Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allgemeine zweijährige Dienstzeit

Teil davon mit der dreijährigen Dienstzeit genommen ist; in jedem Falle
dürfte es nicht ohne Interesse sein, in Kürze ein Bild zu entwerfen, das uns
die Wirkungen einer allgemeinen zweijährigen Dienstzeit auf die verschiedensten
Teile unsers gesellschaftlichen Lebens, in denen ja unser Heer wurzelt, wieder¬
spiegelt. In kurzen Worten würde die zu behandelnde Frage sein: Soll das
Borrecht der Einjährig-Freiwilligen (und Volksschullehrer) fallen und dafür
die allgemeine Pflicht einer zweijährigen Dienstzeit eintreten? Hierbei wäre
zu untersuchen, welche Interessen mit der Aufhebung der Einjährig-Freiwilligen
(auf die wir uns der Einfachheit wegen im Folgenden beschränken) gefördert,
welche geschädigt werden; endlich: auf welcher Seite der Nutzen den Schaden
für das Gemeinwesen übersteigt. Sollte es sich ergeben, daß die Abschaffung
der erwähnten Vorrechte von hervorragendem Werte für das Wohl unsers
Vaterlandes sein würde, so ist es zweifellos unsre ernste Pflicht, auf dieses Ziel
hinzuarbeiten und unsre Bestrebungen durch alle die Mittel zur Anerkennung
zu bringen, die uns politisch zur Verfügung stehen. Daran darf uns weder
ein unfruchtbares radikales Theorientum noch ein starrer militärischer Kon¬
servatismus irre machen. Wäre dieses Bestreben nichts als ein Kampf gegen
eine rein technisch-militärische Einrichtung, so würde es vom Gesichtspunkte
des praktischen Politikers lediglich den militärischen Autoritäten zu überlassen
sein, die Reform anzubahnen, wie sie es mit der rastlosen Unermüdlichkeit,
mit der wir sie arbeiten zu sehen gewohnt sind, gewiß auch thun würden.
Die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen ist aber erst in zweiter Linie eine
Sache, die das Militär angeht. Als man daran ging, zum Wohle des Vater¬
landes das ganze waffenfähige Volk zum militärischen Dienst heranzuziehen,
da glaubte man, den "gebildeten Klassen" die Schwere dieses Dienstes in An¬
erkennung ihrer größern Leistungsfähigkeit erleichtern zu müssen, und so ist
die Einrichtung ein Vorrecht des "gebildeten" und hinlänglich wohlhabenden
Deutschen geworden, mit einem einjährigen Waffendienst davonzukommen,
während sich sein minder glücklicher Kamerad aus dem Bauern-, Arbeiter- und
kleinen Bürgerstande -- dem das Geschick noch so manches andre vorent¬
halten hat -- der schweren Pflicht des militärischen Dienstes zwei und mehr
Jahre zu unterziehen hat. Mit dieser Einräumung an die Bildung der bessern
Klassen hatte sich das Militär abzufinden, und mit dem ganzen Geschick, mit
dem es von jeher bestrebt war, aus der Not eine Tugend zu machen und
jeden irgendwie Tauglichen zu dem besten Soldaten auszubilden, schuf es aus
der Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen die andre der Reserve- und Land¬
wehroffiziere, d. h. es fügte zu dem ersten ein zweites, den gesellschaftlichen
Anschauungen Deutschlands nach ganz bedeutendes Borrecht der Bildung und
Wohlhabenheit. Während sich nun die Bildung ursprünglich im Besitz einer
ziemlich bestimmbaren "bessern" Klasse befand, drängte sich im Laufe der Jahre
eine immer größere Menge an die Quelle, die man mit Recht als die Haupt-


Allgemeine zweijährige Dienstzeit

Teil davon mit der dreijährigen Dienstzeit genommen ist; in jedem Falle
dürfte es nicht ohne Interesse sein, in Kürze ein Bild zu entwerfen, das uns
die Wirkungen einer allgemeinen zweijährigen Dienstzeit auf die verschiedensten
Teile unsers gesellschaftlichen Lebens, in denen ja unser Heer wurzelt, wieder¬
spiegelt. In kurzen Worten würde die zu behandelnde Frage sein: Soll das
Borrecht der Einjährig-Freiwilligen (und Volksschullehrer) fallen und dafür
die allgemeine Pflicht einer zweijährigen Dienstzeit eintreten? Hierbei wäre
zu untersuchen, welche Interessen mit der Aufhebung der Einjährig-Freiwilligen
(auf die wir uns der Einfachheit wegen im Folgenden beschränken) gefördert,
welche geschädigt werden; endlich: auf welcher Seite der Nutzen den Schaden
für das Gemeinwesen übersteigt. Sollte es sich ergeben, daß die Abschaffung
der erwähnten Vorrechte von hervorragendem Werte für das Wohl unsers
Vaterlandes sein würde, so ist es zweifellos unsre ernste Pflicht, auf dieses Ziel
hinzuarbeiten und unsre Bestrebungen durch alle die Mittel zur Anerkennung
zu bringen, die uns politisch zur Verfügung stehen. Daran darf uns weder
ein unfruchtbares radikales Theorientum noch ein starrer militärischer Kon¬
servatismus irre machen. Wäre dieses Bestreben nichts als ein Kampf gegen
eine rein technisch-militärische Einrichtung, so würde es vom Gesichtspunkte
des praktischen Politikers lediglich den militärischen Autoritäten zu überlassen
sein, die Reform anzubahnen, wie sie es mit der rastlosen Unermüdlichkeit,
mit der wir sie arbeiten zu sehen gewohnt sind, gewiß auch thun würden.
