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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vögel zu achten, und die Landschaft lag klarer vor mir. Ich war sehr gesund
und kräftig, arbeitete des Sommers täglich ein wenig im Garten und suchte
die überschüssige Kraft in meilenweiten Märschen los zu werden.

In dem Gebäude meines orthodoxen Glaubens geriet aber damals ein
Steinchen ins Wanken und zerbröckelte allmählich. Die Italiener hatten ihre
Fürsten verjagt und den Kirchenstaat zertrümmert; nur mit Hilfe ausländischer
Truppen vermochte sich der Papst in dem ihm verblichnen Reste, dem Patri-
monium Petri, zu behaupten. Döllinger suchte in seinen Odeonsvorträgen die
katholische Welt mit dem Gedanken an die Möglichkeit der vollständigen Ver¬
nichtung der weltlichen Papstherrschaft vertraut zu machen, wurde aber dafür
verketzert, und mit feinem Buche: Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchen¬
staat verschlimmerte er nur seine Lage, weil er darin u. a. auch die Mißwirt¬
schaft der päpstlichen Regierung schilderte. Ich vermochte der Verurteilung
Döllingers nicht beizustimmen, denn mein Herz stand auf feiten der sich be¬
freienden Völker, die UnHaltbarkeit der Parteifabeln, die alle großen Umwäl¬
zungen aus geheimen Umtrieben, sei es der Jesuiten, oder der Freimaurer,
oder der Juden, oder einer Kamarilla herleiten, hatte ich längst durchschaut
und erkannt, daß alles in der Welt mit natürlichen Dingen zugeht, und daß
jede Veränderung eine Ursache voraussetzt, deren Wirkungskraft an Größe der
in der Veränderung zur Erscheinung kommenden Kraft gleich ist. Für den
Kirchenstaat versuchte ich eine Ausnahme zu machen und mich zu überreden,
daß er das unschuldige Opfer von Verschwörungen sei, aber ein Jesuit, der
in einem Roman -- ich glaube er heißt Der Jude von Verona -- die ita¬
lienische Umwälzung erzählt, belehrte mich, sehr gegen seine Absicht, eines
Bessern. Er machte mich so wütend auf die römische Klerisei, daß ich sein
Buch mehreremal vor Zorn auf die Erde warf. Ich sagte mir: wenn die
italienischen Geistlichen und die päpstlichen Beamten solche Schafe sind, wie
sie hier geschildert werden, was bedarf es denn da noch der geheimen Gesell¬
schaften zum Sturze des Kirchenstaats! Er muß ja von selbst zusammen¬
breche"! An und für sich würde nun der wohlverdiente Untergang der welt¬
lichen Papstherrschaft, trotz des bedenklichen Kontrastes zwischen der Idee der
Kirche und dieser Seite ihrer Wirklichkeit, den Glauben noch nicht gefährdet
haben, wenn man sie innerhalb des Katholizismus als eine vergängliche ge¬
schichtliche Erscheinung aufgefaßt Hütte. Aber daß der Papst, der Episkopat
und die katholische Presse aus einer offenbar dem Untergange geweihten In¬
stitution eine wesentliche Einrichtung der Kirche machten und den Glauben an
deren Notwendigkeit zum Dogma stempelten, das war böse, böse wenigstens
für denkende Köpfe.




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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Vögel zu achten, und die Landschaft lag klarer vor mir. Ich war sehr gesund
und kräftig, arbeitete des Sommers täglich ein wenig im Garten und suchte
die überschüssige Kraft in meilenweiten Märschen los zu werden.

