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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Ich war ein paarmal zu Besuch auf dem Nehberger Pfarrhofe und wurde
jedesmal sehr freundlich aufgenommen. Das letztemal fand ich Bär krank.
Was macht denn der gute Herr Pfarrer? fragte ich Elise beim Eintritt, worauf
ich eine Antwort im Lapidarstil bekam, für die dem Rabelais sein Verleger
ein Extrahvnorar gezahlt haben würde, die aber heute nicht gedruckt werden
kann. Es war ein junger, hübscher Kerl da, deu sie sich bei den am Orte
stehenden Jägern ausgesucht hatte, "damit er dem Pfarrer die Pfeife stopfe."
Der Pfarrer starb bald darauf; sie kaufte dem Burschen einen Garten und
heiratete ihn. Der junge Mensch soll schrecklich viel Prügel bekommen haben

Fuchs und seine Frau waren, abgesehen von der Überspanntheit des
Mannes, brave Leute und haben auch mir und den Meinigen mancherlei Gutes
erwiesen. Frau Fuchs beherbergte, als sie noch Witwe Schwärtner war,
wochenlang meine Mutter und meinen jüngsten Bruder, und er hat in meiner
Krankheit mehrere Nächte an meinem Bette zugebracht. Auch war er ein tüch¬
tiger Arbeiter. Aber nachdem er sich von seinen Eltern getrennt hatte, riß
ihn die Schwärmerei fort. Er that nichts mehr als beten, verbummelte sein
und seiner Frau kleines Vermögen, diese starb vor Gram, nachdem sie schon
ihre rosengeschmückten Möbel hatte verkaufen müssen, und er geriet mit seinem
Töchterlein ins Elend.

Mir war die Geschichtslehrerstelle am Glatzer Gymnasium angeboten
worden. Nach einem Jahre sollte ich die Prüfung machen, bis dahin könne
ich, sagte man mir, als zweiter Konviktsvorsteher meinen notdürftigen Lebens¬
unterhalt haben. Damit ich Zeit zur Vorbereitung behielte, brauchte ich bloß
zwei Stunden Religion in der Sexta und zwei Stunden Latein in der Quinta
zu geben. Die Unterklassen waren sehr stark -- über sechzig Schüler in
jeder --, und so machte sich meine beginnende Schwerhörigkeit schon bemerkbar.
Ich gestand das meinem alten Freunde und Gönner Förster, und dieser riet
mir, unter solchen Umständen lieber zu verzichten. Ich schrieb also an den
Provinzialschulrat, ich könnte in einem Jahre mit der Vorbereitung auf die
Prüfung nicht fertig werden, worauf dieser, wie ich erwartet hatte, antwortete,
die Stelle dürfe nicht länger als ein Jahr unbesetzt bleiben; er überlasse mir
also, ob ich nicht vielleicht später das Neligionslehrerexamen machen wolle,
um am Gymnasium bleiben zu können. Ich nahm diesen Bescheid zum Vor¬
wand, in die Seelsorge zurückzutreten. Den Vorteil hatte ich von diesem Jahre
gehabt, daß ich meinen jüngsten Bruder hatte aufs Gymnasium bringen können;
außerdem nahm ich die angenehme Erinnerung an den sehr herzlichen geselligen
Verkehr mit den Lehrerfamilien mit und an ein halbes Dutzend Kirchenfeste
auf den Dörfern um Glatz, wo ich als Festprediger benutzt worden war. Die
Geistlichen der Grafschaft waren gemütliche Leute und, die älteren nicht aus¬
genommen, aufrichtig fromm; an grober Verbauerung litten nur wenige.

Mein neuer Bestimmungsort war sah....., ein Städtlein an der


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Ich war ein paarmal zu Besuch auf dem Nehberger Pfarrhofe und wurde
jedesmal sehr freundlich aufgenommen. Das letztemal fand ich Bär krank.
Was macht denn der gute Herr Pfarrer? fragte ich Elise beim Eintritt, worauf
ich eine Antwort im Lapidarstil bekam, für die dem Rabelais sein Verleger
ein Extrahvnorar gezahlt haben würde, die aber heute nicht gedruckt werden
kann. Es war ein junger, hübscher Kerl da, deu sie sich bei den am Orte
stehenden Jägern ausgesucht hatte, „damit er dem Pfarrer die Pfeife stopfe."
Der Pfarrer starb bald darauf; sie kaufte dem Burschen einen Garten und
heiratete ihn. Der junge Mensch soll schrecklich viel Prügel bekommen haben

Fuchs und seine Frau waren, abgesehen von der Überspanntheit des
Mannes, brave Leute und haben auch mir und den Meinigen mancherlei Gutes
erwiesen. Frau Fuchs beherbergte, als sie noch Witwe Schwärtner war,
wochenlang meine Mutter und meinen jüngsten Bruder, und er hat in meiner
Krankheit mehrere Nächte an meinem Bette zugebracht. Auch war er ein tüch¬
tiger Arbeiter. Aber nachdem er sich von seinen Eltern getrennt hatte, riß
ihn die Schwärmerei fort. Er that nichts mehr als beten, verbummelte sein
und seiner Frau kleines Vermögen, diese starb vor Gram, nachdem sie schon
ihre rosengeschmückten Möbel hatte verkaufen müssen, und er geriet mit seinem
Töchterlein ins Elend.

