Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

liehen Blick, der nicht erkennt, daß auch das Ringen um Ausdruck Ausdruck ist,
als Ungeschicklichkeiten und Schwerfälligkeiten erscheinen mögen," lehrt Hebbel.
Ich denke, das ist so ziemlich dasselbe. Die Hauptforderung Ludwigs aber,
daß sich die Personen mit dem, was sie sagen, zugleich wider Wissen und
Willen charakterisiren, hat auch Hebbel oft ausgesprochen, so schon als Student
in München, wenn er am 23. November 1838 in sein Tagebuch schreibt: "Was
die gemachten Menschen mittelmäßiger Poeten (von Geist) von den wirklichen
unterscheidet, ist, daß jene Einsicht in sich selbst haben, daß sie wissen, was
sie sind, und warum sie etwas thun, wogegen die wirklichen sich glücklich preisen,
wenn sie nur einigermaßen wissen, was sie waren, und warum sie etwas ge¬
than haben. Die Darstellung soll das freilich auch zeigen, und das muß, da
alles Beschreiben und Auseinanderwickeln der Tod der Poesie ist, oft durch
den dargestellten Menschen selbst geschehen, nur erreicht der echte Dichter seinen
Zweck durch ganz andre Mittel. Er bedient sich der geheimnisvollen Macht
des Wortes, das, wenn es ein Produkt des Charakters oder der Situation
ist, mehr noch den Menschen, der es gebraucht, als die Sache, die er bezeichnen
will, entschleiert."

Doch genug der Einzelheiten! Man wird, wenn man genauer zusieht,
finden, daß sich die beiden Dichter in der Theorie ihrer Kunst nur wenig
unterscheiden, was bei der verwandten Natur und dem gleich ernsten Kunst¬
streben beider nur natürlich ist. In der Produktion und, wie wir noch sehen
werden, auch in den Zielen und in der Stellung zu einzelnen litterarischen
Erscheinungen weichen sie natürlich von einander ab. Für mich ist es aber
sicher, daß Hebbels Art die normalere war; wer die spätere Schaffensperiode
Ludwigs mit ihrem ewigen Nichtfertigwerden kennt, der wird mir sicher Recht
geben. Nicht die äußere Krankheit (obwohl wir die als Hemmung nicht unter¬
schätzen wollen), nicht künstlerische Gewissenhaftigkeit allein, wie Erich Schmidt
meint, nicht das übertriebne Studium Shakespeares war es, was Ludwig
hinderte, seine Werke zu vollenden, sondern unzweifelhaft etwas abnormes in
seiner Anlage, das ihm nicht bloß am Schluß, sondern während seines ganzen
Lebens hemmend im Wege stand. Mit einem bloßen Zuviel, mit dem Über¬
maß und der zu großen Beweglichkeit der Phantasie erklärt man es nicht ganz,
es ist auch ein Mangel da, und zwar auf dem Gebiete des Willens, der
Mangel an künstlerischer Entschlossenheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit.
Hier steckt die Wurzel der Verschiedenheit beider Dichter.




Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

liehen Blick, der nicht erkennt, daß auch das Ringen um Ausdruck Ausdruck ist,
als Ungeschicklichkeiten und Schwerfälligkeiten erscheinen mögen," lehrt Hebbel.
Ich denke, das ist so ziemlich dasselbe. Die Hauptforderung Ludwigs aber,
daß sich die Personen mit dem, was sie sagen, zugleich wider Wissen und
Willen charakterisiren, hat auch Hebbel oft ausgesprochen, so schon als Student
in München, wenn er am 23. November 1838 in sein Tagebuch schreibt: „Was
die gemachten Menschen mittelmäßiger Poeten (von Geist) von den wirklichen
unterscheidet, ist, daß jene Einsicht in sich selbst haben, daß sie wissen, was
sie sind, und warum sie etwas thun, wogegen die wirklichen sich glücklich preisen,
wenn sie nur einigermaßen wissen, was sie waren, und warum sie etwas ge¬
than haben. Die Darstellung soll das freilich auch zeigen, und das muß, da
alles Beschreiben und Auseinanderwickeln der Tod der Poesie ist, oft durch
den dargestellten Menschen selbst geschehen, nur erreicht der echte Dichter seinen
Zweck durch ganz andre Mittel. Er bedient sich der geheimnisvollen Macht
des Wortes, das, wenn es ein Produkt des Charakters oder der Situation
ist, mehr noch den Menschen, der es gebraucht, als die Sache, die er bezeichnen
will, entschleiert."

