Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Guten Morgen, Herr Pfarrer, wern Se rüber kommen? Zu mir: Gelobt
sei Jesus Christus, Herr Kaplan, wern Se rüber kommen? Er tyrannisirte
seine kleine Frau, die höllische Angst vor ihm hatte und, wenn er mit jemand
sprach, beständig scheu zu ihm aufblickte und unter bestätigenden Nicken das
Echo bildete. Ich danke für die Nachfrage (wir danken für die Nachfrage);
es geht mir heute gut (es geht ihm heute gut); ich habe keinen Atem (er hat
keinen Atem); Sie müssen nämlich wissen (Sie müssen nämlich wissen), ich hab
seit zwanzig Jahren den Gallenstein (er hat seit zwanzig Jahren den Gallen¬
stein), und wenn die Schmerzen kommen (und wenn die Schmerzen kommen),
da kommt auch der Atem (da kommt auch der Atem), und wenn der Atem weg
ist (und wenn der Atem weg ist), da sind auch die Schmerzen weg u. s. w.
Er hatte eine Nichte ins Haus genommen, auf die die Frau um so eifersüch¬
tiger war, als das Mädchen von Menzel mehr aus Bosheit als aus Wohl¬
wollen bevorzugt wurde. Einmal, als der Mann darniederlag, besuchte ich
ihn. Ach, der arme Mann, flüsterte die Frau im Hausflur; Wenns nur uf
eene Art würde; lauge kann ers nicht mehr aushalten! Er selbst aber sagte:
O es geht mir ganz gut, denn hier die Therese, was meine Nichte ist, die
pflegt mich ausgezeichnet, und wenn du, Weib, wirst gestorben sein, und das
Mädel sührt mir die Wirtschaft, da wird das ein schönes Leben sein.

Also eines Tages, da wir zu einem Kranken fuhren, fing Menzel an,
mich zu loben. Und die Predigten, nee, alles was wahr ist, die Leute sagen alle,
so was -- hier stockte er und wurde kreideweiß, denn der Kutscher drehte sich
um--, wenn ders gehört hat und klatscht -- nicht etwa beim Pfarrer, der
über so was erhaben ist, aber bei der Liese! Ä -- ä-- fuhr er mit gehobner
Stimme fort, aber natürlich, so wie der Herr Pfarrer, nee, daran ist ja nicht
zu denken; die langen Jahre, und die Übung, und die vielen Bücher! Nee,
der Herr Pfarrer war ja schon vor dreißig Jahren ein berühmter Redner!

Einen Genuß eigner Art bereitete das Beichtehören. Nicht etwa, daß es
nur Vergnügen gemacht hätte, über die Sünden zu schelten; aber bei geplagten
Frauen, bei Dienstboten, die eine böse Herrschaft haben, und bei prügelsatten
Lehrjungen bildet das Sündenbekenntnis nur die Hülle ihrer Klagen, und es
ist etwas schönes, sie mit ein paar herzlichen Worten ein wenig trösten zu
können. Die Worte thuns ja nicht, die sind ziemlich gleichgiltig, nnr daß sie
wissen, es ist noch jemand auf der Welt, ders gut mit ihnen meint, darin
besteht die tröstende Kraft dessen, was man spricht. Dagegen die Männer!
Das ist ein greuliches Geschäft, da sich keiner einer Sünde bewußt ist. Eines Tages
lernte ich ein Prachtexemplar kennen: Im Namen des Vaters, Sohnes und
heiligen Geistes. Ich bin Sie nämlich der alte Schwärtner, und hab me
junge Frau, und die hat immer gern a bissel Unterhaltung, und da läßt se
Sie bitten, Sie möchten doch heute Nachmittag um dreie zu uns zum Kaffee
kommen. Diese und alle meine andern Sünden sind mir von Herzen leid


