Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Allgemeine zweijährige Dienstzeit für eine große Zahl unsrer geistig ganz unverhältnismäßig angespannten Fassen wir das Ergebnis unsrer Erörterungen kurz zusammen, so spricht Man wird diese in ihrer Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Umstünde Allgemeine zweijährige Dienstzeit für eine große Zahl unsrer geistig ganz unverhältnismäßig angespannten Fassen wir das Ergebnis unsrer Erörterungen kurz zusammen, so spricht Man wird diese in ihrer Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Umstünde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0179" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220505"/> <fw type="header" place="top"> Allgemeine zweijährige Dienstzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_719" prev="#ID_718"> für eine große Zahl unsrer geistig ganz unverhältnismäßig angespannten<lb/> Jugend die einzige Zeit, wo auch der körperlichen Ausbildung Gerechtigkeit<lb/> widerfährt. Ja man kann ohne Übertreibung sagen, daß es im allgemeinen<lb/> der Militärdienst ist, der unsre gebildeten Klassen lebenskräftig erhält. Daß<lb/> nun dieser unschätzbare Vorteil, die Stählung des Körpers und die Erziehung<lb/> des Geistes auf das Einfache, natürlich bedeutend erhöht wird, wenn alle jene<lb/> in einseitiger geistiger Schulung verbildeten zwei Jahre anstatt eines Jahres<lb/> mit der Waffe dienen, liegt auf der Hand; er wird nicht einfach verdoppelt,<lb/> fondern vervielfacht, was dann wiederum seine wohlthätige Rückwirkung auf<lb/> die Umgebung, sei es im Heere, sei es im spätern Lebensberuf, nicht ver¬<lb/> fehlen kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_720"> Fassen wir das Ergebnis unsrer Erörterungen kurz zusammen, so spricht<lb/> folgendes für die Abschaffung des Einjährig-Freiwilligenwesens und Ein¬<lb/> führung der allgemeinen zweijährigen Dienstzeit: Die höhere Schule wird<lb/> von dem Berechtigungswesen befreit und ihrer eigentlichen Bestimmung,<lb/> unsre Jugend geistig und körperlich zum Leben zu erziehen, zurückgegeben.<lb/> Unsre heutigen Anschauungen von sozialer Gerechtigkeit verlangen die Auf¬<lb/> hebung eines Vorrechts, das sich überlebt hat und auch militärischen An¬<lb/> sprüchen nicht mehr genügt. Hierdurch geschieht ein bedeutsamer Schritt vor¬<lb/> wärts auf dem Wege der sozialen Reform. Durch die Einführung einer zwei¬<lb/> jährigen Dienstzeit für alle wird ferner eine Gesundung und Kräftigung unsrer<lb/> durch die bisherige einseitig geistige Schulung überangestrengten Jugend weit<lb/> wirksamer erreicht, als durch den einjährigen Dienst. Zugleich gewinnt das<lb/> Heer durch engere Verschmelzung und Ausgleichung aller Bestandteile an Ein¬<lb/> heit, Festigkeit und Tüchtigkeit, was wieder eine wohlthätig einwirkende Kraft<lb/> auf unser ganzes öffentliches Leben äußern wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_721" next="#ID_722"> Man wird diese in ihrer Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Umstünde<lb/> im Auge behalten müssen, wenn wir nunmehr auf Einzelheiten übergehen, die<lb/> zu Bedenken, Ausstellungen und Schwierigkeiten mancherlei Art Veranlassung<lb/> geben dürften. Wir verhehlen uns ja nicht, daß bei einer so tief einschnei¬<lb/> denden Reform mehr als eine Frage auftauchen muß, auf die eine befriedigende<lb/> Antwort nicht ohne weiteres zu geben ist. Denen aber, die vor lauter Schwie¬<lb/> rigkeiten wohl ihrem Gedankengange, nicht aber ihrer Ausführbarkeit beitreten<lb/> möchten, sei in Erinnerung gebracht, welcher Art das gewaltige Werk war,<lb/> das die Männer der Befreiungkriege mit der preußischen