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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

sogar während einer Predigt werden die Thüren selten geschlossen. Der Glanz
der kirchlichen Zeremonien soll in Rom seit 1870 wesentlich geringer geworden
sein, doch sind sie namentlich während der Osterzeit noch immer eindrucksvoll
genug. Dem Protestanten freilich fällt immer wieder auf, daß jeder eigent¬
liche Gemeindegesang fehlt, und jeder Gottesdienst somit zu einem Schauspiel
wird, das die Geistlichkeit veranstaltet, während die Gemeinde nur zuhört und
zusieht. Auch das fortwährende Ab- und Zugehen bringt etwas eigentümlich
Regelloses und Unruhiges in die Sache hinein, und die Mannigfaltigkeit der
heiligen Handlungen, die zuweilen zugleich an verschiednen Orten derselben
Kirche vorgenommen werden, macht das Bild noch bunter. Am Palmsonntag
z. V. fand, wie überall, die Palmenweihe in der ehrwürdigen Basilika Santa
Maria Maggiore statt. Viele Hunderte von Menschen erfüllten das weite
Gotteshaus; aber während vor dem Hochaltar die Palmen geweiht wurden,
wurde an andern Altären Messe gelesen, an mehreren Stellen Beichte gehört,
und fortwährend flutete der Strom der Andächtigen und der bloßen Zuschauer
ab und zu. Ungeheuer war der Zudrang zum Miserere am Gründonnerstag
in der Peterskirche. Tausende von Menschen bewegten sich in den unerme߬
lichen Marmvrhallen, in denen sich der Einzelne verliert, ohne daß man irgend
den Eindruck der Fülle gehabt hätte, vielmehr erschienen zwei Drittel des
Riesenbaues geradezu leer; aber wahrend des Gesanges verharrten nur die, die
dem Chor am nächsten waren, ruhig auf ihren Plätzen, alle andern blieben bald
stehen oder suchten sich irgend welchen Sitzplatz, auch auf der Balustrade des
Hochaltars unter der Kuppel, bald bewegten sie sich langsam, hörten zu, unter¬
hielten sich, gingen und kamen, sodaß sich das Ganze mehr wie ein geistliches
Promenadenkonzert aufnahm. Von eigentlicher Andacht habe ich bei wenigen
etwas bemerkt. Draußen aber auf dem ungeheuern Platze, den die majestä¬
tischen Säulenhallen Berninis umgeben, rollten in endlosen Reihen die Wagen
aus der Stadt heran und wieder davon, oder fuhren längs der Arkaden auf,
während die prächtigen Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken ihre
Wassersäulen hoch hinauf schleuderten zum blauen Himmel und ein leichter
Wind ihre ganze Umgebung mit sprühendem Regen überschüttete. Weit maje¬
stätischer und feierlicher fand ich die Grablegung am Karfreitag in der Lateran¬
basilika. Auch hier fehlte es nicht, wie selten, an kleinen Kindern, die harmlos
auf den Marmorfliesen spielten; aber die Mehrzahl der Anwesenden hörte doch
ruhig und andächtig den in der That ergreifenden Gesängen aus dem in buntem
Marmor- und Mosaikenschmuck prangenden Chor zu und machte ehrfurchtsvoll
Platz, als sich der Zug der Geistlichkeit, die Domherren um einen greisen
Bischof geschart, unter Klageliedern nach dem heiligen Grabe und zurück nach
dem Hochaltare bewegte. Das heilige Grab war in all diesen Tagen überall
Prunkvoll errichtet und von Hunderten von Kerzen erleuchtet, besonders prächtig
in der Jesuitenkirche (Gehn), und wunderbar genug nahm es sich aus, wenn abends


Italienische Lindrücke

sogar während einer Predigt werden die Thüren selten geschlossen. Der Glanz
der kirchlichen Zeremonien soll in Rom seit 1870 wesentlich geringer geworden
sein, doch sind sie namentlich während der Osterzeit noch immer eindrucksvoll
genug. Dem Protestanten freilich fällt immer wieder auf, daß jeder eigent¬
liche Gemeindegesang fehlt, und jeder Gottesdienst somit zu einem Schauspiel
wird, das die Geistlichkeit veranstaltet, während die Gemeinde nur zuhört und
zusieht. Auch das fortwährende Ab- und Zugehen bringt etwas eigentümlich
Regelloses und Unruhiges in die Sache hinein, und die Mannigfaltigkeit der
heiligen Handlungen, die zuweilen zugleich an verschiednen Orten derselben
Kirche vorgenommen werden, macht das Bild noch bunter. Am Palmsonntag
z. V. fand, wie überall, die Palmenweihe in der ehrwürdigen Basilika Santa
Maria Maggiore statt. Viele Hunderte von Menschen erfüllten das weite
Gotteshaus; aber während vor dem Hochaltar die Palmen geweiht wurden,
wurde an andern Altären Messe gelesen, an mehreren Stellen Beichte gehört,
und fortwährend flutete der Strom der Andächtigen und der bloßen Zuschauer
ab und zu. Ungeheuer war der Zudrang zum Miserere am Gründonnerstag
in der Peterskirche. Tausende von Menschen bewegten sich in den unerme߬
lichen Marmvrhallen, in denen sich der Einzelne verliert, ohne daß man irgend
den Eindruck der Fülle gehabt hätte, vielmehr erschienen zwei Drittel des
Riesenbaues geradezu leer; aber wahrend des Gesanges verharrten nur die, die
dem Chor am nächsten waren, ruhig auf ihren Plätzen, alle andern blieben bald
stehen oder suchten sich irgend welchen Sitzplatz, auch auf der Balustrade des
Hochaltars unter der Kuppel, bald bewegten sie sich langsam, hörten zu, unter¬
hielten sich, gingen und kamen, sodaß sich das Ganze mehr wie ein geistliches
Promenadenkonzert aufnahm. Von eigentlicher Andacht habe ich bei wenigen
etwas bemerkt. Draußen aber auf dem ungeheuern Platze, den die majestä¬
tischen Säulenhallen Berninis umgeben, rollten in endlosen Reihen die Wagen
aus der Stadt heran und wieder davon, oder fuhren längs der Arkaden auf,
während die prächtigen Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken ihre
Wassersäulen hoch hinauf schleuderten zum blauen Himmel und ein leichter
Wind ihre ganze Umgebung mit sprühendem Regen überschüttete. Weit maje¬
stätischer und feierlicher fand ich die Grablegung am Karfreitag in der Lateran¬
basilika. Auch hier fehlte es nicht, wie selten, an kleinen Kindern, die harmlos
auf den Marmorfliesen spielten; aber die Mehrzahl der Anwesenden hörte doch
ruhig und andächtig den in der That ergreifenden Gesängen aus dem in buntem
Marmor- und Mosaikenschmuck prangenden Chor zu und machte ehrfurchtsvoll
Platz, als sich der Zug der Geistlichkeit, die Domherren um einen greisen
Bischof geschart, unter Klageliedern nach dem heiligen Grabe und zurück nach
dem Hochaltare bewegte. Das heilige Grab war in all diesen Tagen überall
Prunkvoll errichtet und von Hunderten von Kerzen erleuchtet, besonders prächtig
in der Jesuitenkirche (Gehn), und wunderbar genug nahm es sich aus, wenn abends