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

Guten Morgen, Herr Pfarrer, wern Se rüber kommen? Zu mir: Gelobt
sei Jesus Christus, Herr Kaplan, wern Se rüber kommen? Er tyrannisirte
seine kleine Frau, die höllische Angst vor ihm hatte und, wenn er mit jemand
sprach, beständig scheu zu ihm aufblickte und unter bestätigenden Nicken das
Echo bildete. Ich danke für die Nachfrage (wir danken für die Nachfrage);
es geht mir heute gut (es geht ihm heute gut); ich habe keinen Atem (er hat
keinen Atem); Sie müssen nämlich wissen (Sie müssen nämlich wissen), ich hab
seit zwanzig Jahren den Gallenstein (er hat seit zwanzig Jahren den Gallen¬
stein), und wenn die Schmerzen kommen (und wenn die Schmerzen kommen),
da kommt auch der Atem (da kommt auch der Atem), und wenn der Atem weg
ist (und wenn der Atem weg ist), da sind auch die Schmerzen weg u. s. w.
Er hatte eine Nichte ins Haus genommen, auf die die Frau um so eifersüch¬
tiger war, als das Mädchen von Menzel mehr aus Bosheit als aus Wohl¬
wollen bevorzugt wurde. Einmal, als der Mann darniederlag, besuchte ich
ihn. Ach, der arme Mann, flüsterte die Frau im Hausflur; Wenns nur uf
eene Art würde; lauge kann ers nicht mehr aushalten! Er selbst aber sagte:
O es geht mir ganz gut, denn hier die Therese, was meine Nichte ist, die
pflegt mich ausgezeichnet, und wenn du, Weib, wirst gestorben sein, und das
Mädel sührt mir die Wirtschaft, da wird das ein schönes Leben sein.

Also eines Tages, da wir zu einem Kranken fuhren, fing Menzel an,
mich zu loben. Und die Predigten, nee, alles was wahr ist, die Leute sagen alle,
so was — hier stockte er und wurde kreideweiß, denn der Kutscher drehte sich
um—, wenn ders gehört hat und klatscht — nicht etwa beim Pfarrer, der
über so was erhaben ist, aber bei der Liese! Ä — ä— fuhr er mit gehobner
Stimme fort, aber natürlich, so wie der Herr Pfarrer, nee, daran ist ja nicht
zu denken; die langen Jahre, und die Übung, und die vielen Bücher! Nee,
der Herr Pfarrer war ja schon vor dreißig Jahren ein berühmter Redner!

Einen Genuß eigner Art bereitete das Beichtehören. Nicht etwa, daß es
nur Vergnügen gemacht hätte, über die Sünden zu schelten; aber bei geplagten
Frauen, bei Dienstboten, die eine böse Herrschaft haben, und bei prügelsatten
Lehrjungen bildet das Sündenbekenntnis nur die Hülle ihrer Klagen, und es
ist etwas schönes, sie mit ein paar herzlichen Worten ein wenig trösten zu
können. Die Worte thuns ja nicht, die sind ziemlich gleichgiltig, nnr daß sie
wissen, es ist noch jemand auf der Welt, ders gut mit ihnen meint, darin
besteht die tröstende Kraft dessen, was man spricht. Dagegen die Männer!
Das ist ein greuliches Geschäft, da sich keiner einer Sünde bewußt ist. Eines Tages
lernte ich ein Prachtexemplar kennen: Im Namen des Vaters, Sohnes und
heiligen Geistes. Ich bin Sie nämlich der alte Schwärtner, und hab me
junge Frau, und die hat immer gern a bissel Unterhaltung, und da läßt se
Sie bitten, Sie möchten doch heute Nachmittag um dreie zu uns zum Kaffee
kommen. Diese und alle meine andern Sünden sind mir von Herzen leid