Heeresorganisation<lb/> schufen und Kaiser Wilhelm I. ausbilden ließ; neben den Schwierigkeiten, die<lb/> sich jenen Männern darboten, dürften die vorliegenden wie Spiel erscheinen,<lb/> wenn auch die wohlthätigen Folgen für Schule, Heer und Volk vielleicht nicht<lb/> geringer anzuschlagen siud. Auch die allgemeine zweijährige Dienstzeit erscheint<lb/> nur als ein organischer Ausbau unsrer wohlbewährten Heereseinrichtung, als<lb/> eine notwendige Folge der zweijährigen Dienstzeit in Verbindung mit der For-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0179]
Allgemeine zweijährige Dienstzeit
für eine große Zahl unsrer geistig ganz unverhältnismäßig angespannten
Jugend die einzige Zeit, wo auch der körperlichen Ausbildung Gerechtigkeit
widerfährt. Ja man kann ohne Übertreibung sagen, daß es im allgemeinen
der Militärdienst ist, der unsre gebildeten Klassen lebenskräftig erhält. Daß
nun dieser unschätzbare Vorteil, die Stählung des Körpers und die Erziehung
des Geistes auf das Einfache, natürlich bedeutend erhöht wird, wenn alle jene
in einseitiger geistiger Schulung verbildeten zwei Jahre anstatt eines Jahres
mit der Waffe dienen, liegt auf der Hand; er wird nicht einfach verdoppelt,
fondern vervielfacht, was dann wiederum seine wohlthätige Rückwirkung auf
die Umgebung, sei es im Heere, sei es im spätern Lebensberuf, nicht ver¬
fehlen kann.
Fassen wir das Ergebnis unsrer Erörterungen kurz zusammen, so spricht
folgendes für die Abschaffung des Einjährig-Freiwilligenwesens und Ein¬
führung der allgemeinen zweijährigen Dienstzeit: Die höhere Schule wird
von dem Berechtigungswesen befreit und ihrer eigentlichen Bestimmung,
unsre Jugend geistig und körperlich zum Leben zu erziehen, zurückgegeben.
Unsre heutigen Anschauungen von sozialer Gerechtigkeit verlangen die Auf¬
hebung eines Vorrechts, das sich überlebt hat und auch militärischen An¬
sprüchen nicht mehr genügt. Hierdurch geschieht ein bedeutsamer Schritt vor¬
wärts auf dem Wege der sozialen Reform. Durch die Einführung einer zwei¬
jährigen Dienstzeit für alle wird ferner eine Gesundung und Kräftigung unsrer
durch die bisherige einseitig geistige Schulung überangestrengten Jugend weit
wirksamer erreicht, als durch den einjährigen Dienst. Zugleich gewinnt das
Heer durch engere Verschmelzung und Ausgleichung aller Bestandteile an Ein¬
heit, Festigkeit und Tüchtigkeit, was wieder eine wohlthätig einwirkende Kraft
auf unser ganzes öffentliches Leben äußern wird.
Man wird diese in ihrer Wichtigkeit kaum zu überschätzenden Umstünde
im Auge behalten müssen, wenn wir nunmehr auf Einzelheiten übergehen, die
zu Bedenken, Ausstellungen und Schwierigkeiten mancherlei Art Veranlassung
geben dürften. Wir verhehlen uns ja nicht, daß bei einer so tief einschnei¬
denden Reform mehr als eine Frage auftauchen muß, auf die eine befriedigende
Antwort nicht ohne weiteres zu geben ist. Denen aber, die vor lauter Schwie¬
rigkeiten wohl ihrem Gedankengange, nicht aber ihrer Ausführbarkeit beitreten
möchten, sei in Erinnerung gebracht, welcher Art das gewaltige Werk war,
das die Männer der Befreiungkriege mit der preußischen Heeresorganisation
schufen und Kaiser Wilhelm I. ausbilden ließ; neben den Schwierigkeiten, die
sich jenen Männern darboten, dürften die vorliegenden wie Spiel erscheinen,
wenn auch die wohlthätigen Folgen für Schule, Heer und Volk vielleicht nicht
geringer anzuschlagen siud. Auch die allgemeine zweijährige Dienstzeit erscheint
nur als ein organischer Ausbau unsrer wohlbewährten Heereseinrichtung, als
eine notwendige Folge der zweijährigen Dienstzeit in Verbindung mit der For-
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