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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

wie ein Scheunendrescher essen ^das war er ja auch^ und den Kot, wie Sie
es nennen, gar zu gern in den Mund stecken! -- Und er gehorchte, und ließ
ein Stück Kuchen nach dem andern in seinem geräumigen Schlunde ver¬
schwinden.

Der Religionsunterricht, auf den ich mich ganz besonders gefreut hatte,
siel mir nicht leicht. Ich traf den für die kleinen Kinder passenden Ton
nicht recht; daß eine volle Stunde Katechismusunterricht bei kleinen Kindern
ein pädagogisches Unding sei, wußte ich damals zum Glück noch nicht, und
verlor also bei der Sisyphusarbeit, an sich unüberwindliche Schwierigkeiten
zu überwinden, den Mut nicht. Als ein großes Glück empfand ich es, als
mir der Pfarrer den Konfirmandenunterricht übergab, denn bei diesen größern
Knaben und Mädchen fand ich doch schon Verständnis. Bald waren mir
diese Stunden mehr als das halbe Leben, und es wurde mir angst, als sie
zu Ende gingen. Ließe er dir doch den Religionsunterricht der Oberklafsei
dachte ich. Das geschah aber vorläufig nicht, obwohl ich wußte, daß er ihn
oft aussetzte. Eines schönen Maimorgens jedoch ertönte seine Stimme aus
dem Garten herauf: Herr Kciplan, ich bin gerade beim Okuliren (er war ein
großer Rosenzüchter), Se könnten mal für mich in die Schule gehn.

Wer war froher als ich! Seitdem wartete ich jeden Montag und Donners¬
tag mit einer Art Fieber auf seinen Ruf, der zu meinem Verdruß manchmal
erst um halb neun ertönte, sodaß ich um die Hälfte der Stunde kam. Und
als er einmal nach halb noch im Garten schaffte, ohne zu rufen, da ging ich
unaufgefordert; von da ab trat ich durch stillschweigende Übereinkunft an seine
Stelle. Daß ich mich gar nicht um den Garten kümmerte, war, wie ich später
habe einsehen lernen, eine große Dummheit. Der humanistische Idealismus,
den ich auf dem Gymnasium, und der theologische, den ich in Vreslciu ein¬
gesogen hatte, erzeugten zusammen die thörichte Vorstellung, daß jede andre
als die rein geistigen Beschäftigungen des Geistlichen unwürdig sei.

Der von allem Idealismus freie Bär hat mich, wie ich an seinem iro¬
nischen Lächeln manchmal merkte, sicherlich für den größten Esel gehalten, der
ihm bis dahin im Leben vorgekommen war, aber weil ich in keiner Weise
seine Bequemlichkeit störte, war ihm der Esel lieber, als ihm ein Fuchs oder
eine Haderkatze gewesen sein würde. Er selbst war ein großer Philosoph, ein
so großer, daß man drei daraus hätte machen können. Denn er hatte für
alle Fülle drei Sprüchlein, von denen jedes eine ganze Philosophie enthält.
Eines Festtages, wo er auswärts gewesen war, erzählte ich ihm: Heute hat
der Kantor wieder einmal erst eine halbe Stunde mit dem Leimtiegel Hantiren
müssen, ehe die Orgel den ersten Ton von sich gab; er meinte, die Reparatur
werde sich doch wohl nicht länger aufschieben lassen. Da sagte der dreimal
Weise: Die dummen Schulmeister denken, das liege an der Orgel; das liegt
bloß am Wetter; das muß man a su (so) austemperiren loffen. Das muß


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

wie ein Scheunendrescher essen ^das war er ja auch^ und den Kot, wie Sie
es nennen, gar zu gern in den Mund stecken! — Und er gehorchte, und ließ
ein Stück Kuchen nach dem andern in seinem geräumigen Schlunde ver¬
schwinden.

Der Religionsunterricht, auf den ich mich ganz besonders gefreut hatte,
siel mir nicht leicht. Ich traf den für die kleinen Kinder passenden Ton
nicht recht; daß eine volle Stunde Katechismusunterricht bei kleinen Kindern
ein pädagogisches Unding sei, wußte ich damals zum Glück noch nicht, und
verlor also bei der Sisyphusarbeit, an sich unüberwindliche Schwierigkeiten
zu überwinden, den Mut nicht. Als ein großes Glück empfand ich es, als
mir der Pfarrer den Konfirmandenunterricht übergab, denn bei diesen größern
Knaben und Mädchen fand ich doch schon Verständnis. Bald waren mir
diese Stunden mehr als das halbe Leben, und es wurde mir angst, als sie
zu Ende gingen. Ließe er dir doch den Religionsunterricht der Oberklafsei
dachte ich. Das geschah aber vorläufig nicht, obwohl ich wußte, daß er ihn
oft aussetzte. Eines schönen Maimorgens jedoch ertönte seine Stimme aus
dem Garten herauf: Herr Kciplan, ich bin gerade beim Okuliren (er war ein
großer Rosenzüchter), Se könnten mal für mich in die Schule gehn.