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220154"/>
          <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Zeitenstrome</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1869" prev="#ID_1868"> Guten Morgen, Herr Pfarrer, wern Se rüber kommen? Zu mir: Gelobt<lb/>
sei Jesus Christus, Herr Kaplan, wern Se rüber kommen? Er tyrannisirte<lb/>
seine kleine Frau, die höllische Angst vor ihm hatte und, wenn er mit jemand<lb/>
sprach, beständig scheu zu ihm aufblickte und unter bestätigenden Nicken das<lb/>
Echo bildete. Ich danke für die Nachfrage (wir danken für die Nachfrage);<lb/>
es geht mir heute gut (es geht ihm heute gut); ich habe keinen Atem (er hat<lb/>
keinen Atem); Sie müssen nämlich wissen (Sie müssen nämlich wissen), ich hab<lb/>
seit zwanzig Jahren den Gallenstein (er hat seit zwanzig Jahren den Gallen¬<lb/>
stein), und wenn die Schmerzen kommen (und wenn die Schmerzen kommen),<lb/>
da kommt auch der Atem (da kommt auch der Atem), und wenn der Atem weg<lb/>
ist (und wenn der Atem weg ist), da sind auch die Schmerzen weg u. s. w.<lb/>
Er hatte eine Nichte ins Haus genommen, auf die die Frau um so eifersüch¬<lb/>
tiger war, als das Mädchen von Menzel mehr aus Bosheit als aus Wohl¬<lb/>
wollen bevorzugt wurde. Einmal, als der Mann darniederlag, besuchte ich<lb/>
ihn. Ach, der arme Mann, flüsterte die Frau im Hausflur; Wenns nur uf<lb/>
eene Art würde; lauge kann ers nicht mehr aushalten! Er selbst aber sagte:<lb/>
O es geht mir ganz gut, denn hier die Therese, was meine Nichte ist, die<lb/>
pflegt mich ausgezeichnet, und wenn du, Weib, wirst gestorben sein, und das<lb/>
Mädel sührt mir die Wirtschaft, da wird das ein schönes Leben sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1870"> Also eines Tages, da wir zu einem Kranken fuhren, fing Menzel an,<lb/>
mich zu loben. Und die Predigten, nee, alles was wahr ist, die Leute sagen alle,<lb/>
so was &#x2014; hier stockte er und wurde kreideweiß, denn der Kutscher drehte sich<lb/>
um&#x2014;, wenn ders gehört hat und klatscht &#x2014; nicht etwa beim Pfarrer, der<lb/>
über so was erhaben ist, aber bei der Liese! Ä &#x2014; ä&#x2014; fuhr er mit gehobner<lb/>
Stimme fort, aber natürlich, so wie der Herr Pfarrer, nee, daran ist ja nicht<lb/>
zu denken; die langen Jahre, und die Übung, und die vielen Bücher! Nee,<lb/>
der Herr Pfarrer war ja schon vor dreißig Jahren ein berühmter Redner!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1871" next="#ID_1872"> Einen Genuß eigner Art bereitete das Beichtehören. Nicht etwa, daß es<lb/>
nur Vergnügen gemacht hätte, über die Sünden zu schelten; aber bei geplagten<lb/>
Frauen, bei Dienstboten, die eine böse Herrschaft haben, und bei prügelsatten<lb/>
Lehrjungen bildet das Sündenbekenntnis nur die Hülle ihrer Klagen, und es<lb/>
ist etwas schönes, sie mit ein paar herzlichen Worten ein wenig trösten zu<lb/>
können. Die Worte thuns ja nicht, die sind ziemlich gleichgiltig, nnr daß sie<lb/>
wissen, es ist noch jemand auf der Welt, ders gut mit ihnen meint, darin<lb/>
besteht die tröstende Kraft dessen, was man spricht. Dagegen die Männer!<lb/>
Das ist ein greuliches Geschäft, da sich keiner einer Sünde bewußt ist. Eines Tages<lb/>
lernte ich ein Prachtexemplar kennen: Im Namen des Vaters, Sohnes und<lb/>
heiligen Geistes. Ich bin Sie nämlich der alte Schwärtner, und hab me<lb/>
