in dieser Weise gewissermaßen zum Vertreter einer
revolutionären Dichter- oder Litteratenschule zu machen, die von der bösen
Welt verkannt wird. Sollte aber der Dichter auf die alten Passionsspiele,
auf Schongauer und Dürer, auf Menzel und Abbe hinweisen, die ja auch die
biblischen Szenen modernisirt habe", so würde ich ihm erwidern, daß es ein
Unterschied ist, ob man die heiligen Szenen aus Ncalitätsdrang in die Gegenwart
versetzt und dabei wenigstens einen einheitlichen Stimmungston anstrebt, oder
ob man an den Haaren herbeigezogne moderne Verhältnisse auf die biblische"
Schilderunge" überträgt und dabei die Einheitlichkeit der Stimmung zerstört.
Auch in dem zweiten Beitrag Lilienerons, der den Titel "In Poggfred" führt, ver¬
misse ich gerade diese Einheitlichkeit der Stimmung und werde durch rohe Gegen¬
sätze beleidigt, wie z. V. durch folgende Strophe: "Nur einmal klingt mir
noch ein Sehnsuchtslied, Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit: Na so
wvllnmrnochemal(!) wollnmrnochemal, Heirassasa, L"feig sein, fröhlich sein.
Rassassasä!" Andre poetische Schöpfungen wie die "Terzinen" von Loris
verfallen wieder in das entgegengesetzte Extrem. Sie sind zwar einheitlich
stimmungsvoll, aber zu stimmungsvoll, so stimmungsvoll, daß man sie gar nicht
versteht. Die Worte machen den Eindruck, als wären sie gewissermaßen von
außen zu der Stimmung hinzugebracht worden, bloßer musikalischer Klang,
der gar nichts bedeutet.

Man kann sagen, daß die litterarischen Beitrüge dieser Hefte alle Fehler
"ut Unsicherheiten der "Moderne" gewissermaßen in kondensirter Form enthalte":
ungestümes Schwanken zwischen Brutalität und Vergeistigung, Nachahmungs-
sucht und gezwungner Originalität, Realismus und Romantik. Eine einfache


Die Genossenschaft j)an und die allerinodernste Kunst

eignen Gedanken Revue Passiren - bis zur Ermüdung durch. Die Illu¬
strationen dazu von Th. Th. Heine sind dumme Witze, wie man sie sich wohl
in den Fliegenden Blättern, nicht aber in einer vornehmen Zeitschrift dieser
Art gefallen läßt. Detlev von Liliencron hat zwei lyrische Erzeugnisse bei¬
gesteuert, die nur geeignet sind, zu zeigen, wie wenig es dieser Dichter ver¬
steht oder — beabsichtigt, eine einigermaßen einheitliche Stimmung festzuhalten.
Die Vision „Rabbi Jeschna" ist zwar stimmungsvoll angelegt, aber aus dieser
Stimmung werden wir grausam herausgerissen, wenn wir in dem Zuge nach
Golgatha eine Menge mittelalterlicher und moderner deutscher Figuren an uns
vorüberziehen sehen, wie z. B. Barone, Staatsanwälte, Bader, Dvktvres, einen
General, einen Bärenführer, die Purpursänste einer Edeldame, einen Fourier
aus Rom mit Staatsdepeschen, die alte Semmelfrau aus Jericho<!), Soldaten,
die vou der Felddienstttbung heimkehre», den Adjutanten von Pontius Pilntus
u. s. w., wenn wir die Worte des „Gassendichters" Bnrrabas an den gekreu¬
zigten Christus lesen: „Ja, hättest du wie unsereins verstanden, den Leuten
Spaß zu machen, alter Freund, du hingest nicht, ein schwerer Sack, am Holz.
Kerl, dein Genie hat dich ans Kreuz gebracht." Ich weiß uicht, ob es ge¬
schmackvoll war, Christus in dieser Weise gewissermaßen zum Vertreter einer
revolutionären Dichter- oder Litteratenschule zu machen, die von der bösen
Welt verkannt wird. Sollte aber der Dichter auf die alten Passionsspiele,
auf Schongauer und Dürer, auf Menzel und Abbe hinweisen, die ja auch die
biblischen Szenen modernisirt habe», so würde ich ihm erwidern, daß es ein
Unterschied ist, ob man die heiligen Szenen aus Ncalitätsdrang in die Gegenwart
versetzt und dabei wenigstens einen einheitlichen Stimmungston anstrebt, oder
ob man an den Haaren herbeigezogne moderne Verhältnisse auf die biblische»
Schilderunge» überträgt und dabei die Einheitlichkeit der Stimmung zerstört.
Auch in dem zweiten Beitrag Lilienerons, der den Titel „In Poggfred" führt, ver¬
misse ich gerade diese Einheitlichkeit der Stimmung und werde durch rohe Gegen¬
sätze beleidigt, wie z. V. durch folgende Strophe: „Nur einmal klingt mir
noch ein Sehnsuchtslied, Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit: Na so
wvllnmrnochemal(!) wollnmrnochemal, Heirassasa, L»feig sein, fröhlich sein.
Rassassasä!" Andre poetische Schöpfungen wie die „Terzinen" von Loris
verfallen wieder in das entgegengesetzte Extrem. Sie sind zwar einheitlich
stimmungsvoll, aber zu stimmungsvoll, so stimmungsvoll, daß man sie gar nicht
versteht. Die Worte machen den Eindruck, als wären sie gewissermaßen von
außen zu der Stimmung hinzugebracht worden, bloßer musikalischer Klang,
der gar nichts bedeutet.