Doch genug der Einzelheiten! Man wird, wenn man genauer zusieht,
finden, daß sich die beiden Dichter in der Theorie ihrer Kunst nur wenig
unterscheiden, was bei der verwandten Natur und dem gleich ernsten Kunst¬
streben beider nur natürlich ist. In der Produktion und, wie wir noch sehen
werden, auch in den Zielen und in der Stellung zu einzelnen litterarischen
Erscheinungen weichen sie natürlich von einander ab. Für mich ist es aber
sicher, daß Hebbels Art die normalere war; wer die spätere Schaffensperiode
Ludwigs mit ihrem ewigen Nichtfertigwerden kennt, der wird mir sicher Recht
geben. Nicht die äußere Krankheit (obwohl wir die als Hemmung nicht unter¬
schätzen wollen), nicht künstlerische Gewissenhaftigkeit allein, wie Erich Schmidt
meint, nicht das übertriebne Studium Shakespeares war es, was Ludwig
hinderte, seine Werke zu vollenden, sondern unzweifelhaft etwas abnormes in
seiner Anlage, das ihm nicht bloß am Schluß, sondern während seines ganzen
Lebens hemmend im Wege stand. Mit einem bloßen Zuviel, mit dem Über¬
maß und der zu großen Beweglichkeit der Phantasie erklärt man es nicht ganz,
es ist auch ein Mangel da, und zwar auf dem Gebiete des Willens, der
Mangel an künstlerischer Entschlossenheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit.
Hier steckt die Wurzel der Verschiedenheit beider Dichter.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0186" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220512"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_733" prev="#ID_732"> liehen Blick, der nicht erkennt, daß auch das Ringen um Ausdruck Ausdruck ist,<lb/>
als Ungeschicklichkeiten und Schwerfälligkeiten erscheinen mögen," lehrt Hebbel.<lb/>
Ich denke, das ist so ziemlich dasselbe. Die Hauptforderung Ludwigs aber,<lb/>
daß sich die Personen mit dem, was sie sagen, zugleich wider Wissen und<lb/>
Willen charakterisiren, hat auch Hebbel oft ausgesprochen, so schon als Student<lb/>
in München, wenn er am 23. November 1838 in sein Tagebuch schreibt: &#x201E;Was<lb/>
die gemachten Menschen mittelmäßiger Poeten (von Geist) von den wirklichen<lb/>
unterscheidet, ist, daß jene Einsicht in sich selbst haben, daß sie wissen, was<lb/>
sie sind, und warum sie etwas thun, wogegen die wirklichen sich glücklich preisen,<lb/>
wenn sie nur einigermaßen wissen, was sie waren, und warum sie etwas ge¬<lb/>
than haben. Die Darstellung soll das freilich auch zeigen, und das muß, da<lb/>
alles Beschreiben und Auseinanderwickeln der Tod der Poesie ist, oft durch<lb/>
den dargestellten Menschen selbst geschehen, nur erreicht der echte Dichter seinen<lb/>
Zweck durch ganz andre Mittel. Er bedient sich der geheimnisvollen Macht<lb/>
des Wortes, das, wenn es ein Produkt des Charakters oder der Situation<lb/>
ist, mehr noch den Menschen, der es gebraucht, als die Sache, die er bezeichnen<lb/>
will, entschleiert."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_734"> Doch genug der Einzelheiten! Man wird, wenn man genauer zusieht,<lb/>
finden, daß sich die beiden Dichter in der Theorie ihrer Kunst nur wenig<lb/>
unterscheiden, was bei der verwandten Natur und dem gleich ernsten Kunst¬<lb/>
streben beider nur natürlich ist. In der Produktion und, wie wir noch sehen<lb/>
werden, auch in den Zielen und in der Stellung zu einzelnen litterarischen<lb/>
Erscheinungen weichen sie natürlich von einander ab. Für mich ist es aber<lb/>
sicher, daß Hebbels Art die normalere war; wer die spätere Schaffensperiode<lb/>
Ludwigs mit ihrem ewigen Nichtfertigwerden kennt, der wird mir sicher Recht<lb/>
