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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste

Als die Jünglinge die Erdbeeren "intus" hatten, erhoben sie sich.

Sehr richtig, nickte ihnen Fritz zu. Gehen Sie flink ins Nest; morgen
früh wird Ihnen das Aufstehen so wie so saurer werden als sonst. -- Wie
macht sich denn Schneider jetzt? fragte er den Bruder, als die beiden hin¬
aus waren.

Ganz gut. Ein riesiges Genie ist er uicht, das hatten wir ja bald heraus.
Aber die Sache freut ihn, und er arbeitet unverdrossen. Wenn er nur als
Mensch ein bischen frischer wäre! Man wird uicht draus klug, ist er nur so
verschüchtert und traut sich uicht aus sich heraus, oder hat er überhaupt nicht
mehr von sich zu geben.

Sein Aussehen hat sich aber in diesen Wochen gebessert, find ich.

Nu ja, das soll es wohl. Er hat auch in sich hineingefuttert -- da is
ja das Ende von weg, sagte Mamselling immer. Das war so was sür ihr
gutmütiges Herz, den armen verhungerten Kerl herauszumaustern. Sehen Sie
man bloß, wie er achete, flüsterte sie mir strahlend zu, wenn er so in sein
Butterbrot einHieb.

Was war denn mit ihm? fragte Margarete.

Ach, er hatte eine schlechte Stelle als Lehrling, mußte zu viel arbeiten
und bekam zu wenig zu essen.

Warum blieb er denn da?

Ja, das war eben seine Dummheit. Er hätte schon viel eher melden
müssen, wie es ihm ging. Aber er traute sich nicht, fürchtete, von seinem
strengen Vater, der als alter Militär nicht viel mit sich reden läßt, für weich¬
lich gehalten zu werden, und frettete sich so durch, bis er liegen blieb. Zu¬
fällig kam ich wegen eines Pserdekaufs dahin, sah den Bengel,' nahm ihn mir
allein vor und stach dann dem alten Herrn den Star.

Kanntest du den Vater?

Nein. Ich schrieb ihm einfach: so und so. Er reiste dann hin, besah
sich die Sache, und es gab einen Krach, an den die Herrschaften wohl denken
werden.

Und wann kam er zu dir?

Vor reichlich vier Wochen, also kurz vor unsrer Hochzeit. Der Alte
brachte ihn mir einfach her; der Junge hätte ihn so gebeten. Ich muß in
der Geschwindigkeit einen bestrickenden Eindruck auf ihn gemacht haben. Papachen
erklärte mir denn auch seine Liebe.

Dem hatte wieder dein kurz angebundner Brief gefallen, warf Hans ein.
^as war so was für den alten Soldaten.

Scheint so. Na -- und so behielten wir ihn gleich da. Mußte natür¬
lich vor allen Dingen erst herausgefüttert werden. Für den Zweck war er
hier draußen auch besser aufgehoben als in der räuchrigen Stadt, wo er mit
auf kleinern Geschwistern in der Mietwohnung Hütte hocken müssen. Du
Ichemst müde zu sein. Kind?

Margarete hatte wieder unterdrückt gegähnt.

^a, ich bin etwas abgespannt, ich möchte mich wohl --

Zurückziehen? Können wir machen.

Er stand auf. Auch Haus erhob sich; seine erstaunten Blicke gingen
zwischen Fritz und Margarete hin und her. Das war ja ein netter Abend,
oleser erste "Daheim." Sie war "abgespannt," sie "zog sich zurück" jetzt,
nachdem die Jungen zu Bett waren und mau anfangen konnte, gemütlich zu


Der erste Beste

Als die Jünglinge die Erdbeeren „intus" hatten, erhoben sie sich.

Sehr richtig, nickte ihnen Fritz zu. Gehen Sie flink ins Nest; morgen
früh wird Ihnen das Aufstehen so wie so saurer werden als sonst. — Wie
macht sich denn Schneider jetzt? fragte er den Bruder, als die beiden hin¬
aus waren.

Ganz gut. Ein riesiges Genie ist er uicht, das hatten wir ja bald heraus.
Aber die Sache freut ihn, und er arbeitet unverdrossen. Wenn er nur als
Mensch ein bischen frischer wäre! Man wird uicht draus klug, ist er nur so
verschüchtert und traut sich uicht aus sich heraus, oder hat er überhaupt nicht
mehr von sich zu geben.

Sein Aussehen hat sich aber in diesen Wochen gebessert, find ich.

Nu ja, das soll es wohl. Er hat auch in sich hineingefuttert — da is
ja das Ende von weg, sagte Mamselling immer. Das war so was sür ihr
gutmütiges Herz, den armen verhungerten Kerl herauszumaustern. Sehen Sie
man bloß, wie er achete, flüsterte sie mir strahlend zu, wenn er so in sein
Butterbrot einHieb.

Was war denn mit ihm? fragte Margarete.

Ach, er hatte eine schlechte Stelle als Lehrling, mußte zu viel arbeiten
und bekam zu wenig zu essen.

Warum blieb er denn da?

Ja, das war eben seine Dummheit. Er hätte schon viel eher melden
müssen, wie es ihm ging. Aber er traute sich nicht, fürchtete, von seinem
strengen Vater, der als alter Militär nicht viel mit sich reden läßt, für weich¬
lich gehalten zu werden, und frettete sich so durch, bis er liegen blieb. Zu¬
fällig kam ich wegen eines Pserdekaufs dahin, sah den Bengel,' nahm ihn mir
allein vor und stach dann dem alten Herrn den Star.