Mir war die Geschichtslehrerstelle am Glatzer Gymnasium angeboten
worden. Nach einem Jahre sollte ich die Prüfung machen, bis dahin könne
ich, sagte man mir, als zweiter Konviktsvorsteher meinen notdürftigen Lebens¬
unterhalt haben. Damit ich Zeit zur Vorbereitung behielte, brauchte ich bloß
zwei Stunden Religion in der Sexta und zwei Stunden Latein in der Quinta
zu geben. Die Unterklassen waren sehr stark — über sechzig Schüler in
jeder —, und so machte sich meine beginnende Schwerhörigkeit schon bemerkbar.
Ich gestand das meinem alten Freunde und Gönner Förster, und dieser riet
mir, unter solchen Umständen lieber zu verzichten. Ich schrieb also an den
Provinzialschulrat, ich könnte in einem Jahre mit der Vorbereitung auf die
Prüfung nicht fertig werden, worauf dieser, wie ich erwartet hatte, antwortete,
die Stelle dürfe nicht länger als ein Jahr unbesetzt bleiben; er überlasse mir
also, ob ich nicht vielleicht später das Neligionslehrerexamen machen wolle,
um am Gymnasium bleiben zu können. Ich nahm diesen Bescheid zum Vor¬
wand, in die Seelsorge zurückzutreten. Den Vorteil hatte ich von diesem Jahre
gehabt, daß ich meinen jüngsten Bruder hatte aufs Gymnasium bringen können;
außerdem nahm ich die angenehme Erinnerung an den sehr herzlichen geselligen
Verkehr mit den Lehrerfamilien mit und an ein halbes Dutzend Kirchenfeste
auf den Dörfern um Glatz, wo ich als Festprediger benutzt worden war. Die
Geistlichen der Grafschaft waren gemütliche Leute und, die älteren nicht aus¬
genommen, aufrichtig fromm; an grober Verbauerung litten nur wenige.

Mein neuer Bestimmungsort war sah....., ein Städtlein an der


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[0530] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Ich war ein paarmal zu Besuch auf dem Nehberger Pfarrhofe und wurde jedesmal sehr freundlich aufgenommen. Das letztemal fand ich Bär krank. Was macht denn der gute Herr Pfarrer? fragte ich Elise beim Eintritt, worauf ich eine Antwort im Lapidarstil bekam, für die dem Rabelais sein Verleger ein Extrahvnorar gezahlt haben würde, die aber heute nicht gedruckt werden kann. Es war ein junger, hübscher Kerl da, deu sie sich bei den am Orte stehenden Jägern ausgesucht hatte, „damit er dem Pfarrer die Pfeife stopfe." Der Pfarrer starb bald darauf; sie kaufte dem Burschen einen Garten und heiratete ihn. Der junge Mensch soll schrecklich viel Prügel bekommen haben Fuchs und seine Frau waren, abgesehen von der Überspanntheit des Mannes, brave Leute und haben auch mir und den Meinigen mancherlei Gutes erwiesen. Frau Fuchs beherbergte, als sie noch Witwe Schwärtner war, wochenlang meine Mutter und meinen jüngsten Bruder, und er hat in meiner Krankheit mehrere Nächte an meinem Bette zugebracht. Auch war er ein tüch¬ tiger Arbeiter. Aber nachdem er sich von seinen Eltern getrennt hatte, riß ihn die Schwärmerei fort. Er that nichts mehr als beten, verbummelte sein und seiner Frau kleines Vermögen, diese starb vor Gram, nachdem sie schon ihre rosengeschmückten Möbel hatte verkaufen müssen, und er geriet mit seinem Töchterlein ins Elend. Mir war die Geschichtslehrerstelle am Glatzer Gymnasium angeboten worden. Nach einem Jahre sollte ich die Prüfung machen, bis dahin könne ich, sagte man mir, als zweiter Konviktsvorsteher meinen notdürftigen Lebens¬ unterhalt haben. Damit ich Zeit zur Vorbereitung behielte, brauchte ich bloß zwei Stunden Religion in der Sexta und zwei Stunden Latein in der Quinta zu geben. Die Unterklassen waren sehr stark — über sechzig Schüler in jeder —, und so machte sich meine beginnende Schwerhörigkeit schon bemerkbar. Ich gestand das meinem alten Freunde und Gönner Förster, und dieser riet mir, unter solchen Umständen lieber zu verzichten. Ich schrieb also an den Provinzialschulrat, ich könnte in einem Jahre mit der Vorbereitung auf die Prüfung nicht fertig werden, worauf dieser, wie ich erwartet hatte, antwortete, die Stelle dürfe nicht länger als ein Jahr unbesetzt bleiben; er überlasse mir also, ob ich nicht vielleicht später das Neligionslehrerexamen machen wolle, um am Gymnasium bleiben zu können. Ich nahm diesen Bescheid zum Vor¬ wand, in die Seelsorge zurückzutreten. Den Vorteil hatte ich von diesem Jahre gehabt, daß ich meinen jüngsten Bruder hatte aufs Gymnasium bringen können; außerdem nahm ich die angenehme Erinnerung an den sehr herzlichen geselligen Verkehr mit den Lehrerfamilien mit und an ein halbes Dutzend Kirchenfeste auf den Dörfern um Glatz, wo ich als Festprediger benutzt worden war. Die Geistlichen der Grafschaft waren gemütliche Leute und, die älteren nicht aus¬ genommen, aufrichtig fromm; an grober Verbauerung litten nur wenige. Mein neuer Bestimmungsort war sah....., ein Städtlein an der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/530>, abgerufen am 27.08.2024.