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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Hohen Salzburg

Bauern auch gewährten. Als er aber Kunde erhielt, daß der schwäbische
Bund heranzog, ließ er unversehens von der Feste das schwere Geschütz schießen,
sodaß eine große Anzahl Männer und Frauen erschossen wurde.

Da Ihre Hochfürstliche Gnaden den Friedensvertrag nicht hielt, brach im
nächsten Jahre der Aufstand wieder aus, unter Michael Geißmeyer, dem tapfern,
weitblickenden, vielgewandten Sohn der Alpen, der dann in die Dienste der
Republik Venedig trat, Michael Geißmeyer, dem der Fürstbischof zu Brixen
aus Furcht vor weitern Umtrieben durch zwei geduugne Meuchelmörder in
Padua im Schlafe das Haupt abschlagen ließ. Natürlich wurde auch der neue
Aufstand niedergeschlagen, und der Kardinal Mathäus Lang saß wieder in
aller Gemütsruhe in seinen behaglichen, geschmackvollen Sälen, trank edeln
Wein und würzte das Mahl durch Pflege der schönen Künste. Inzwischen
knirschten die Glieder der besiegten Bauern in gräßlichen Martern, und
weit in den Landen floß das Blut der Gerichteten. Das war die Zeit, wo
zu Frankeuhauseu Thomas Münzer, der jugendliche Schwärmer mit der
warmen Liebe für die Unterdrückten und dem heißen Zorn gegen die Unter¬
drücker in der Brust, zum Ergötzen zuschauender Fürsten so gefoltert wurde,
daß sein Gesicht und der Ton seiner Schmerzen das Aussehen des Lachens
annahmen.

Genug und übergenug! Sind das die großen Empfindungen, zu denen
mir meine schönen Geschichtskenntnisse verhelfen sollen? Es ist Zeit, sich zu
besinnen, daß diese Schreckgestalten der Vergangenheit angehören. Wie lieblich
und milde leuchtet mir dagegen mein Jahrhundert. Es ist ein Vergnügen,
Zeitgenosse zu sein. Es hat ja noch so lange Zeit, bis ein späteres Geschlecht
unsre Zuchthäuser mit dem Grausen ansehen wird, das wir bei dem Anblick
der Folterwerkzeuge unsrer Vorfahren empfinden; bis sie die unselige Mensch¬
heit bejammern werden, die ihresgleichen in die Hölle langjähriger Freiheits¬
strafen gestürzt haben, in dem Wahne, damit etwas gutes zu erreichen. Das
hat, wie gesagt, noch gute Weile. Und wie die Ahnen das Drücken, Schinder
und Foltern der Bauern ganz in der Ordnung fanden, so erscheint es uns
als recht und billig, wenn ein armer Sünder wegen eines Verbrechens gegen
das heilige Eigentum nach den Paragraphen des unsterblichen Strafgesetzbuchs
zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Ja, es ist eine schöne Zeit!
Kein Bauer kann heute behaupten, er hätte sich in seinem Leben kaum zweimal
satt Brot essen können; der Bauer sagt selbst, er hätte viel zu viel Brot!
Das hätten sich seine Vorfahren im Jahre 1525 nicht träumen lassen, daß
ihre Enkel einmal zu viel Brot haben würden. In den mehrerwähnten Zucht¬
häusern freilich mögen wohl Leute sitzen, die sich recht selten in ihrem Leben
haben satt essen können; aber man macht nicht so viel Wesens davon, daß
man es nach Jahrhunderten noch wissen könnte.

Ich aber rate jedem, der die Hohe Salzburg oder andre mittelalterliche


Auf der Hohen Salzburg

Bauern auch gewährten. Als er aber Kunde erhielt, daß der schwäbische
Bund heranzog, ließ er unversehens von der Feste das schwere Geschütz schießen,
sodaß eine große Anzahl Männer und Frauen erschossen wurde.

Da Ihre Hochfürstliche Gnaden den Friedensvertrag nicht hielt, brach im
nächsten Jahre der Aufstand wieder aus, unter Michael Geißmeyer, dem tapfern,
weitblickenden, vielgewandten Sohn der Alpen, der dann in die Dienste der
Republik Venedig trat, Michael Geißmeyer, dem der Fürstbischof zu Brixen
aus Furcht vor weitern Umtrieben durch zwei geduugne Meuchelmörder in
Padua im Schlafe das Haupt abschlagen ließ. Natürlich wurde auch der neue
Aufstand niedergeschlagen, und der Kardinal Mathäus Lang saß wieder in
aller Gemütsruhe in seinen behaglichen, geschmackvollen Sälen, trank edeln
Wein und würzte das Mahl durch Pflege der schönen Künste. Inzwischen
knirschten die Glieder der besiegten Bauern in gräßlichen Martern, und
weit in den Landen floß das Blut der Gerichteten. Das war die Zeit, wo
zu Frankeuhauseu Thomas Münzer, der jugendliche Schwärmer mit der
warmen Liebe für die Unterdrückten und dem heißen Zorn gegen die Unter¬
drücker in der Brust, zum Ergötzen zuschauender Fürsten so gefoltert wurde,
daß sein Gesicht und der Ton seiner Schmerzen das Aussehen des Lachens
annahmen.

