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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Aeniitnis der englischen Meltpolitik

In ucuerworbnen Gebieten endlich verschwindet die Weiße Bevölkerung gar in
der farbigen, wie denn im Sululande 1889 auf 139000 Neger 527 Weiße
gezählt oder geschätzt wurden.

Angesichts solcher Zahle", die durch die immer klarer erkannte starke
natürliche Vermehrung der Neger erst ihre rechte Bedeutung erhalten, erscheint
die englische Politik der Begünstigung der Eingebornen, die so lange gegen
die Buren durchgeführt wurde, ohne aber die fast regelmäßig wiederkehrenden
blutigen Kaffern-, Sulu- und Vasutokricge überflüssig zu machen, in einem
seltsamen Lichte. Es kommt die Zeit, wo sie aufgegeben werden muß. Diese
Zeit ist um so sicherer zu erwarten, als die Mission eine viel weniger tief¬
gehende Besserung der Lebenslage und der Grundsätze dieser Leute herbei¬
geführt hat, als man einst glaubte. Die Mehrheit hängt dem alten heidnischen
Aberglauben an, arbeitet ungern und trägt immer mehr zur Entstehung eines
lustigen, oft schon recht frechen Proletariats bei, das mit der Zeit gefährlich
werden kann. In Südafrika, wo die Weißen mitten in der überquellenden Masse
der Neger wohnen, sieht man die Dinge längst anders an als in London. Dort
glaubt man nicht an die Wirksamkeit so kleiner Mittelchen, wie der Anregung
der Kaffern zur Arbeit durch Erleichterung der Verwandlung des Stammes-
in Eiuzelbesitz (Gesetz der Kapkolonie von 1894 -- also Rückschritt vom Kom¬
munismus!), dort sieht man nicht die politische Gleichberechtigung in der Ferne
auftauchen, sondern legt vielmehr (Wahlgesetz von Natal 1894) sogar den
Indern und Chinese" Schwierigkeiten bei der Ausübung des Wahlrechts in den
Weg. Man "ähert sich unmerklich, gesteht aber gerade das nicht gern ein, der
gesundem und im Grunde menschlichem Auffassung der Holländer, die den
Farbigen die dienende Stelle unter den Weißen anwiesen, dabei aber für ihre
religiöse Erziehung und Gesittung sorgten. Heute noch leugnet das Kap¬
ministerium mit Entrüstung, daß es dem Betschuanenhänptling Khcnna den
Branntwein aufzwinge, dessen Einfuhr er, ein alter Freund der Missionare,
verboten hat. Jeder weiß aber, daß bei deu niedrigen Zöllen der Kapkolonie
der Branntwein ein Haupthandelsartikel im Innern ist, den anch in Khamas
Land die wandernden Händler unter dem Schutze der Beamten einführen. Die
Greuel des Matabelekriegcs sind nach Erhebungen durch den Governor der Kap¬
kolonie, der sie geduldet hatte, als nicht vorgekommen bezeichnet worden. Als
gleich uach der Nachricht von Lobengulas Tod (Februar 1894), der neuerdings
wieder angezweifelt wird, auch schon die Vorbereitungen zur Organisation des
Matabelelaudes getroffen wurden, die Cecil Rhodes so beeilte, daß sie praktisch
ins Werk gesetzt waren, ehe sie die Zustimmung der Neichsregierung gefunden
hatten, hieß es in allen Berichten, die Rechte der Eingebornen seien reichlich ge¬
sichert. Wer aber die Verhandlungen gelesen hat, die im englischen Parlament
hauptsächlich auf Anregung Labouchores über die Anfänge des Matabelekrieges
geführt worden sind, und über die gemeine, wortbrüchige Grausamkeit seiner


Zur Aeniitnis der englischen Meltpolitik

In ucuerworbnen Gebieten endlich verschwindet die Weiße Bevölkerung gar in
der farbigen, wie denn im Sululande 1889 auf 139000 Neger 527 Weiße
gezählt oder geschätzt wurden.

