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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

das nördliche Australien bereits behauptet. Die Art, wie sich Südafrika
gleichwie im Fluge die großen Gebiete nördlich bis zum Tanganyika ange¬
eignet hat, deutet darauf hin, daß es diese Gunst seiner Lage ganz versteht,
und die Versuche, hinter Deutschostafrika herum eine Verbindung mit den Nil¬
ländern herzustellen, und die Hetzereien gegen die Buren und gegen Portugal
machen bereits den Eindruck von Anläufen zu einer panafrikanischen Politik,
für die freilich die geschichtlichen und völkerkundlichen Bedingungen einstweilen
noch nicht so gegeben sind, wie die "Reichspolitiker" an der Themse und am
Kap wünschen und zum Teil vielleicht glauben. Südafrika hat vor allem
nicht eine so rein englische Geschichte wie Australien oder der ganze Westen
von Kanada. Vor hundert Jahren kolonisirte hier nur Holland. Holländisch,
mit eingesprengten Deutschen und Franzosen, war die Bevölkerung, die sich
mit der Waffe in der Hand den Engländern widersetzte, als sie in den na¬
poleonischen Kriegen das Kap besetzten, dessen Wert für die Besitzer Indiens
schon damals so sehr außer Zweifel stand, daß sie es 1815 dem Oranier nicht
zurückerstatteten, der es 1795 auf Zeit unter ihren Schutz gestellt hatte. Die
Abneigung der weißen Bevölkerung gegen die Engländer erwiderten diese mit
empörenden Mißbrauch der Gewalt, die sie in den Händen hatten. Sie
spielten die von der Natur zum Dienen geschaffnen Hottentotten und Kaffern
gegen ihre holländischen Herren aus, hoben ihre Sklaverei auf, die nur
eine häusliche und mit der westindischen nicht zu vergleichen war, und be-
maßen die Entschädigungen so unbillig und knüpften sie an so demütigende
Bedingungen, daß viele Buren ihre Sklaven ohne weiteres freiließen und ins
Innere, über die englische Sphäre hinauszogen. Das war der Anfang der
Treks, die die Buren nach Natal, dem Oranjefreistaat und Transvaal, ja bis
in die Gebiete der Portugiesen (Humpata im Binnenlande von Mossamedes)
und in das deutsche Schutzgebiet (Grootfontein) geführt und die bunte politische
Gliederung des heutigen Südafrika geschafft haben. Die Engländer trieben
sie immer weiter. Sie gaben den Farbigen die Freizügigkeit, die, zu ihrem
Heile, die Buren ihnen versagt hatten, und schufen dadurch ein zuchtloses,
halbnomadisches Proletariat, das diesen, die einsam auf ihren Höfen wohnten,
bedrohlich wurde. Selbsthilfe gegen die Belästigungen der Farbigen wurde
unmöglich. In Europa wurden zu derselben Zeit die Buren als eine zurück¬
gebliebne, eigensinnige, hartherzige Bevölkerung verschrieen. Die englische Reise¬
litteratur und Tagcsschriftstellerei hat ihr möglichstes gethan, um diese Auf¬
fassung zu befestigen. Und wie es nirgends auf der Welt eine von Engländern
aufgestellte Thorheit gegeben hat. die nicht ein dummer (wenn auch gelehrter)
Deutscher nachgebetet Hütte, so ist es auch hier gewesen. Unser Urteil über
unsre Blutsverwandten machte sich von dem englischen Vorurteil abhängig!
In England haben erst die Niederlagen, die die verachteten Buren den Eng¬
ländern 1881 beibrachten, als diese von Natal aus nach dem Transvaal vor-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

das nördliche Australien bereits behauptet. Die Art, wie sich Südafrika
gleichwie im Fluge die großen Gebiete nördlich bis zum Tanganyika ange¬
eignet hat, deutet darauf hin, daß es diese Gunst seiner Lage ganz versteht,
und die Versuche, hinter Deutschostafrika herum eine Verbindung mit den Nil¬
ländern herzustellen, und die Hetzereien gegen die Buren und gegen Portugal
machen bereits den Eindruck von Anläufen zu einer panafrikanischen Politik,
für die freilich die geschichtlichen und völkerkundlichen Bedingungen einstweilen
noch nicht so gegeben sind, wie die „Reichspolitiker" an der Themse und am
Kap wünschen und zum Teil vielleicht glauben. Südafrika hat vor allem
nicht eine so rein englische Geschichte wie Australien oder der ganze Westen
von Kanada. Vor hundert Jahren kolonisirte hier nur Holland. Holländisch,
mit eingesprengten Deutschen und Franzosen, war die Bevölkerung, die sich
mit der Waffe in der Hand den Engländern widersetzte, als sie in den na¬
poleonischen Kriegen das Kap besetzten, dessen Wert für die Besitzer Indiens
schon damals so sehr außer Zweifel stand, daß sie es 1815 dem Oranier nicht
zurückerstatteten, der es 1795 auf Zeit unter ihren Schutz gestellt hatte. Die
Abneigung der weißen Bevölkerung gegen die Engländer erwiderten diese mit
empörenden Mißbrauch der Gewalt, die sie in den Händen hatten. Sie
spielten die von der Natur zum Dienen geschaffnen Hottentotten und Kaffern
gegen ihre holländischen Herren aus, hoben ihre Sklaverei auf, die nur
eine häusliche und mit der westindischen nicht zu vergleichen war, und be-
maßen die Entschädigungen so unbillig und knüpften sie an so demütigende
Bedingungen, daß viele Buren ihre Sklaven ohne weiteres freiließen und ins
Innere, über die englische Sphäre hinauszogen. Das war der Anfang der
Treks, die die Buren nach Natal, dem Oranjefreistaat und Transvaal, ja bis
in die Gebiete der Portugiesen (Humpata im Binnenlande von Mossamedes)
und in das deutsche Schutzgebiet (Grootfontein) geführt und die bunte politische
Gliederung des heutigen Südafrika geschafft haben. Die Engländer trieben
sie immer weiter. Sie gaben den Farbigen die Freizügigkeit, die, zu ihrem
Heile, die Buren ihnen versagt hatten, und schufen dadurch ein zuchtloses,
halbnomadisches Proletariat, das diesen, die einsam auf ihren Höfen wohnten,
bedrohlich wurde. Selbsthilfe gegen die Belästigungen der Farbigen wurde
unmöglich. In Europa wurden zu derselben Zeit die Buren als eine zurück¬
gebliebne, eigensinnige, hartherzige Bevölkerung verschrieen. Die englische Reise¬
litteratur und Tagcsschriftstellerei hat ihr möglichstes gethan, um diese Auf¬
fassung zu befestigen. Und wie es nirgends auf der Welt eine von Engländern
aufgestellte Thorheit gegeben hat. die nicht ein dummer (wenn auch gelehrter)
Deutscher nachgebetet Hütte, so ist es auch hier gewesen. Unser Urteil über
unsre Blutsverwandten machte sich von dem englischen Vorurteil abhängig!
In England haben erst die Niederlagen, die die verachteten Buren den Eng¬
ländern 1881 beibrachten, als diese von Natal aus nach dem Transvaal vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/16>, abgerufen am 01.09.2024.