Die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen ist aber erst in zweiter Linie eine
Sache, die das Militär angeht. Als man daran ging, zum Wohle des Vater¬
landes das ganze waffenfähige Volk zum militärischen Dienst heranzuziehen,
da glaubte man, den „gebildeten Klassen" die Schwere dieses Dienstes in An¬
erkennung ihrer größern Leistungsfähigkeit erleichtern zu müssen, und so ist
die Einrichtung ein Vorrecht des „gebildeten" und hinlänglich wohlhabenden
Deutschen geworden, mit einem einjährigen Waffendienst davonzukommen,
während sich sein minder glücklicher Kamerad aus dem Bauern-, Arbeiter- und
kleinen Bürgerstande — dem das Geschick noch so manches andre vorent¬
halten hat — der schweren Pflicht des militärischen Dienstes zwei und mehr
Jahre zu unterziehen hat. Mit dieser Einräumung an die Bildung der bessern
Klassen hatte sich das Militär abzufinden, und mit dem ganzen Geschick, mit
dem es von jeher bestrebt war, aus der Not eine Tugend zu machen und
jeden irgendwie Tauglichen zu dem besten Soldaten auszubilden, schuf es aus
der Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen die andre der Reserve- und Land¬
wehroffiziere, d. h. es fügte zu dem ersten ein zweites, den gesellschaftlichen
Anschauungen Deutschlands nach ganz bedeutendes Borrecht der Bildung und
Wohlhabenheit. Während sich nun die Bildung ursprünglich im Besitz einer
ziemlich bestimmbaren „bessern" Klasse befand, drängte sich im Laufe der Jahre
eine immer größere Menge an die Quelle, die man mit Recht als die Haupt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220497"/>
          <fw type="header" place="top"> Allgemeine zweijährige Dienstzeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700" next="#ID_702"> Teil davon mit der dreijährigen Dienstzeit genommen ist; in jedem Falle<lb/>
dürfte es nicht ohne Interesse sein, in Kürze ein Bild zu entwerfen, das uns<lb/>
die Wirkungen einer allgemeinen zweijährigen Dienstzeit auf die verschiedensten<lb/>
Teile unsers gesellschaftlichen Lebens, in denen ja unser Heer wurzelt, wieder¬<lb/>
spiegelt. In kurzen Worten würde die zu behandelnde Frage sein: Soll das<lb/>
Borrecht der Einjährig-Freiwilligen (und Volksschullehrer) fallen und dafür<lb/>
die allgemeine Pflicht einer zweijährigen Dienstzeit eintreten? Hierbei wäre<lb/>
zu untersuchen, welche Interessen mit der Aufhebung der Einjährig-Freiwilligen<lb/>
(auf die wir uns der Einfachheit wegen im Folgenden beschränken) gefördert,<lb/>
welche geschädigt werden; endlich: auf welcher Seite der Nutzen den Schaden<lb/>
für das Gemeinwesen übersteigt. Sollte es sich ergeben, daß die Abschaffung<lb/>
der erwähnten Vorrechte von hervorragendem Werte für das Wohl unsers<lb/>
Vaterlandes sein würde, so ist es zweifellos unsre ernste Pflicht, auf dieses Ziel<lb/>
hinzuarbeiten und unsre Bestrebungen durch alle die Mittel zur Anerkennung<lb/>
zu bringen, die uns politisch zur Verfügung stehen. Daran darf uns weder<lb/>
ein unfruchtbares radikales Theorientum noch ein starrer militärischer Kon¬<lb/>
servatismus irre machen. Wäre dieses Bestreben nichts als ein Kampf gegen<lb/>
eine rein technisch-militärische Einrichtung, so würde es vom Gesichtspunkte<lb/>
des praktischen Politikers lediglich den militärischen Autoritäten zu überlassen<lb/>
sein, die Reform anzubahnen, wie sie es mit der rastlosen Unermüdlichkeit,<lb/>
mit der wir sie arbeiten zu sehen gewohnt sind, gewiß auch thun würden.<lb/>
Die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen ist aber erst in zweiter Linie eine<lb/>
Sache, die das Militär angeht. Als man daran ging, zum Wohle des Vater¬<lb/>
landes das ganze waffenfähige Volk zum militärischen Dienst heranzuziehen,<lb/>
da glaubte man, den &#x201E;gebildeten Klassen" die Schwere dieses Dienstes in An¬<lb/>
erkennung ihrer größern Leistungsfähigkeit erleichtern zu müssen, und so ist<lb/>
die Einrichtung ein Vorrecht des &#x201E;gebildeten" und hinlänglich wohlhabenden<lb/>
Deutschen geworden, mit einem einjährigen Waffendienst davonzukommen,<lb/>
während sich sein minder glücklicher Kamerad aus dem Bauern-, Arbeiter- und<lb/>
kleinen Bürgerstande &#x2014; dem das Geschick noch so manches andre vorent¬<lb/>
