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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

als konnte es nicht schaden, wenn sich der zur Herrschaft gelangten antiqua¬
rischen Richtung gegenüber die akademisch-ästhetische zu behaupten suchte. Viel
altes wird doch nur darum gepriesen, weil es alt ist, und der Kultus an sich
bedeutungslosen alten Plunders kaun unmöglich echtes und wahres Leben
fördern. Einmal, als ich bei Knoblich eintrat, stand er mit aufgestreiften
Hemdsärmeln am Waschzuber. Was Kuckuck machst du denn da? -- Ich
wasche Engel, Engel aus der Holzkammer. Er hatte sie in der That in der
Holzkammer aufgestöbert, wohin sie bei der Kirchenrestauration geworfen worden
waren, und den Händen des Vaters sah. -- der Propst hatte seine Eltern
im Hause -- entrissen, der sie eben zu Brennholz klein hacken wollte. Er
konnte sich nicht genug thun im Preise dieser Puppen, aber ich muß gestehen,
mir erschienen sie nicht waschenswert.

Am allerwenigsten verstand ich die Art und Weise, wie er die Bücher be->
handelte. Während mich ganz allein der Inhalt interessirte, an der Ausstattung
nur das eine, ob sich der Druck gut las oder uicht, kümmerte ihn der Inhalt,
sofern er nicht in sein Fach schlug, gar nicht, und er kaufte Bücher antiqua¬
risch zusammen, bloß weil es seltene Drucke waren. Er konnte stundenlang
über die gepreßte Arbeit auf einem Ledereinbande, über die Schönheit mir sehr
häßlich vorkommender Holzschnitte und über Bücherzeichen sprechen, was mir
alles sehr gleichgiltig war. Später habe ich zwar auch diese Dinge einiger¬
maßen würdigen lernen, glaube aber doch, daß meine Auffassung meiner Amts-
führung zuträglicher gewesen ist, als ihm die seine. Auch zur Vorbereitung
auf die Predigt wählte er nur Bücher, die sich ihm durch Schweinsleder,
altertümliche Titel und altberühmte Drucker empfahlen, und mit Vorliebe
gebrauchte er den "Samsvnischen Honigfladen," aus dem er mir Sonnabends
abends manchmal vorlas. Zu seiner Betrübnis mußte er aber erfahren, daß
der Stil der Murner und Abraham a Santa Klara heutzutage keinen Anklang
mehr findet, nicht einmal bei den Bauern, ja bei diesen am allerwenigsten.
Als ihn einst der ErzPriester mit der Einladung zu einer Festpredigt beehrt
hatte, und er darin den Bauern zurief: Da sitzt ihr nun drin in euerm Fette
wie die Maus im Speck! so zog ihm das die Entrüstung der Bauern und
eine scharfe Rüge vom ErzPriester zu, der große Stücke auf seine brave Ge¬
meinde hielt und dieser, wie er sagte, eine außergewöhnliche Erbauung bereiten,
nicht aber seine Kirche durch Possen und Geschimpf entweihen lassen wollte.
Die Erfüllung von Knoblichs sehnsüchtigem Wunsche, von sah. fortzukommen,
wurde jedoch durch diese Festpredigt nicht wenig gefördert. Er ward in die
Fürstbischöfliche Kanzlei berufen, der er durch seine schöne gotische Handschrift
zur Zierde und dnrch seinen Witz zum Troste gereichte. Daß sein loses Maul
niemanden und nichts verschonte, stand seiner baldigen Beförderung zum
Generalvikariatsamtsrat nicht im Wege; denn die Herren am Dom verstehen
oder verstanden wenigstens damals Spaß, und weit entfernt davon, Spaß-


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

als konnte es nicht schaden, wenn sich der zur Herrschaft gelangten antiqua¬
rischen Richtung gegenüber die akademisch-ästhetische zu behaupten suchte. Viel
altes wird doch nur darum gepriesen, weil es alt ist, und der Kultus an sich
bedeutungslosen alten Plunders kaun unmöglich echtes und wahres Leben
fördern. Einmal, als ich bei Knoblich eintrat, stand er mit aufgestreiften
Hemdsärmeln am Waschzuber. Was Kuckuck machst du denn da? — Ich
wasche Engel, Engel aus der Holzkammer. Er hatte sie in der That in der
Holzkammer aufgestöbert, wohin sie bei der Kirchenrestauration geworfen worden
waren, und den Händen des Vaters sah. — der Propst hatte seine Eltern
im Hause — entrissen, der sie eben zu Brennholz klein hacken wollte. Er
konnte sich nicht genug thun im Preise dieser Puppen, aber ich muß gestehen,
mir erschienen sie nicht waschenswert.