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[0568] Italienische Lindrücke sogar während einer Predigt werden die Thüren selten geschlossen. Der Glanz der kirchlichen Zeremonien soll in Rom seit 1870 wesentlich geringer geworden sein, doch sind sie namentlich während der Osterzeit noch immer eindrucksvoll genug. Dem Protestanten freilich fällt immer wieder auf, daß jeder eigent¬ liche Gemeindegesang fehlt, und jeder Gottesdienst somit zu einem Schauspiel wird, das die Geistlichkeit veranstaltet, während die Gemeinde nur zuhört und zusieht. Auch das fortwährende Ab- und Zugehen bringt etwas eigentümlich Regelloses und Unruhiges in die Sache hinein, und die Mannigfaltigkeit der heiligen Handlungen, die zuweilen zugleich an verschiednen Orten derselben Kirche vorgenommen werden, macht das Bild noch bunter. Am Palmsonntag z. V. fand, wie überall, die Palmenweihe in der ehrwürdigen Basilika Santa Maria Maggiore statt. Viele Hunderte von Menschen erfüllten das weite Gotteshaus; aber während vor dem Hochaltar die Palmen geweiht wurden, wurde an andern Altären Messe gelesen, an mehreren Stellen Beichte gehört, und fortwährend flutete der Strom der Andächtigen und der bloßen Zuschauer ab und zu. Ungeheuer war der Zudrang zum Miserere am Gründonnerstag in der Peterskirche. Tausende von Menschen bewegten sich in den unerme߬ lichen Marmvrhallen, in denen sich der Einzelne verliert, ohne daß man irgend den Eindruck der Fülle gehabt hätte, vielmehr erschienen zwei Drittel des Riesenbaues geradezu leer; aber wahrend des Gesanges verharrten nur die, die dem Chor am nächsten waren, ruhig auf ihren Plätzen, alle andern blieben bald stehen oder suchten sich irgend welchen Sitzplatz, auch auf der Balustrade des Hochaltars unter der Kuppel, bald bewegten sie sich langsam, hörten zu, unter¬ hielten sich, gingen und kamen, sodaß sich das Ganze mehr wie ein geistliches Promenadenkonzert aufnahm. Von eigentlicher Andacht habe ich bei wenigen etwas bemerkt. Draußen aber auf dem ungeheuern Platze, den die majestä¬ tischen Säulenhallen Berninis umgeben, rollten in endlosen Reihen die Wagen aus der Stadt heran und wieder davon, oder fuhren längs der Arkaden auf, während die prächtigen Springbrunnen zu beiden Seiten des Obelisken ihre Wassersäulen hoch hinauf schleuderten zum blauen Himmel und ein leichter Wind ihre ganze Umgebung mit sprühendem Regen überschüttete. Weit maje¬ stätischer und feierlicher fand ich die Grablegung am Karfreitag in der Lateran¬ basilika. Auch hier fehlte es nicht, wie selten, an kleinen Kindern, die harmlos auf den Marmorfliesen spielten; aber die Mehrzahl der Anwesenden hörte doch ruhig und andächtig den in der That ergreifenden Gesängen aus dem in buntem Marmor- und Mosaikenschmuck prangenden Chor zu und machte ehrfurchtsvoll Platz, als sich der Zug der Geistlichkeit, die Domherren um einen greisen Bischof geschart, unter Klageliedern nach dem heiligen Grabe und zurück nach dem Hochaltare bewegte. Das heilige Grab war in all diesen Tagen überall Prunkvoll errichtet und von Hunderten von Kerzen erleuchtet, besonders prächtig in der Jesuitenkirche (Gehn), und wunderbar genug nahm es sich aus, wenn abends

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/568>, abgerufen am 22.12.2024.