junge Frau, und die hat immer gern a bissel Unterhaltung, und da läßt se<lb/>
Sie bitten, Sie möchten doch heute Nachmittag um dreie zu uns zum Kaffee<lb/>
kommen.  Diese und alle meine andern Sünden sind mir von Herzen leid</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome Guten Morgen, Herr Pfarrer, wern Se rüber kommen? Zu mir: Gelobt sei Jesus Christus, Herr Kaplan, wern Se rüber kommen? Er tyrannisirte seine kleine Frau, die höllische Angst vor ihm hatte und, wenn er mit jemand sprach, beständig scheu zu ihm aufblickte und unter bestätigenden Nicken das Echo bildete. Ich danke für die Nachfrage (wir danken für die Nachfrage); es geht mir heute gut (es geht ihm heute gut); ich habe keinen Atem (er hat keinen Atem); Sie müssen nämlich wissen (Sie müssen nämlich wissen), ich hab seit zwanzig Jahren den Gallenstein (er hat seit zwanzig Jahren den Gallen¬ stein), und wenn die Schmerzen kommen (und wenn die Schmerzen kommen), da kommt auch der Atem (da kommt auch der Atem), und wenn der Atem weg ist (und wenn der Atem weg ist), da sind auch die Schmerzen weg u. s. w. Er hatte eine Nichte ins Haus genommen, auf die die Frau um so eifersüch¬ tiger war, als das Mädchen von Menzel mehr aus Bosheit als aus Wohl¬ wollen bevorzugt wurde. Einmal, als der Mann darniederlag, besuchte ich ihn. Ach, der arme Mann, flüsterte die Frau im Hausflur; Wenns nur uf eene Art würde; lauge kann ers nicht mehr aushalten! Er selbst aber sagte: O es geht mir ganz gut, denn hier die Therese, was meine Nichte ist, die pflegt mich ausgezeichnet, und wenn du, Weib, wirst gestorben sein, und das Mädel sührt mir die Wirtschaft, da wird das ein schönes Leben sein. Also eines Tages, da wir zu einem Kranken fuhren, fing Menzel an, mich zu loben. Und die Predigten, nee, alles was wahr ist, die Leute sagen alle, so was — hier stockte er und wurde kreideweiß, denn der Kutscher drehte sich um—, wenn ders gehört hat und klatscht — nicht etwa beim Pfarrer, der über so was erhaben ist, aber bei der Liese! Ä — ä— fuhr er mit gehobner Stimme fort, aber natürlich, so wie der Herr Pfarrer, nee, daran ist ja nicht zu denken; die langen Jahre, und die Übung, und die vielen Bücher! Nee, der Herr Pfarrer war ja schon vor dreißig Jahren ein berühmter Redner! Einen Genuß eigner Art bereitete das Beichtehören. Nicht etwa, daß es nur Vergnügen gemacht hätte, über die Sünden zu schelten; aber bei geplagten Frauen, bei Dienstboten, die eine böse Herrschaft haben, und bei prügelsatten Lehrjungen bildet das Sündenbekenntnis nur die Hülle ihrer Klagen, und es ist etwas schönes, sie mit ein paar herzlichen Worten ein wenig trösten zu können. Die Worte thuns ja nicht, die sind ziemlich gleichgiltig, nnr daß sie wissen, es ist noch jemand auf der Welt, ders gut mit ihnen meint, darin besteht die tröstende Kraft dessen, was man spricht. Dagegen die Männer! Das ist ein greuliches Geschäft, da sich keiner einer Sünde bewußt ist. Eines Tages lernte ich ein Prachtexemplar kennen: Im Namen des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes. Ich bin Sie nämlich der alte Schwärtner, und hab me junge Frau, und die hat immer gern a bissel Unterhaltung, und da läßt se Sie bitten, Sie möchten doch heute Nachmittag um dreie zu uns zum Kaffee kommen. Diese und alle meine andern Sünden sind mir von Herzen leid

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/478>, abgerufen am 22.12.2024.