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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Liserne Brücken

nach dem sogenannten "Konsol- oder Kcintileversystem" angewendet, wobei die
drei Flußbrückenträger mit Hilfe von drei eisernen, auf ebenso vielen Steinpfeilern
errichteten Gestellen konsolförmig, gleichsam frei in der Luft schwebend aus¬
gebildet wurden, und zwar so, daß die vom Fuß der Gestelle auslaufenden
Bogen durch die vom Kopf der Gestelle abgezweigten Vergitterungen so lange
in der Schwebe und zugleich im Gleichgewicht mit einander gehalten wurden,
bis die verjüngt zulaufenden Konsolen aufeinandertrafen und den Bogen
schlössen. Die Vergitterungen vertraten daher während des Baues die Stelle
der Seile oder der Gerüste und standen unter vollem Zug, von dem sie jedoch
nach Schluß der Bogen zum größten Teil entlastet wurden. Um einen senk¬
rechten Abstand der Fahrbahn vom Wasserspiegel von 46 Metern nicht zu
überschreiten, mußte die Fahrbahn in die Mitte der Gestelle und unterhalb
der beiden Bogenscheitel als Sehne gelegt und an den Bogen wieder auf¬
gehängt werden; die hierzu verwendete Vergitterung wird daher wieder ganz
auf Zug beansprucht. Der Bau der Firth of Forth-Brücke hat sieben Jahre
gedauert, hat 63 Millionen Mark gekostet, und 56 Arbeiter sind dabei ums
Leben gekommen. Übrigens soll die schon besprochne Hudsonbrücke zwischen
Newyork und Newjersey nach einer neuern Nachricht ebenfalls nach dem Kousol-
verfahren, aber mit Vergitterungen (anstatt der Drahtseile) gebaut werden,
wobei noch besondre Gewichte aus Gußeisen von zusammen 300 000 Zentnern
zum Ausbalanciren der ungleichen Konsolen angebracht werden müssen.

In gewisser Beziehung hat die neuerdings oft genannte, erst im vorigen
Jahre (1894) vollendete Brücke über den Nvrdostseekcmal bei Grünenthal Ähn¬
lichkeit mit der Firth of Forth-Brücke, obgleich sie nicht nach dem Konsol¬
verfahren, sondern mit Hilfe fester Gerüste und auch nur mit einer Spann¬
weite von 156^2 Meter bei 42 Meter Höhe über dem Wasserspiegel errichtet
worden ist. Bei dieser Brücke sind als Hauptträger zwei Bogen verwendet
worden, die gegen gemauerte Pfeiler gespannt und nach dem Scheitel zu all¬
mählich erweitert sind, sodaß sie die Form einer Sichel bilden, wonach man
die ganze Konstruktion als "Sichelträgerbrücke" bezeichnet hat. Auch hier ist
die Fahrbahn mitten durch die Bogen als Sehne (mit schwacher Krümmung
nach oben) gelegt und wieder mit Zugstangen an den Bogenscheiteln aufge¬
hängt; nur die beiden Enden der Fahrbahn sind auf die Bogen gestützt. Ähn¬
lich soll die Brücke bei Levensau aufgeführt sein, die die bei Grünenthal in
der Spannweite noch um 3'/z Meter und in der Höhe um 2 Meter übertrifft.
Beide Brücken können von den größten Seeschiffen mit vollen Masten durch¬
fahren werden, wobei nur die obersten Stengen eingezogen zu werden brauchen.

Eine vorzügliche Konstruktion ist bei dem Stromjoch der noch im Bau
begriffnen Eisenbrücke über das Wupperthal bei Müngsten zwischen Solingen
und Remscheid im bergischen Lande angewandt worden, die in diesem Jahre
ihrer Vollendung entgegensieht. Die Hauptträger dieses Jochs sind als


Liserne Brücken

nach dem sogenannten „Konsol- oder Kcintileversystem" angewendet, wobei die
drei Flußbrückenträger mit Hilfe von drei eisernen, auf ebenso vielen Steinpfeilern
errichteten Gestellen konsolförmig, gleichsam frei in der Luft schwebend aus¬
gebildet wurden, und zwar so, daß die vom Fuß der Gestelle auslaufenden
Bogen durch die vom Kopf der Gestelle abgezweigten Vergitterungen so lange
in der Schwebe und zugleich im Gleichgewicht mit einander gehalten wurden,
bis die verjüngt zulaufenden Konsolen aufeinandertrafen und den Bogen
schlössen. Die Vergitterungen vertraten daher während des Baues die Stelle
der Seile oder der Gerüste und standen unter vollem Zug, von dem sie jedoch
nach Schluß der Bogen zum größten Teil entlastet wurden. Um einen senk¬
rechten Abstand der Fahrbahn vom Wasserspiegel von 46 Metern nicht zu
überschreiten, mußte die Fahrbahn in die Mitte der Gestelle und unterhalb
der beiden Bogenscheitel als Sehne gelegt und an den Bogen wieder auf¬
gehängt werden; die hierzu verwendete Vergitterung wird daher wieder ganz
auf Zug beansprucht. Der Bau der Firth of Forth-Brücke hat sieben Jahre
gedauert, hat 63 Millionen Mark gekostet, und 56 Arbeiter sind dabei ums
Leben gekommen. Übrigens soll die schon besprochne Hudsonbrücke zwischen
Newyork und Newjersey nach einer neuern Nachricht ebenfalls nach dem Kousol-
verfahren, aber mit Vergitterungen (anstatt der Drahtseile) gebaut werden,
wobei noch besondre Gewichte aus Gußeisen von zusammen 300 000 Zentnern
zum Ausbalanciren der ungleichen Konsolen angebracht werden müssen.