Wer war froher als ich! Seitdem wartete ich jeden Montag und Donners¬
tag mit einer Art Fieber auf seinen Ruf, der zu meinem Verdruß manchmal
erst um halb neun ertönte, sodaß ich um die Hälfte der Stunde kam. Und
als er einmal nach halb noch im Garten schaffte, ohne zu rufen, da ging ich
unaufgefordert; von da ab trat ich durch stillschweigende Übereinkunft an seine
Stelle. Daß ich mich gar nicht um den Garten kümmerte, war, wie ich später
habe einsehen lernen, eine große Dummheit. Der humanistische Idealismus,
den ich auf dem Gymnasium, und der theologische, den ich in Vreslciu ein¬
gesogen hatte, erzeugten zusammen die thörichte Vorstellung, daß jede andre
als die rein geistigen Beschäftigungen des Geistlichen unwürdig sei.

Der von allem Idealismus freie Bär hat mich, wie ich an seinem iro¬
nischen Lächeln manchmal merkte, sicherlich für den größten Esel gehalten, der
ihm bis dahin im Leben vorgekommen war, aber weil ich in keiner Weise
seine Bequemlichkeit störte, war ihm der Esel lieber, als ihm ein Fuchs oder
eine Haderkatze gewesen sein würde. Er selbst war ein großer Philosoph, ein
so großer, daß man drei daraus hätte machen können. Denn er hatte für
alle Fülle drei Sprüchlein, von denen jedes eine ganze Philosophie enthält.
Eines Festtages, wo er auswärts gewesen war, erzählte ich ihm: Heute hat
der Kantor wieder einmal erst eine halbe Stunde mit dem Leimtiegel Hantiren
müssen, ehe die Orgel den ersten Ton von sich gab; er meinte, die Reparatur
werde sich doch wohl nicht länger aufschieben lassen. Da sagte der dreimal
Weise: Die dummen Schulmeister denken, das liege an der Orgel; das liegt
bloß am Wetter; das muß man a su (so) austemperiren loffen. Das muß


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[0480] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome wie ein Scheunendrescher essen ^das war er ja auch^ und den Kot, wie Sie es nennen, gar zu gern in den Mund stecken! — Und er gehorchte, und ließ ein Stück Kuchen nach dem andern in seinem geräumigen Schlunde ver¬ schwinden. Der Religionsunterricht, auf den ich mich ganz besonders gefreut hatte, siel mir nicht leicht. Ich traf den für die kleinen Kinder passenden Ton nicht recht; daß eine volle Stunde Katechismusunterricht bei kleinen Kindern ein pädagogisches Unding sei, wußte ich damals zum Glück noch nicht, und verlor also bei der Sisyphusarbeit, an sich unüberwindliche Schwierigkeiten zu überwinden, den Mut nicht. Als ein großes Glück empfand ich es, als mir der Pfarrer den Konfirmandenunterricht übergab, denn bei diesen größern Knaben und Mädchen fand ich doch schon Verständnis. Bald waren mir diese Stunden mehr als das halbe Leben, und es wurde mir angst, als sie zu Ende gingen. Ließe er dir doch den Religionsunterricht der Oberklafsei dachte ich. Das geschah aber vorläufig nicht, obwohl ich wußte, daß er ihn oft aussetzte. Eines schönen Maimorgens jedoch ertönte seine Stimme aus dem Garten herauf: Herr Kciplan, ich bin gerade beim Okuliren (er war ein großer Rosenzüchter), Se könnten mal für mich in die Schule gehn. Wer war froher als ich! Seitdem wartete ich jeden Montag und Donners¬ tag mit einer Art Fieber auf seinen Ruf, der zu meinem Verdruß manchmal erst um halb neun ertönte, sodaß ich um die Hälfte der Stunde kam. Und als er einmal nach halb noch im Garten schaffte, ohne zu rufen, da ging ich unaufgefordert; von da ab trat ich durch stillschweigende Übereinkunft an seine Stelle. Daß ich mich gar nicht um den Garten kümmerte, war, wie ich später habe einsehen lernen, eine große Dummheit. Der humanistische Idealismus, den ich auf dem Gymnasium, und der theologische, den ich in Vreslciu ein¬ gesogen hatte, erzeugten zusammen die thörichte Vorstellung, daß jede andre als die rein geistigen Beschäftigungen des Geistlichen unwürdig sei. Der von allem Idealismus freie Bär hat mich, wie ich an seinem iro¬ nischen Lächeln manchmal merkte, sicherlich für den größten Esel gehalten, der ihm bis dahin im Leben vorgekommen war, aber weil ich in keiner Weise seine Bequemlichkeit störte, war ihm der Esel lieber, als ihm ein Fuchs oder eine Haderkatze gewesen sein würde. Er selbst war ein großer Philosoph, ein so großer, daß man drei daraus hätte machen können. Denn er hatte für alle Fülle drei Sprüchlein, von denen jedes eine ganze Philosophie enthält. Eines Festtages, wo er auswärts gewesen war, erzählte ich ihm: Heute hat der Kantor wieder einmal erst eine halbe Stunde mit dem Leimtiegel Hantiren müssen, ehe die Orgel den ersten Ton von sich gab; er meinte, die Reparatur werde sich doch wohl nicht länger aufschieben lassen. Da sagte der dreimal Weise: Die dummen Schulmeister denken, das liege an der Orgel; das liegt bloß am Wetter; das muß man a su (so) austemperiren loffen. Das muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/480>, abgerufen am 25.08.2024.