Genug und übergenug! Sind das die großen Empfindungen, zu denen
mir meine schönen Geschichtskenntnisse verhelfen sollen? Es ist Zeit, sich zu
besinnen, daß diese Schreckgestalten der Vergangenheit angehören. Wie lieblich
und milde leuchtet mir dagegen mein Jahrhundert. Es ist ein Vergnügen,
Zeitgenosse zu sein. Es hat ja noch so lange Zeit, bis ein späteres Geschlecht
unsre Zuchthäuser mit dem Grausen ansehen wird, das wir bei dem Anblick
der Folterwerkzeuge unsrer Vorfahren empfinden; bis sie die unselige Mensch¬
heit bejammern werden, die ihresgleichen in die Hölle langjähriger Freiheits¬
strafen gestürzt haben, in dem Wahne, damit etwas gutes zu erreichen. Das
hat, wie gesagt, noch gute Weile. Und wie die Ahnen das Drücken, Schinder
und Foltern der Bauern ganz in der Ordnung fanden, so erscheint es uns
als recht und billig, wenn ein armer Sünder wegen eines Verbrechens gegen
das heilige Eigentum nach den Paragraphen des unsterblichen Strafgesetzbuchs
zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Ja, es ist eine schöne Zeit!
Kein Bauer kann heute behaupten, er hätte sich in seinem Leben kaum zweimal
satt Brot essen können; der Bauer sagt selbst, er hätte viel zu viel Brot!
Das hätten sich seine Vorfahren im Jahre 1525 nicht träumen lassen, daß
ihre Enkel einmal zu viel Brot haben würden. In den mehrerwähnten Zucht¬
häusern freilich mögen wohl Leute sitzen, die sich recht selten in ihrem Leben
haben satt essen können; aber man macht nicht so viel Wesens davon, daß
man es nach Jahrhunderten noch wissen könnte.

Ich aber rate jedem, der die Hohe Salzburg oder andre mittelalterliche


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[0472] Auf der Hohen Salzburg Bauern auch gewährten. Als er aber Kunde erhielt, daß der schwäbische Bund heranzog, ließ er unversehens von der Feste das schwere Geschütz schießen, sodaß eine große Anzahl Männer und Frauen erschossen wurde. Da Ihre Hochfürstliche Gnaden den Friedensvertrag nicht hielt, brach im nächsten Jahre der Aufstand wieder aus, unter Michael Geißmeyer, dem tapfern, weitblickenden, vielgewandten Sohn der Alpen, der dann in die Dienste der Republik Venedig trat, Michael Geißmeyer, dem der Fürstbischof zu Brixen aus Furcht vor weitern Umtrieben durch zwei geduugne Meuchelmörder in Padua im Schlafe das Haupt abschlagen ließ. Natürlich wurde auch der neue Aufstand niedergeschlagen, und der Kardinal Mathäus Lang saß wieder in aller Gemütsruhe in seinen behaglichen, geschmackvollen Sälen, trank edeln Wein und würzte das Mahl durch Pflege der schönen Künste. Inzwischen knirschten die Glieder der besiegten Bauern in gräßlichen Martern, und weit in den Landen floß das Blut der Gerichteten. Das war die Zeit, wo zu Frankeuhauseu Thomas Münzer, der jugendliche Schwärmer mit der warmen Liebe für die Unterdrückten und dem heißen Zorn gegen die Unter¬ drücker in der Brust, zum Ergötzen zuschauender Fürsten so gefoltert wurde, daß sein Gesicht und der Ton seiner Schmerzen das Aussehen des Lachens annahmen. Genug und übergenug! Sind das die großen Empfindungen, zu denen mir meine schönen Geschichtskenntnisse verhelfen sollen? Es ist Zeit, sich zu besinnen, daß diese Schreckgestalten der Vergangenheit angehören. Wie lieblich und milde leuchtet mir dagegen mein Jahrhundert. Es ist ein Vergnügen, Zeitgenosse zu sein. Es hat ja noch so lange Zeit, bis ein späteres Geschlecht unsre Zuchthäuser mit dem Grausen ansehen wird, das wir bei dem Anblick der Folterwerkzeuge unsrer Vorfahren empfinden; bis sie die unselige Mensch¬ heit bejammern werden, die ihresgleichen in die Hölle langjähriger Freiheits¬ strafen gestürzt haben, in dem Wahne, damit etwas gutes zu erreichen. Das hat, wie gesagt, noch gute Weile. Und wie die Ahnen das Drücken, Schinder und Foltern der Bauern ganz in der Ordnung fanden, so erscheint es uns als recht und billig, wenn ein armer Sünder wegen eines Verbrechens gegen das heilige Eigentum nach den Paragraphen des unsterblichen Strafgesetzbuchs zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wird. Ja, es ist eine schöne Zeit! Kein Bauer kann heute behaupten, er hätte sich in seinem Leben kaum zweimal satt Brot essen können; der Bauer sagt selbst, er hätte viel zu viel Brot! Das hätten sich seine Vorfahren im Jahre 1525 nicht träumen lassen, daß ihre Enkel einmal zu viel Brot haben würden. In den mehrerwähnten Zucht¬ häusern freilich mögen wohl Leute sitzen, die sich recht selten in ihrem Leben haben satt essen können; aber man macht nicht so viel Wesens davon, daß man es nach Jahrhunderten noch wissen könnte. Ich aber rate jedem, der die Hohe Salzburg oder andre mittelalterliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/472>, abgerufen am 24.08.2024.