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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Eduard Hanslicks Lebenserinnenmgen

tritt. Der Meister stirbt, seine Schüler stürzen sich auf seine Irrtümer und
seine Manier, die nachzuahmen es nur einiger Technik und gar keiner schöpfe¬
rischen Kraft bedarf, und glauben, das heiligste Vermächtnis zu verteidigen,
während ihnen der Kern der Sache verschlossen geblieben ist.

Zu bedauern ist es, daß Hanslick seinen Gegnern durch sein Urteil über
Brahms eine so bequeme Waffe in die Hand gegeben hat. Brahms ist seine
Achillesferse. Von Brahms Musik ist bei ihm immer nur mit dem Ausdrucke
ungelenker Bewunderung die Rede. Hier liegt der schwerste Fehler der ge¬
samten kritischen Thätigkeit Hanslicks. Wäre es ihm gelungen, Brahms mit
derselben Unbefangenheit zu beurteilen wie Wagner, so wäre sein Lebenswerk
durch keinen Flecken getrübt, und künftige Geschlechter würden dem Manne, der
sich inmitten einer unklar hin und her schwankenden Zeit nach allen Seiten
hin Freiheit des Blickes zu wahren verstanden hat, ihre Bewunderung gewiß
nicht versagen. Daß Hanslick Brahms gegenüber schwach gewesen ist, kann
niemand mehr bedauern als seine Freunde und Mitkämpfer.

Wesentlich anders als über Wagner urteilt Hanslick über Liszt. Liszts
Kompositionen lehnt er freilich ab, aber sein Klavierspiel nennt er "genial,
kühn, glänzend, unbegreiflich." Dem Menschen Liszt vollends scheint er in
warmer Sympathie zugethan gewesen zu sein. Er ist entzückt von Liszts
großherzigen Gemüt, das sich immer hilfreich bewährt habe, wo es gegolten
habe, ein junges Talent aufzumuntern oder ein alt gewordnes zu stützen.
Bei aller musikalischen Gegnerschaft bewahrte auch Liszt Hanslick gegenüber
stets seine volle Liebenswürdigkeit, er besuchte ihn sogar in Wien.

Von Vülow ist nur zweimal die Rede. Das einemal wundert sich Hans¬
lick über Bülows verblüffende Kenntnis der französischen Litteratur, das
andremal wird ein Brief erwähnt, worin Bülow schreibt, er freue sich "seines
späten, aber nicht allzuspäten Häutungsprozesses," er sei nun geheilt von
seiner frühern Nibelungensucht.

Von Robert Franz spricht Hanslick sehr warm. Er schildert ihn als
einen "ernsten, hagern Mann von etwas professorenhaftem Zuschnitt und als
einen gewandten, auch sarkastischen Plauderer." Liszts und Wagners Musik
liebte Franz nicht. Er war ganz erfüllt von der Größe Bachs und suchte
auch Hanslick zu seinen Anschauungen zu bekehren. Zwischen beiden wurden
zahlreiche Briefe gewechselt; der umfangreichste, "eine förmliche Abhandlung"
von Franz über Ziel und Methode seiner Bearbeitung Bachs, wird nach
langem Widerstreben des Verfassers schließlich doch als "offner Brief an
Eduard Hanslick" gedruckt und erregt allseitig Aufsehen. Seltsam ist nur,
daß Franz andern gegenüber doch nicht so günstig über Hanslick geurteilt hat,
wie man glauben sollte. In den "Gesprächen mit Robert Franz," die Wil¬
helm Waldmann neuerdings herausgegeben hat, ist an mehreren Stellen von
Hanslick die Rede. Das einemal sagt Franz wörtlich über eine von Hanslicks


Eduard Hanslicks Lebenserinnenmgen

tritt. Der Meister stirbt, seine Schüler stürzen sich auf seine Irrtümer und
seine Manier, die nachzuahmen es nur einiger Technik und gar keiner schöpfe¬
rischen Kraft bedarf, und glauben, das heiligste Vermächtnis zu verteidigen,
während ihnen der Kern der Sache verschlossen geblieben ist.

Zu bedauern ist es, daß Hanslick seinen Gegnern durch sein Urteil über
Brahms eine so bequeme Waffe in die Hand gegeben hat. Brahms ist seine
Achillesferse. Von Brahms Musik ist bei ihm immer nur mit dem Ausdrucke
ungelenker Bewunderung die Rede. Hier liegt der schwerste Fehler der ge¬
samten kritischen Thätigkeit Hanslicks. Wäre es ihm gelungen, Brahms mit
derselben Unbefangenheit zu beurteilen wie Wagner, so wäre sein Lebenswerk
durch keinen Flecken getrübt, und künftige Geschlechter würden dem Manne, der
sich inmitten einer unklar hin und her schwankenden Zeit nach allen Seiten
hin Freiheit des Blickes zu wahren verstanden hat, ihre Bewunderung gewiß
nicht versagen. Daß Hanslick Brahms gegenüber schwach gewesen ist, kann
niemand mehr bedauern als seine Freunde und Mitkämpfer.

Wesentlich anders als über Wagner urteilt Hanslick über Liszt. Liszts
Kompositionen lehnt er freilich ab, aber sein Klavierspiel nennt er „genial,
kühn, glänzend, unbegreiflich." Dem Menschen Liszt vollends scheint er in
warmer Sympathie zugethan gewesen zu sein. Er ist entzückt von Liszts
großherzigen Gemüt, das sich immer hilfreich bewährt habe, wo es gegolten
habe, ein junges Talent aufzumuntern oder ein alt gewordnes zu stützen.
Bei aller musikalischen Gegnerschaft bewahrte auch Liszt Hanslick gegenüber
stets seine volle Liebenswürdigkeit, er besuchte ihn sogar in Wien.

