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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ärgerte weder ihn noch die Elise, und er fühlte sich in dem ungewohnten
Friedenszustande so behaglich, daß er manchmal, wenn es in der Küche großen
Krach setzte, bat: Liese, polter, wie du willst, bloß thu dem neuen Kaplan
nischt! Sie that mir auch wirklich nichts. Ich trat gewöhnlich, wenn ich
vom Spaziergang zurückkam, auf ein Viertelstündchen bei ihr ein, plauderte
ein wenig, machte einen Scherz -- auf ihre Scherze einzugehen, über die wir
beide, das Dienstmädchen und ich, manchmal rot wurden, war nicht immer
möglich --, und nach einem halben Jahre waren wir so gute Freunde, daß,
als ich erkrankte, sie mir ohne weiteres täglich Obstkvmpvtt gab und mein
Verzicht auf die sauern Gurken nicht übelgenommen wurde.

Auch die Dienstmagd hielt aus, obwohl sie es bedeutend schwerer hatte
als ich. Denn sie wurde oft geohrfeigt, und nicht selten flog ihr ein Topf
oder Teller an den Kopf. Wenn das Tellerwerfen anging, dann zog Bär,
der mitten drin saß im Tumult und unter den Hühnern -- denn im Winter
logirten die damals noch nicht akklimatisirten Cvchinchinahühncr in der
Küche --, seinen Schafpelz über den Kopf, und so schlug ihm der Hagel keine
Beulen. Die Magd war verständig; weil sie blutarm war, mochte sie den in
andrer Beziehung guten Dienst nicht aufgeben. Die Kutscher dagegen wechselten
fast jedes Vierteljahr; welcher junge oder ältere Mann mag sich von einem
Weibe prügeln lassen! Die Sache war sogar uicht ungefährlich, denn zuweilen
warf sie mit Messern oder ging mit gezücktem Messer ans ihre Opfer los. Mit
der Zeit wurde mir ihr Wesen verständlich. Nachdem sie Zutrauen zu mir
gefaßt hatte, kam sie manchmal zu mir, setzte sich auf meinen Koffer, brach in
Thränen aus und klagte sich selbst mit derselben leidenschaftlichen Heftigkeit
an, mit der sie ihre Umgebung mißhandelte. Sie hatte in der Jugend schreck¬
liches erlebt; einiges davon erzählte sie, andres deutete sie an. Jetzt hatte
sie zwar eine gute Stelle, aber es gab doch auch hier dunkle Punkte. So
war z. B. der Pfarrer sehr lässig im Lohnzahlen und damals ein paar Jahre
rückständig; sie zweifelte, ob sie, wenn er plötzlich stürbe, zu ihrer Sache
kommen würde (sie hat zehn Jahre später als Universalerbin 20000 Thaler
bekommen). Dann war ja überhaupt sein Phlegma und seine Gleichgiltigkeit
dazu angethan, eine hitzige Person vollends rasend zu machen. Die Kirche
besuchte sie fast nie, weil sie sich für eine Verworfne hielt, und zum Abend¬
mahl war sie seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Als einmal ein Jesuit
zum Besuch kam, faßte sie nach heftigem Kampf den heldenmütigen Entschluß,
einmal zu beichten und zu kommuniziren, und wohl eine volle Woche verging
ohne Krach. Sie war, wie böse Weiber häufig, eine ausgezeichnete Wirt¬
schafterin, Neinlichkeits- und Ordimngsfanatikcrin und Meisterin der Kvch-
und Vackkunst; mein Lebtag habe ich nicht wieder so gut gegessen wie bei ihr.

Am Abend vor Dreikönigstag -- die Reihe zu predigen war am Pfarrer --
trat dieser, als er vom Schnapse zurückkam, bei mir ein und sagte: Sein Se


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

ärgerte weder ihn noch die Elise, und er fühlte sich in dem ungewohnten
Friedenszustande so behaglich, daß er manchmal, wenn es in der Küche großen
Krach setzte, bat: Liese, polter, wie du willst, bloß thu dem neuen Kaplan
nischt! Sie that mir auch wirklich nichts. Ich trat gewöhnlich, wenn ich
vom Spaziergang zurückkam, auf ein Viertelstündchen bei ihr ein, plauderte
ein wenig, machte einen Scherz — auf ihre Scherze einzugehen, über die wir
beide, das Dienstmädchen und ich, manchmal rot wurden, war nicht immer
möglich —, und nach einem halben Jahre waren wir so gute Freunde, daß,
als ich erkrankte, sie mir ohne weiteres täglich Obstkvmpvtt gab und mein
Verzicht auf die sauern Gurken nicht übelgenommen wurde.