Kanntest du den Vater?

Nein. Ich schrieb ihm einfach: so und so. Er reiste dann hin, besah
sich die Sache, und es gab einen Krach, an den die Herrschaften wohl denken
werden.

Und wann kam er zu dir?

Vor reichlich vier Wochen, also kurz vor unsrer Hochzeit. Der Alte
brachte ihn mir einfach her; der Junge hätte ihn so gebeten. Ich muß in
der Geschwindigkeit einen bestrickenden Eindruck auf ihn gemacht haben. Papachen
erklärte mir denn auch seine Liebe.

Dem hatte wieder dein kurz angebundner Brief gefallen, warf Hans ein.
^as war so was für den alten Soldaten.

Scheint so. Na — und so behielten wir ihn gleich da. Mußte natür¬
lich vor allen Dingen erst herausgefüttert werden. Für den Zweck war er
hier draußen auch besser aufgehoben als in der räuchrigen Stadt, wo er mit
auf kleinern Geschwistern in der Mietwohnung Hütte hocken müssen. Du
Ichemst müde zu sein. Kind?

Margarete hatte wieder unterdrückt gegähnt.

^a, ich bin etwas abgespannt, ich möchte mich wohl —

Zurückziehen? Können wir machen.

Er stand auf. Auch Haus erhob sich; seine erstaunten Blicke gingen
zwischen Fritz und Margarete hin und her. Das war ja ein netter Abend,
oleser erste „Daheim." Sie war „abgespannt," sie „zog sich zurück" jetzt,
nachdem die Jungen zu Bett waren und mau anfangen konnte, gemütlich zu


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[0443] Der erste Beste Als die Jünglinge die Erdbeeren „intus" hatten, erhoben sie sich. Sehr richtig, nickte ihnen Fritz zu. Gehen Sie flink ins Nest; morgen früh wird Ihnen das Aufstehen so wie so saurer werden als sonst. — Wie macht sich denn Schneider jetzt? fragte er den Bruder, als die beiden hin¬ aus waren. Ganz gut. Ein riesiges Genie ist er uicht, das hatten wir ja bald heraus. Aber die Sache freut ihn, und er arbeitet unverdrossen. Wenn er nur als Mensch ein bischen frischer wäre! Man wird uicht draus klug, ist er nur so verschüchtert und traut sich uicht aus sich heraus, oder hat er überhaupt nicht mehr von sich zu geben. Sein Aussehen hat sich aber in diesen Wochen gebessert, find ich. Nu ja, das soll es wohl. Er hat auch in sich hineingefuttert — da is ja das Ende von weg, sagte Mamselling immer. Das war so was sür ihr gutmütiges Herz, den armen verhungerten Kerl herauszumaustern. Sehen Sie man bloß, wie er achete, flüsterte sie mir strahlend zu, wenn er so in sein Butterbrot einHieb. Was war denn mit ihm? fragte Margarete. Ach, er hatte eine schlechte Stelle als Lehrling, mußte zu viel arbeiten und bekam zu wenig zu essen. Warum blieb er denn da? Ja, das war eben seine Dummheit. Er hätte schon viel eher melden müssen, wie es ihm ging. Aber er traute sich nicht, fürchtete, von seinem strengen Vater, der als alter Militär nicht viel mit sich reden läßt, für weich¬ lich gehalten zu werden, und frettete sich so durch, bis er liegen blieb. Zu¬ fällig kam ich wegen eines Pserdekaufs dahin, sah den Bengel,' nahm ihn mir allein vor und stach dann dem alten Herrn den Star. Kanntest du den Vater? Nein. Ich schrieb ihm einfach: so und so. Er reiste dann hin, besah sich die Sache, und es gab einen Krach, an den die Herrschaften wohl denken werden. Und wann kam er zu dir? Vor reichlich vier Wochen, also kurz vor unsrer Hochzeit. Der Alte brachte ihn mir einfach her; der Junge hätte ihn so gebeten. Ich muß in der Geschwindigkeit einen bestrickenden Eindruck auf ihn gemacht haben. Papachen erklärte mir denn auch seine Liebe. Dem hatte wieder dein kurz angebundner Brief gefallen, warf Hans ein. ^as war so was für den alten Soldaten. Scheint so. Na — und so behielten wir ihn gleich da. Mußte natür¬ lich vor allen Dingen erst herausgefüttert werden. Für den Zweck war er hier draußen auch besser aufgehoben als in der räuchrigen Stadt, wo er mit auf kleinern Geschwistern in der Mietwohnung Hütte hocken müssen. Du Ichemst müde zu sein. Kind? Margarete hatte wieder unterdrückt gegähnt. ^a, ich bin etwas abgespannt, ich möchte mich wohl — Zurückziehen? Können wir machen. Er stand auf. Auch Haus erhob sich; seine erstaunten Blicke gingen zwischen Fritz und Margarete hin und her. Das war ja ein netter Abend, oleser erste „Daheim." Sie war „abgespannt," sie „zog sich zurück" jetzt, nachdem die Jungen zu Bett waren und mau anfangen konnte, gemütlich zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/443>, abgerufen am 25.08.2024.