Von Vülow ist nur zweimal die Rede. Das einemal wundert sich Hans¬
lick über Bülows verblüffende Kenntnis der französischen Litteratur, das
andremal wird ein Brief erwähnt, worin Bülow schreibt, er freue sich „seines
späten, aber nicht allzuspäten Häutungsprozesses," er sei nun geheilt von
seiner frühern Nibelungensucht.

Von Robert Franz spricht Hanslick sehr warm. Er schildert ihn als
einen „ernsten, hagern Mann von etwas professorenhaftem Zuschnitt und als
einen gewandten, auch sarkastischen Plauderer." Liszts und Wagners Musik
liebte Franz nicht. Er war ganz erfüllt von der Größe Bachs und suchte
auch Hanslick zu seinen Anschauungen zu bekehren. Zwischen beiden wurden
zahlreiche Briefe gewechselt; der umfangreichste, „eine förmliche Abhandlung"
von Franz über Ziel und Methode seiner Bearbeitung Bachs, wird nach
langem Widerstreben des Verfassers schließlich doch als „offner Brief an
Eduard Hanslick" gedruckt und erregt allseitig Aufsehen. Seltsam ist nur,
daß Franz andern gegenüber doch nicht so günstig über Hanslick geurteilt hat,
wie man glauben sollte. In den „Gesprächen mit Robert Franz," die Wil¬
helm Waldmann neuerdings herausgegeben hat, ist an mehreren Stellen von
Hanslick die Rede. Das einemal sagt Franz wörtlich über eine von Hanslicks


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[0378] Eduard Hanslicks Lebenserinnenmgen tritt. Der Meister stirbt, seine Schüler stürzen sich auf seine Irrtümer und seine Manier, die nachzuahmen es nur einiger Technik und gar keiner schöpfe¬ rischen Kraft bedarf, und glauben, das heiligste Vermächtnis zu verteidigen, während ihnen der Kern der Sache verschlossen geblieben ist. Zu bedauern ist es, daß Hanslick seinen Gegnern durch sein Urteil über Brahms eine so bequeme Waffe in die Hand gegeben hat. Brahms ist seine Achillesferse. Von Brahms Musik ist bei ihm immer nur mit dem Ausdrucke ungelenker Bewunderung die Rede. Hier liegt der schwerste Fehler der ge¬ samten kritischen Thätigkeit Hanslicks. Wäre es ihm gelungen, Brahms mit derselben Unbefangenheit zu beurteilen wie Wagner, so wäre sein Lebenswerk durch keinen Flecken getrübt, und künftige Geschlechter würden dem Manne, der sich inmitten einer unklar hin und her schwankenden Zeit nach allen Seiten hin Freiheit des Blickes zu wahren verstanden hat, ihre Bewunderung gewiß nicht versagen. Daß Hanslick Brahms gegenüber schwach gewesen ist, kann niemand mehr bedauern als seine Freunde und Mitkämpfer. Wesentlich anders als über Wagner urteilt Hanslick über Liszt. Liszts Kompositionen lehnt er freilich ab, aber sein Klavierspiel nennt er „genial, kühn, glänzend, unbegreiflich." Dem Menschen Liszt vollends scheint er in warmer Sympathie zugethan gewesen zu sein. Er ist entzückt von Liszts großherzigen Gemüt, das sich immer hilfreich bewährt habe, wo es gegolten habe, ein junges Talent aufzumuntern oder ein alt gewordnes zu stützen. Bei aller musikalischen Gegnerschaft bewahrte auch Liszt Hanslick gegenüber stets seine volle Liebenswürdigkeit, er besuchte ihn sogar in Wien. Von Vülow ist nur zweimal die Rede. Das einemal wundert sich Hans¬ lick über Bülows verblüffende Kenntnis der französischen Litteratur, das andremal wird ein Brief erwähnt, worin Bülow schreibt, er freue sich „seines späten, aber nicht allzuspäten Häutungsprozesses," er sei nun geheilt von seiner frühern Nibelungensucht. Von Robert Franz spricht Hanslick sehr warm. Er schildert ihn als einen „ernsten, hagern Mann von etwas professorenhaftem Zuschnitt und als einen gewandten, auch sarkastischen Plauderer." Liszts und Wagners Musik liebte Franz nicht. Er war ganz erfüllt von der Größe Bachs und suchte auch Hanslick zu seinen Anschauungen zu bekehren. Zwischen beiden wurden zahlreiche Briefe gewechselt; der umfangreichste, „eine förmliche Abhandlung" von Franz über Ziel und Methode seiner Bearbeitung Bachs, wird nach langem Widerstreben des Verfassers schließlich doch als „offner Brief an Eduard Hanslick" gedruckt und erregt allseitig Aufsehen. Seltsam ist nur, daß Franz andern gegenüber doch nicht so günstig über Hanslick geurteilt hat, wie man glauben sollte. In den „Gesprächen mit Robert Franz," die Wil¬ helm Waldmann neuerdings herausgegeben hat, ist an mehreren Stellen von Hanslick die Rede. Das einemal sagt Franz wörtlich über eine von Hanslicks

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/378>, abgerufen am 27.08.2024.