geben. Nicht die äußere Krankheit (obwohl wir die als Hemmung nicht unter¬<lb/>
schätzen wollen), nicht künstlerische Gewissenhaftigkeit allein, wie Erich Schmidt<lb/>
meint, nicht das übertriebne Studium Shakespeares war es, was Ludwig<lb/>
hinderte, seine Werke zu vollenden, sondern unzweifelhaft etwas abnormes in<lb/>
seiner Anlage, das ihm nicht bloß am Schluß, sondern während seines ganzen<lb/>
Lebens hemmend im Wege stand. Mit einem bloßen Zuviel, mit dem Über¬<lb/>
maß und der zu großen Beweglichkeit der Phantasie erklärt man es nicht ganz,<lb/>
es ist auch ein Mangel da, und zwar auf dem Gebiete des Willens, der<lb/>
Mangel an künstlerischer Entschlossenheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit.<lb/>
Hier steckt die Wurzel der Verschiedenheit beider Dichter.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0186] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig liehen Blick, der nicht erkennt, daß auch das Ringen um Ausdruck Ausdruck ist, als Ungeschicklichkeiten und Schwerfälligkeiten erscheinen mögen," lehrt Hebbel. Ich denke, das ist so ziemlich dasselbe. Die Hauptforderung Ludwigs aber, daß sich die Personen mit dem, was sie sagen, zugleich wider Wissen und Willen charakterisiren, hat auch Hebbel oft ausgesprochen, so schon als Student in München, wenn er am 23. November 1838 in sein Tagebuch schreibt: „Was die gemachten Menschen mittelmäßiger Poeten (von Geist) von den wirklichen unterscheidet, ist, daß jene Einsicht in sich selbst haben, daß sie wissen, was sie sind, und warum sie etwas thun, wogegen die wirklichen sich glücklich preisen, wenn sie nur einigermaßen wissen, was sie waren, und warum sie etwas ge¬ than haben. Die Darstellung soll das freilich auch zeigen, und das muß, da alles Beschreiben und Auseinanderwickeln der Tod der Poesie ist, oft durch den dargestellten Menschen selbst geschehen, nur erreicht der echte Dichter seinen Zweck durch ganz andre Mittel. Er bedient sich der geheimnisvollen Macht des Wortes, das, wenn es ein Produkt des Charakters oder der Situation ist, mehr noch den Menschen, der es gebraucht, als die Sache, die er bezeichnen will, entschleiert." Doch genug der Einzelheiten! Man wird, wenn man genauer zusieht, finden, daß sich die beiden Dichter in der Theorie ihrer Kunst nur wenig unterscheiden, was bei der verwandten Natur und dem gleich ernsten Kunst¬ streben beider nur natürlich ist. In der Produktion und, wie wir noch sehen werden, auch in den Zielen und in der Stellung zu einzelnen litterarischen Erscheinungen weichen sie natürlich von einander ab. Für mich ist es aber sicher, daß Hebbels Art die normalere war; wer die spätere Schaffensperiode Ludwigs mit ihrem ewigen Nichtfertigwerden kennt, der wird mir sicher Recht geben. Nicht die äußere Krankheit (obwohl wir die als Hemmung nicht unter¬ schätzen wollen), nicht künstlerische Gewissenhaftigkeit allein, wie Erich Schmidt meint, nicht das übertriebne Studium Shakespeares war es, was Ludwig hinderte, seine Werke zu vollenden, sondern unzweifelhaft etwas abnormes in seiner Anlage, das ihm nicht bloß am Schluß, sondern während seines ganzen Lebens hemmend im Wege stand. Mit einem bloßen Zuviel, mit dem Über¬ maß und der zu großen Beweglichkeit der Phantasie erklärt man es nicht ganz, es ist auch ein Mangel da, und zwar auf dem Gebiete des Willens, der Mangel an künstlerischer Entschlossenheit, Bestimmtheit und Folgerichtigkeit. Hier steckt die Wurzel der Verschiedenheit beider Dichter.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/186
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/186>, abgerufen am 28.07.2024.