Auch die Dienstmagd hielt aus, obwohl sie es bedeutend schwerer hatte
als ich. Denn sie wurde oft geohrfeigt, und nicht selten flog ihr ein Topf
oder Teller an den Kopf. Wenn das Tellerwerfen anging, dann zog Bär,
der mitten drin saß im Tumult und unter den Hühnern — denn im Winter
logirten die damals noch nicht akklimatisirten Cvchinchinahühncr in der
Küche —, seinen Schafpelz über den Kopf, und so schlug ihm der Hagel keine
Beulen. Die Magd war verständig; weil sie blutarm war, mochte sie den in
andrer Beziehung guten Dienst nicht aufgeben. Die Kutscher dagegen wechselten
fast jedes Vierteljahr; welcher junge oder ältere Mann mag sich von einem
Weibe prügeln lassen! Die Sache war sogar uicht ungefährlich, denn zuweilen
warf sie mit Messern oder ging mit gezücktem Messer ans ihre Opfer los. Mit
der Zeit wurde mir ihr Wesen verständlich. Nachdem sie Zutrauen zu mir
gefaßt hatte, kam sie manchmal zu mir, setzte sich auf meinen Koffer, brach in
Thränen aus und klagte sich selbst mit derselben leidenschaftlichen Heftigkeit
an, mit der sie ihre Umgebung mißhandelte. Sie hatte in der Jugend schreck¬
liches erlebt; einiges davon erzählte sie, andres deutete sie an. Jetzt hatte
sie zwar eine gute Stelle, aber es gab doch auch hier dunkle Punkte. So
war z. B. der Pfarrer sehr lässig im Lohnzahlen und damals ein paar Jahre
rückständig; sie zweifelte, ob sie, wenn er plötzlich stürbe, zu ihrer Sache
kommen würde (sie hat zehn Jahre später als Universalerbin 20000 Thaler
bekommen). Dann war ja überhaupt sein Phlegma und seine Gleichgiltigkeit
dazu angethan, eine hitzige Person vollends rasend zu machen. Die Kirche
besuchte sie fast nie, weil sie sich für eine Verworfne hielt, und zum Abend¬
mahl war sie seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Als einmal ein Jesuit
zum Besuch kam, faßte sie nach heftigem Kampf den heldenmütigen Entschluß,
einmal zu beichten und zu kommuniziren, und wohl eine volle Woche verging
ohne Krach. Sie war, wie böse Weiber häufig, eine ausgezeichnete Wirt¬
schafterin, Neinlichkeits- und Ordimngsfanatikcrin und Meisterin der Kvch-
und Vackkunst; mein Lebtag habe ich nicht wieder so gut gegessen wie bei ihr.

Am Abend vor Dreikönigstag — die Reihe zu predigen war am Pfarrer —
trat dieser, als er vom Schnapse zurückkam, bei mir ein und sagte: Sein Se


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[0476] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome ärgerte weder ihn noch die Elise, und er fühlte sich in dem ungewohnten Friedenszustande so behaglich, daß er manchmal, wenn es in der Küche großen Krach setzte, bat: Liese, polter, wie du willst, bloß thu dem neuen Kaplan nischt! Sie that mir auch wirklich nichts. Ich trat gewöhnlich, wenn ich vom Spaziergang zurückkam, auf ein Viertelstündchen bei ihr ein, plauderte ein wenig, machte einen Scherz — auf ihre Scherze einzugehen, über die wir beide, das Dienstmädchen und ich, manchmal rot wurden, war nicht immer möglich —, und nach einem halben Jahre waren wir so gute Freunde, daß, als ich erkrankte, sie mir ohne weiteres täglich Obstkvmpvtt gab und mein Verzicht auf die sauern Gurken nicht übelgenommen wurde. Auch die Dienstmagd hielt aus, obwohl sie es bedeutend schwerer hatte als ich. Denn sie wurde oft geohrfeigt, und nicht selten flog ihr ein Topf oder Teller an den Kopf. Wenn das Tellerwerfen anging, dann zog Bär, der mitten drin saß im Tumult und unter den Hühnern — denn im Winter logirten die damals noch nicht akklimatisirten Cvchinchinahühncr in der Küche —, seinen Schafpelz über den Kopf, und so schlug ihm der Hagel keine Beulen. Die Magd war verständig; weil sie blutarm war, mochte sie den in andrer Beziehung guten Dienst nicht aufgeben. Die Kutscher dagegen wechselten fast jedes Vierteljahr; welcher junge oder ältere Mann mag sich von einem Weibe prügeln lassen! Die Sache war sogar uicht ungefährlich, denn zuweilen warf sie mit Messern oder ging mit gezücktem Messer ans ihre Opfer los. Mit der Zeit wurde mir ihr Wesen verständlich. Nachdem sie Zutrauen zu mir gefaßt hatte, kam sie manchmal zu mir, setzte sich auf meinen Koffer, brach in Thränen aus und klagte sich selbst mit derselben leidenschaftlichen Heftigkeit an, mit der sie ihre Umgebung mißhandelte. Sie hatte in der Jugend schreck¬ liches erlebt; einiges davon erzählte sie, andres deutete sie an. Jetzt hatte sie zwar eine gute Stelle, aber es gab doch auch hier dunkle Punkte. So war z. B. der Pfarrer sehr lässig im Lohnzahlen und damals ein paar Jahre rückständig; sie zweifelte, ob sie, wenn er plötzlich stürbe, zu ihrer Sache kommen würde (sie hat zehn Jahre später als Universalerbin 20000 Thaler bekommen). Dann war ja überhaupt sein Phlegma und seine Gleichgiltigkeit dazu angethan, eine hitzige Person vollends rasend zu machen. Die Kirche besuchte sie fast nie, weil sie sich für eine Verworfne hielt, und zum Abend¬ mahl war sie seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Als einmal ein Jesuit zum Besuch kam, faßte sie nach heftigem Kampf den heldenmütigen Entschluß, einmal zu beichten und zu kommuniziren, und wohl eine volle Woche verging ohne Krach. Sie war, wie böse Weiber häufig, eine ausgezeichnete Wirt¬ schafterin, Neinlichkeits- und Ordimngsfanatikcrin und Meisterin der Kvch- und Vackkunst; mein Lebtag habe ich nicht wieder so gut gegessen wie bei ihr. Am Abend vor Dreikönigstag — die Reihe zu predigen war am Pfarrer — trat dieser, als er vom Schnapse zurückkam, bei mir ein und sagte: Sein Se

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/476>, abgerufen am 25.08.2024.