halten hat &#x2014; der schweren Pflicht des militärischen Dienstes zwei und mehr<lb/>
Jahre zu unterziehen hat. Mit dieser Einräumung an die Bildung der bessern<lb/>
Klassen hatte sich das Militär abzufinden, und mit dem ganzen Geschick, mit<lb/>
dem es von jeher bestrebt war, aus der Not eine Tugend zu machen und<lb/>
jeden irgendwie Tauglichen zu dem besten Soldaten auszubilden, schuf es aus<lb/>
der Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen die andre der Reserve- und Land¬<lb/>
wehroffiziere, d. h. es fügte zu dem ersten ein zweites, den gesellschaftlichen<lb/>
Anschauungen Deutschlands nach ganz bedeutendes Borrecht der Bildung und<lb/>
Wohlhabenheit. Während sich nun die Bildung ursprünglich im Besitz einer<lb/>
ziemlich bestimmbaren &#x201E;bessern" Klasse befand, drängte sich im Laufe der Jahre<lb/>
eine immer größere Menge an die Quelle, die man mit Recht als die Haupt-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] Allgemeine zweijährige Dienstzeit Teil davon mit der dreijährigen Dienstzeit genommen ist; in jedem Falle dürfte es nicht ohne Interesse sein, in Kürze ein Bild zu entwerfen, das uns die Wirkungen einer allgemeinen zweijährigen Dienstzeit auf die verschiedensten Teile unsers gesellschaftlichen Lebens, in denen ja unser Heer wurzelt, wieder¬ spiegelt. In kurzen Worten würde die zu behandelnde Frage sein: Soll das Borrecht der Einjährig-Freiwilligen (und Volksschullehrer) fallen und dafür die allgemeine Pflicht einer zweijährigen Dienstzeit eintreten? Hierbei wäre zu untersuchen, welche Interessen mit der Aufhebung der Einjährig-Freiwilligen (auf die wir uns der Einfachheit wegen im Folgenden beschränken) gefördert, welche geschädigt werden; endlich: auf welcher Seite der Nutzen den Schaden für das Gemeinwesen übersteigt. Sollte es sich ergeben, daß die Abschaffung der erwähnten Vorrechte von hervorragendem Werte für das Wohl unsers Vaterlandes sein würde, so ist es zweifellos unsre ernste Pflicht, auf dieses Ziel hinzuarbeiten und unsre Bestrebungen durch alle die Mittel zur Anerkennung zu bringen, die uns politisch zur Verfügung stehen. Daran darf uns weder ein unfruchtbares radikales Theorientum noch ein starrer militärischer Kon¬ servatismus irre machen. Wäre dieses Bestreben nichts als ein Kampf gegen eine rein technisch-militärische Einrichtung, so würde es vom Gesichtspunkte des praktischen Politikers lediglich den militärischen Autoritäten zu überlassen sein, die Reform anzubahnen, wie sie es mit der rastlosen Unermüdlichkeit, mit der wir sie arbeiten zu sehen gewohnt sind, gewiß auch thun würden. Die Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen ist aber erst in zweiter Linie eine Sache, die das Militär angeht. Als man daran ging, zum Wohle des Vater¬ landes das ganze waffenfähige Volk zum militärischen Dienst heranzuziehen, da glaubte man, den „gebildeten Klassen" die Schwere dieses Dienstes in An¬ erkennung ihrer größern Leistungsfähigkeit erleichtern zu müssen, und so ist die Einrichtung ein Vorrecht des „gebildeten" und hinlänglich wohlhabenden Deutschen geworden, mit einem einjährigen Waffendienst davonzukommen, während sich sein minder glücklicher Kamerad aus dem Bauern-, Arbeiter- und kleinen Bürgerstande — dem das Geschick noch so manches andre vorent¬ halten hat — der schweren Pflicht des militärischen Dienstes zwei und mehr Jahre zu unterziehen hat. Mit dieser Einräumung an die Bildung der bessern Klassen hatte sich das Militär abzufinden, und mit dem ganzen Geschick, mit dem es von jeher bestrebt war, aus der Not eine Tugend zu machen und jeden irgendwie Tauglichen zu dem besten Soldaten auszubilden, schuf es aus der Einrichtung der Einjährig-Freiwilligen die andre der Reserve- und Land¬ wehroffiziere, d. h. es fügte zu dem ersten ein zweites, den gesellschaftlichen Anschauungen Deutschlands nach ganz bedeutendes Borrecht der Bildung und Wohlhabenheit. Während sich nun die Bildung ursprünglich im Besitz einer ziemlich bestimmbaren „bessern" Klasse befand, drängte sich im Laufe der Jahre eine immer größere Menge an die Quelle, die man mit Recht als die Haupt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/171>, abgerufen am 26.06.2024.