In dem Gebäude meines orthodoxen Glaubens geriet aber damals ein
Steinchen ins Wanken und zerbröckelte allmählich. Die Italiener hatten ihre
Fürsten verjagt und den Kirchenstaat zertrümmert; nur mit Hilfe ausländischer
Truppen vermochte sich der Papst in dem ihm verblichnen Reste, dem Patri-
monium Petri, zu behaupten. Döllinger suchte in seinen Odeonsvorträgen die
katholische Welt mit dem Gedanken an die Möglichkeit der vollständigen Ver¬
nichtung der weltlichen Papstherrschaft vertraut zu machen, wurde aber dafür
verketzert, und mit feinem Buche: Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchen¬
staat verschlimmerte er nur seine Lage, weil er darin u. a. auch die Mißwirt¬
schaft der päpstlichen Regierung schilderte. Ich vermochte der Verurteilung
Döllingers nicht beizustimmen, denn mein Herz stand auf feiten der sich be¬
freienden Völker, die UnHaltbarkeit der Parteifabeln, die alle großen Umwäl¬
zungen aus geheimen Umtrieben, sei es der Jesuiten, oder der Freimaurer,
oder der Juden, oder einer Kamarilla herleiten, hatte ich längst durchschaut
und erkannt, daß alles in der Welt mit natürlichen Dingen zugeht, und daß
jede Veränderung eine Ursache voraussetzt, deren Wirkungskraft an Größe der
in der Veränderung zur Erscheinung kommenden Kraft gleich ist. Für den
Kirchenstaat versuchte ich eine Ausnahme zu machen und mich zu überreden,
daß er das unschuldige Opfer von Verschwörungen sei, aber ein Jesuit, der
in einem Roman — ich glaube er heißt Der Jude von Verona — die ita¬
lienische Umwälzung erzählt, belehrte mich, sehr gegen seine Absicht, eines
Bessern. Er machte mich so wütend auf die römische Klerisei, daß ich sein
Buch mehreremal vor Zorn auf die Erde warf. Ich sagte mir: wenn die
italienischen Geistlichen und die päpstlichen Beamten solche Schafe sind, wie
sie hier geschildert werden, was bedarf es denn da noch der geheimen Gesell¬
schaften zum Sturze des Kirchenstaats! Er muß ja von selbst zusammen¬
breche»! An und für sich würde nun der wohlverdiente Untergang der welt¬
lichen Papstherrschaft, trotz des bedenklichen Kontrastes zwischen der Idee der
Kirche und dieser Seite ihrer Wirklichkeit, den Glauben noch nicht gefährdet
haben, wenn man sie innerhalb des Katholizismus als eine vergängliche ge¬
schichtliche Erscheinung aufgefaßt Hütte. Aber daß der Papst, der Episkopat
und die katholische Presse aus einer offenbar dem Untergange geweihten In¬
stitution eine wesentliche Einrichtung der Kirche machten und den Glauben an
deren Notwendigkeit zum Dogma stempelten, das war böse, böse wenigstens
für denkende Köpfe.




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[0625] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Vögel zu achten, und die Landschaft lag klarer vor mir. Ich war sehr gesund und kräftig, arbeitete des Sommers täglich ein wenig im Garten und suchte die überschüssige Kraft in meilenweiten Märschen los zu werden. In dem Gebäude meines orthodoxen Glaubens geriet aber damals ein Steinchen ins Wanken und zerbröckelte allmählich. Die Italiener hatten ihre Fürsten verjagt und den Kirchenstaat zertrümmert; nur mit Hilfe ausländischer Truppen vermochte sich der Papst in dem ihm verblichnen Reste, dem Patri- monium Petri, zu behaupten. Döllinger suchte in seinen Odeonsvorträgen die katholische Welt mit dem Gedanken an die Möglichkeit der vollständigen Ver¬ nichtung der weltlichen Papstherrschaft vertraut zu machen, wurde aber dafür verketzert, und mit feinem Buche: Kirche und Kirchen, Papsttum und Kirchen¬ staat verschlimmerte er nur seine Lage, weil er darin u. a. auch die Mißwirt¬ schaft der päpstlichen Regierung schilderte. Ich vermochte der Verurteilung Döllingers nicht beizustimmen, denn mein Herz stand auf feiten der sich be¬ freienden Völker, die UnHaltbarkeit der Parteifabeln, die alle großen Umwäl¬ zungen aus geheimen Umtrieben, sei es der Jesuiten, oder der Freimaurer, oder der Juden, oder einer Kamarilla herleiten, hatte ich längst durchschaut und erkannt, daß alles in der Welt mit natürlichen Dingen zugeht, und daß jede Veränderung eine Ursache voraussetzt, deren Wirkungskraft an Größe der in der Veränderung zur Erscheinung kommenden Kraft gleich ist. Für den Kirchenstaat versuchte ich eine Ausnahme zu machen und mich zu überreden, daß er das unschuldige Opfer von Verschwörungen sei, aber ein Jesuit, der in einem Roman — ich glaube er heißt Der Jude von Verona — die ita¬ lienische Umwälzung erzählt, belehrte mich, sehr gegen seine Absicht, eines Bessern. Er machte mich so wütend auf die römische Klerisei, daß ich sein Buch mehreremal vor Zorn auf die Erde warf. Ich sagte mir: wenn die italienischen Geistlichen und die päpstlichen Beamten solche Schafe sind, wie sie hier geschildert werden, was bedarf es denn da noch der geheimen Gesell¬ schaften zum Sturze des Kirchenstaats! Er muß ja von selbst zusammen¬ breche»! An und für sich würde nun der wohlverdiente Untergang der welt¬ lichen Papstherrschaft, trotz des bedenklichen Kontrastes zwischen der Idee der Kirche und dieser Seite ihrer Wirklichkeit, den Glauben noch nicht gefährdet haben, wenn man sie innerhalb des Katholizismus als eine vergängliche ge¬ schichtliche Erscheinung aufgefaßt Hütte. Aber daß der Papst, der Episkopat und die katholische Presse aus einer offenbar dem Untergange geweihten In¬ stitution eine wesentliche Einrichtung der Kirche machten und den Glauben an deren Notwendigkeit zum Dogma stempelten, das war böse, böse wenigstens für denkende Köpfe. 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/625>, abgerufen am 25.08.2024.