Man kann sagen, daß die litterarischen Beitrüge dieser Hefte alle Fehler
»ut Unsicherheiten der „Moderne" gewissermaßen in kondensirter Form enthalte»:
ungestümes Schwanken zwischen Brutalität und Vergeistigung, Nachahmungs-
sucht und gezwungner Originalität, Realismus und Romantik. Eine einfache


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[0231] Die Genossenschaft j)an und die allerinodernste Kunst eignen Gedanken Revue Passiren - bis zur Ermüdung durch. Die Illu¬ strationen dazu von Th. Th. Heine sind dumme Witze, wie man sie sich wohl in den Fliegenden Blättern, nicht aber in einer vornehmen Zeitschrift dieser Art gefallen läßt. Detlev von Liliencron hat zwei lyrische Erzeugnisse bei¬ gesteuert, die nur geeignet sind, zu zeigen, wie wenig es dieser Dichter ver¬ steht oder — beabsichtigt, eine einigermaßen einheitliche Stimmung festzuhalten. Die Vision „Rabbi Jeschna" ist zwar stimmungsvoll angelegt, aber aus dieser Stimmung werden wir grausam herausgerissen, wenn wir in dem Zuge nach Golgatha eine Menge mittelalterlicher und moderner deutscher Figuren an uns vorüberziehen sehen, wie z. B. Barone, Staatsanwälte, Bader, Dvktvres, einen General, einen Bärenführer, die Purpursänste einer Edeldame, einen Fourier aus Rom mit Staatsdepeschen, die alte Semmelfrau aus Jericho<!), Soldaten, die vou der Felddienstttbung heimkehre», den Adjutanten von Pontius Pilntus u. s. w., wenn wir die Worte des „Gassendichters" Bnrrabas an den gekreu¬ zigten Christus lesen: „Ja, hättest du wie unsereins verstanden, den Leuten Spaß zu machen, alter Freund, du hingest nicht, ein schwerer Sack, am Holz. Kerl, dein Genie hat dich ans Kreuz gebracht." Ich weiß uicht, ob es ge¬ schmackvoll war, Christus in dieser Weise gewissermaßen zum Vertreter einer revolutionären Dichter- oder Litteratenschule zu machen, die von der bösen Welt verkannt wird. Sollte aber der Dichter auf die alten Passionsspiele, auf Schongauer und Dürer, auf Menzel und Abbe hinweisen, die ja auch die biblischen Szenen modernisirt habe», so würde ich ihm erwidern, daß es ein Unterschied ist, ob man die heiligen Szenen aus Ncalitätsdrang in die Gegenwart versetzt und dabei wenigstens einen einheitlichen Stimmungston anstrebt, oder ob man an den Haaren herbeigezogne moderne Verhältnisse auf die biblische» Schilderunge» überträgt und dabei die Einheitlichkeit der Stimmung zerstört. Auch in dem zweiten Beitrag Lilienerons, der den Titel „In Poggfred" führt, ver¬ misse ich gerade diese Einheitlichkeit der Stimmung und werde durch rohe Gegen¬ sätze beleidigt, wie z. V. durch folgende Strophe: „Nur einmal klingt mir noch ein Sehnsuchtslied, Ein Lied fernher, schon aus der Ewigkeit: Na so wvllnmrnochemal(!) wollnmrnochemal, Heirassasa, L»feig sein, fröhlich sein. Rassassasä!" Andre poetische Schöpfungen wie die „Terzinen" von Loris verfallen wieder in das entgegengesetzte Extrem. Sie sind zwar einheitlich stimmungsvoll, aber zu stimmungsvoll, so stimmungsvoll, daß man sie gar nicht versteht. Die Worte machen den Eindruck, als wären sie gewissermaßen von außen zu der Stimmung hinzugebracht worden, bloßer musikalischer Klang, der gar nichts bedeutet. Man kann sagen, daß die litterarischen Beitrüge dieser Hefte alle Fehler »ut Unsicherheiten der „Moderne" gewissermaßen in kondensirter Form enthalte»: ungestümes Schwanken zwischen Brutalität und Vergeistigung, Nachahmungs- sucht und gezwungner Originalität, Realismus und Romantik. Eine einfache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/231>, abgerufen am 28.07.2024.