Angesichts solcher Zahle», die durch die immer klarer erkannte starke
natürliche Vermehrung der Neger erst ihre rechte Bedeutung erhalten, erscheint
die englische Politik der Begünstigung der Eingebornen, die so lange gegen
die Buren durchgeführt wurde, ohne aber die fast regelmäßig wiederkehrenden
blutigen Kaffern-, Sulu- und Vasutokricge überflüssig zu machen, in einem
seltsamen Lichte. Es kommt die Zeit, wo sie aufgegeben werden muß. Diese
Zeit ist um so sicherer zu erwarten, als die Mission eine viel weniger tief¬
gehende Besserung der Lebenslage und der Grundsätze dieser Leute herbei¬
geführt hat, als man einst glaubte. Die Mehrheit hängt dem alten heidnischen
Aberglauben an, arbeitet ungern und trägt immer mehr zur Entstehung eines
lustigen, oft schon recht frechen Proletariats bei, das mit der Zeit gefährlich
werden kann. In Südafrika, wo die Weißen mitten in der überquellenden Masse
der Neger wohnen, sieht man die Dinge längst anders an als in London. Dort
glaubt man nicht an die Wirksamkeit so kleiner Mittelchen, wie der Anregung
der Kaffern zur Arbeit durch Erleichterung der Verwandlung des Stammes-
in Eiuzelbesitz (Gesetz der Kapkolonie von 1894 — also Rückschritt vom Kom¬
munismus!), dort sieht man nicht die politische Gleichberechtigung in der Ferne
auftauchen, sondern legt vielmehr (Wahlgesetz von Natal 1894) sogar den
Indern und Chinese» Schwierigkeiten bei der Ausübung des Wahlrechts in den
Weg. Man Ȋhert sich unmerklich, gesteht aber gerade das nicht gern ein, der
gesundem und im Grunde menschlichem Auffassung der Holländer, die den
Farbigen die dienende Stelle unter den Weißen anwiesen, dabei aber für ihre
religiöse Erziehung und Gesittung sorgten. Heute noch leugnet das Kap¬
ministerium mit Entrüstung, daß es dem Betschuanenhänptling Khcnna den
Branntwein aufzwinge, dessen Einfuhr er, ein alter Freund der Missionare,
verboten hat. Jeder weiß aber, daß bei deu niedrigen Zöllen der Kapkolonie
der Branntwein ein Haupthandelsartikel im Innern ist, den anch in Khamas
Land die wandernden Händler unter dem Schutze der Beamten einführen. Die
Greuel des Matabelekriegcs sind nach Erhebungen durch den Governor der Kap¬
kolonie, der sie geduldet hatte, als nicht vorgekommen bezeichnet worden. Als
gleich uach der Nachricht von Lobengulas Tod (Februar 1894), der neuerdings
wieder angezweifelt wird, auch schon die Vorbereitungen zur Organisation des
Matabelelaudes getroffen wurden, die Cecil Rhodes so beeilte, daß sie praktisch
ins Werk gesetzt waren, ehe sie die Zustimmung der Neichsregierung gefunden
hatten, hieß es in allen Berichten, die Rechte der Eingebornen seien reichlich ge¬
sichert. Wer aber die Verhandlungen gelesen hat, die im englischen Parlament
hauptsächlich auf Anregung Labouchores über die Anfänge des Matabelekrieges
geführt worden sind, und über die gemeine, wortbrüchige Grausamkeit seiner


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[0022] Zur Aeniitnis der englischen Meltpolitik In ucuerworbnen Gebieten endlich verschwindet die Weiße Bevölkerung gar in der farbigen, wie denn im Sululande 1889 auf 139000 Neger 527 Weiße gezählt oder geschätzt wurden. Angesichts solcher Zahle», die durch die immer klarer erkannte starke natürliche Vermehrung der Neger erst ihre rechte Bedeutung erhalten, erscheint die englische Politik der Begünstigung der Eingebornen, die so lange gegen die Buren durchgeführt wurde, ohne aber die fast regelmäßig wiederkehrenden blutigen Kaffern-, Sulu- und Vasutokricge überflüssig zu machen, in einem seltsamen Lichte. Es kommt die Zeit, wo sie aufgegeben werden muß. Diese Zeit ist um so sicherer zu erwarten, als die Mission eine viel weniger tief¬ gehende Besserung der Lebenslage und der Grundsätze dieser Leute herbei¬ geführt hat, als man einst glaubte. Die Mehrheit hängt dem alten heidnischen Aberglauben an, arbeitet ungern und trägt immer mehr zur Entstehung eines lustigen, oft schon recht frechen Proletariats bei, das mit der Zeit gefährlich werden kann. In Südafrika, wo die Weißen mitten in der überquellenden Masse der Neger wohnen, sieht man die Dinge längst anders an als in London. Dort glaubt man nicht an die Wirksamkeit so kleiner Mittelchen, wie der Anregung der Kaffern zur Arbeit durch Erleichterung der Verwandlung des Stammes- in Eiuzelbesitz (Gesetz der Kapkolonie von 1894 — also Rückschritt vom Kom¬ munismus!), dort sieht man nicht die politische Gleichberechtigung in der Ferne auftauchen, sondern legt vielmehr (Wahlgesetz von Natal 1894) sogar den Indern und Chinese» Schwierigkeiten bei der Ausübung des Wahlrechts in den Weg. Man »ähert sich unmerklich, gesteht aber gerade das nicht gern ein, der gesundem und im Grunde menschlichem Auffassung der Holländer, die den Farbigen die dienende Stelle unter den Weißen anwiesen, dabei aber für ihre religiöse Erziehung und Gesittung sorgten. Heute noch leugnet das Kap¬ ministerium mit Entrüstung, daß es dem Betschuanenhänptling Khcnna den Branntwein aufzwinge, dessen Einfuhr er, ein alter Freund der Missionare, verboten hat. Jeder weiß aber, daß bei deu niedrigen Zöllen der Kapkolonie der Branntwein ein Haupthandelsartikel im Innern ist, den anch in Khamas Land die wandernden Händler unter dem Schutze der Beamten einführen. Die Greuel des Matabelekriegcs sind nach Erhebungen durch den Governor der Kap¬ kolonie, der sie geduldet hatte, als nicht vorgekommen bezeichnet worden. Als gleich uach der Nachricht von Lobengulas Tod (Februar 1894), der neuerdings wieder angezweifelt wird, auch schon die Vorbereitungen zur Organisation des Matabelelaudes getroffen wurden, die Cecil Rhodes so beeilte, daß sie praktisch ins Werk gesetzt waren, ehe sie die Zustimmung der Neichsregierung gefunden hatten, hieß es in allen Berichten, die Rechte der Eingebornen seien reichlich ge¬ sichert. Wer aber die Verhandlungen gelesen hat, die im englischen Parlament hauptsächlich auf Anregung Labouchores über die Anfänge des Matabelekrieges geführt worden sind, und über die gemeine, wortbrüchige Grausamkeit seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/22>, abgerufen am 27.07.2024.