Am allerwenigsten verstand ich die Art und Weise, wie er die Bücher be->
handelte. Während mich ganz allein der Inhalt interessirte, an der Ausstattung
nur das eine, ob sich der Druck gut las oder uicht, kümmerte ihn der Inhalt,
sofern er nicht in sein Fach schlug, gar nicht, und er kaufte Bücher antiqua¬
risch zusammen, bloß weil es seltene Drucke waren. Er konnte stundenlang
über die gepreßte Arbeit auf einem Ledereinbande, über die Schönheit mir sehr
häßlich vorkommender Holzschnitte und über Bücherzeichen sprechen, was mir
alles sehr gleichgiltig war. Später habe ich zwar auch diese Dinge einiger¬
maßen würdigen lernen, glaube aber doch, daß meine Auffassung meiner Amts-
führung zuträglicher gewesen ist, als ihm die seine. Auch zur Vorbereitung
auf die Predigt wählte er nur Bücher, die sich ihm durch Schweinsleder,
altertümliche Titel und altberühmte Drucker empfahlen, und mit Vorliebe
gebrauchte er den „Samsvnischen Honigfladen," aus dem er mir Sonnabends
abends manchmal vorlas. Zu seiner Betrübnis mußte er aber erfahren, daß
der Stil der Murner und Abraham a Santa Klara heutzutage keinen Anklang
mehr findet, nicht einmal bei den Bauern, ja bei diesen am allerwenigsten.
Als ihn einst der ErzPriester mit der Einladung zu einer Festpredigt beehrt
hatte, und er darin den Bauern zurief: Da sitzt ihr nun drin in euerm Fette
wie die Maus im Speck! so zog ihm das die Entrüstung der Bauern und
eine scharfe Rüge vom ErzPriester zu, der große Stücke auf seine brave Ge¬
meinde hielt und dieser, wie er sagte, eine außergewöhnliche Erbauung bereiten,
nicht aber seine Kirche durch Possen und Geschimpf entweihen lassen wollte.
Die Erfüllung von Knoblichs sehnsüchtigem Wunsche, von sah. fortzukommen,
wurde jedoch durch diese Festpredigt nicht wenig gefördert. Er ward in die
Fürstbischöfliche Kanzlei berufen, der er durch seine schöne gotische Handschrift
zur Zierde und dnrch seinen Witz zum Troste gereichte. Daß sein loses Maul
niemanden und nichts verschonte, stand seiner baldigen Beförderung zum
Generalvikariatsamtsrat nicht im Wege; denn die Herren am Dom verstehen
oder verstanden wenigstens damals Spaß, und weit entfernt davon, Spaß-


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[0534] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome als konnte es nicht schaden, wenn sich der zur Herrschaft gelangten antiqua¬ rischen Richtung gegenüber die akademisch-ästhetische zu behaupten suchte. Viel altes wird doch nur darum gepriesen, weil es alt ist, und der Kultus an sich bedeutungslosen alten Plunders kaun unmöglich echtes und wahres Leben fördern. Einmal, als ich bei Knoblich eintrat, stand er mit aufgestreiften Hemdsärmeln am Waschzuber. Was Kuckuck machst du denn da? — Ich wasche Engel, Engel aus der Holzkammer. Er hatte sie in der That in der Holzkammer aufgestöbert, wohin sie bei der Kirchenrestauration geworfen worden waren, und den Händen des Vaters sah. — der Propst hatte seine Eltern im Hause — entrissen, der sie eben zu Brennholz klein hacken wollte. Er konnte sich nicht genug thun im Preise dieser Puppen, aber ich muß gestehen, mir erschienen sie nicht waschenswert. Am allerwenigsten verstand ich die Art und Weise, wie er die Bücher be-> handelte. Während mich ganz allein der Inhalt interessirte, an der Ausstattung nur das eine, ob sich der Druck gut las oder uicht, kümmerte ihn der Inhalt, sofern er nicht in sein Fach schlug, gar nicht, und er kaufte Bücher antiqua¬ risch zusammen, bloß weil es seltene Drucke waren. Er konnte stundenlang über die gepreßte Arbeit auf einem Ledereinbande, über die Schönheit mir sehr häßlich vorkommender Holzschnitte und über Bücherzeichen sprechen, was mir alles sehr gleichgiltig war. Später habe ich zwar auch diese Dinge einiger¬ maßen würdigen lernen, glaube aber doch, daß meine Auffassung meiner Amts- führung zuträglicher gewesen ist, als ihm die seine. Auch zur Vorbereitung auf die Predigt wählte er nur Bücher, die sich ihm durch Schweinsleder, altertümliche Titel und altberühmte Drucker empfahlen, und mit Vorliebe gebrauchte er den „Samsvnischen Honigfladen," aus dem er mir Sonnabends abends manchmal vorlas. Zu seiner Betrübnis mußte er aber erfahren, daß der Stil der Murner und Abraham a Santa Klara heutzutage keinen Anklang mehr findet, nicht einmal bei den Bauern, ja bei diesen am allerwenigsten. Als ihn einst der ErzPriester mit der Einladung zu einer Festpredigt beehrt hatte, und er darin den Bauern zurief: Da sitzt ihr nun drin in euerm Fette wie die Maus im Speck! so zog ihm das die Entrüstung der Bauern und eine scharfe Rüge vom ErzPriester zu, der große Stücke auf seine brave Ge¬ meinde hielt und dieser, wie er sagte, eine außergewöhnliche Erbauung bereiten, nicht aber seine Kirche durch Possen und Geschimpf entweihen lassen wollte. Die Erfüllung von Knoblichs sehnsüchtigem Wunsche, von sah. fortzukommen, wurde jedoch durch diese Festpredigt nicht wenig gefördert. Er ward in die Fürstbischöfliche Kanzlei berufen, der er durch seine schöne gotische Handschrift zur Zierde und dnrch seinen Witz zum Troste gereichte. Daß sein loses Maul niemanden und nichts verschonte, stand seiner baldigen Beförderung zum Generalvikariatsamtsrat nicht im Wege; denn die Herren am Dom verstehen oder verstanden wenigstens damals Spaß, und weit entfernt davon, Spaß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/534>, abgerufen am 26.08.2024.