In gewisser Beziehung hat die neuerdings oft genannte, erst im vorigen
Jahre (1894) vollendete Brücke über den Nvrdostseekcmal bei Grünenthal Ähn¬
lichkeit mit der Firth of Forth-Brücke, obgleich sie nicht nach dem Konsol¬
verfahren, sondern mit Hilfe fester Gerüste und auch nur mit einer Spann¬
weite von 156^2 Meter bei 42 Meter Höhe über dem Wasserspiegel errichtet
worden ist. Bei dieser Brücke sind als Hauptträger zwei Bogen verwendet
worden, die gegen gemauerte Pfeiler gespannt und nach dem Scheitel zu all¬
mählich erweitert sind, sodaß sie die Form einer Sichel bilden, wonach man
die ganze Konstruktion als „Sichelträgerbrücke" bezeichnet hat. Auch hier ist
die Fahrbahn mitten durch die Bogen als Sehne (mit schwacher Krümmung
nach oben) gelegt und wieder mit Zugstangen an den Bogenscheiteln aufge¬
hängt; nur die beiden Enden der Fahrbahn sind auf die Bogen gestützt. Ähn¬
lich soll die Brücke bei Levensau aufgeführt sein, die die bei Grünenthal in
der Spannweite noch um 3'/z Meter und in der Höhe um 2 Meter übertrifft.
Beide Brücken können von den größten Seeschiffen mit vollen Masten durch¬
fahren werden, wobei nur die obersten Stengen eingezogen zu werden brauchen.

Eine vorzügliche Konstruktion ist bei dem Stromjoch der noch im Bau
begriffnen Eisenbrücke über das Wupperthal bei Müngsten zwischen Solingen
und Remscheid im bergischen Lande angewandt worden, die in diesem Jahre
ihrer Vollendung entgegensieht. Die Hauptträger dieses Jochs sind als


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[0126] Liserne Brücken nach dem sogenannten „Konsol- oder Kcintileversystem" angewendet, wobei die drei Flußbrückenträger mit Hilfe von drei eisernen, auf ebenso vielen Steinpfeilern errichteten Gestellen konsolförmig, gleichsam frei in der Luft schwebend aus¬ gebildet wurden, und zwar so, daß die vom Fuß der Gestelle auslaufenden Bogen durch die vom Kopf der Gestelle abgezweigten Vergitterungen so lange in der Schwebe und zugleich im Gleichgewicht mit einander gehalten wurden, bis die verjüngt zulaufenden Konsolen aufeinandertrafen und den Bogen schlössen. Die Vergitterungen vertraten daher während des Baues die Stelle der Seile oder der Gerüste und standen unter vollem Zug, von dem sie jedoch nach Schluß der Bogen zum größten Teil entlastet wurden. Um einen senk¬ rechten Abstand der Fahrbahn vom Wasserspiegel von 46 Metern nicht zu überschreiten, mußte die Fahrbahn in die Mitte der Gestelle und unterhalb der beiden Bogenscheitel als Sehne gelegt und an den Bogen wieder auf¬ gehängt werden; die hierzu verwendete Vergitterung wird daher wieder ganz auf Zug beansprucht. Der Bau der Firth of Forth-Brücke hat sieben Jahre gedauert, hat 63 Millionen Mark gekostet, und 56 Arbeiter sind dabei ums Leben gekommen. Übrigens soll die schon besprochne Hudsonbrücke zwischen Newyork und Newjersey nach einer neuern Nachricht ebenfalls nach dem Kousol- verfahren, aber mit Vergitterungen (anstatt der Drahtseile) gebaut werden, wobei noch besondre Gewichte aus Gußeisen von zusammen 300 000 Zentnern zum Ausbalanciren der ungleichen Konsolen angebracht werden müssen. In gewisser Beziehung hat die neuerdings oft genannte, erst im vorigen Jahre (1894) vollendete Brücke über den Nvrdostseekcmal bei Grünenthal Ähn¬ lichkeit mit der Firth of Forth-Brücke, obgleich sie nicht nach dem Konsol¬ verfahren, sondern mit Hilfe fester Gerüste und auch nur mit einer Spann¬ weite von 156^2 Meter bei 42 Meter Höhe über dem Wasserspiegel errichtet worden ist. Bei dieser Brücke sind als Hauptträger zwei Bogen verwendet worden, die gegen gemauerte Pfeiler gespannt und nach dem Scheitel zu all¬ mählich erweitert sind, sodaß sie die Form einer Sichel bilden, wonach man die ganze Konstruktion als „Sichelträgerbrücke" bezeichnet hat. Auch hier ist die Fahrbahn mitten durch die Bogen als Sehne (mit schwacher Krümmung nach oben) gelegt und wieder mit Zugstangen an den Bogenscheiteln aufge¬ hängt; nur die beiden Enden der Fahrbahn sind auf die Bogen gestützt. Ähn¬ lich soll die Brücke bei Levensau aufgeführt sein, die die bei Grünenthal in der Spannweite noch um 3'/z Meter und in der Höhe um 2 Meter übertrifft. Beide Brücken können von den größten Seeschiffen mit vollen Masten durch¬ fahren werden, wobei nur die obersten Stengen eingezogen zu werden brauchen. Eine vorzügliche Konstruktion ist bei dem Stromjoch der noch im Bau begriffnen Eisenbrücke über das Wupperthal bei Müngsten zwischen Solingen und Remscheid im bergischen Lande angewandt worden, die in diesem Jahre ihrer Vollendung entgegensieht. Die Hauptträger dieses Jochs sind als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/126>, abgerufen am 28.07.2024.