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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Behandlung des Verbrechers

Welches man selbst verursacht hat, sich über das erlittene zu trösten. Daher
ist Kants Theorie der Strafe als bloßer Vergeltung, um der Vergeltung
willen, eine völlig grundlose und verkehrte Ansicht. Und doch spukt sie noch
immer in den Schriften vieler Rechtslehrer, unter allerlei Phrasen, die auf
leeren Wortkram hinauslaufen, wie: durch die Strafe werde das Verbrechen
gesühnt oder neutralisirt und aufgehoben. Kein Mensch aber hat die Befugnis,
sich zum rein moralischen Richter und Vergelter aufzuwerfen und die Misse¬
thaten des andern durch Schmerzen, die er ihm zufügt, heimzusuchen. Viel¬
mehr wäre dies eine höchst vermessene Anmaßung, daher eben das biblische:
Mein ist die Rache, spricht der Herr, und ich will vergelten." Noch ver¬
messener ist der Gedanke, durch die Strafe die göttliche Gerechtigkeit stützen
zu wollen, wo sie auf Erden auszubleiben scheint, und es ist sehr bedenklich,
was doch oft genug geschieht, die Strafe des Staats ganz allgemein auf ein
göttliches Gebot zurückzuführen, denn viele Strafen richten sich gar nicht gegen
sittliche Mängel, sondern gegen solche Handlungen, die selbst das feinfühligste
Gewissen ohne Bedrückung lassen. Man denke auch an das bekannte drastische
Wort jenes Berliner Richters: Wer einen Meineid schwört, bekommt Zucht¬
haus und Gewissensbisse. Die Gewissensbisse, die die Strafe erst zu einer
wirklichen Sühne macheu könnten, natürlich nicht von Staats wegen, sondern
von Gott, dem Rächer und Vergelter, der sich also doch auf Erden fein Recht
suchen muß. Daß der Vorwurf, das sogenannte Gerechtigkeitsgefühl sei im
Grunde nichts andres als ein verkapptes Rachegefühl, nicht aus der Luft ge¬
griffen ist, läßt sich wohl schon daraus schließen, daß die Verteidiger der
absoluten Theorien um den Rachegedanken herumgehen, wie die Katze um den
heißen Brei, daß sie ihn immer wieder zurechtstutzen, durch allerlei Kunststücke
salonfähig zu machen suchen und daher von veredelter Rache, ja sogar in
ihrer Verzweiflung von einer transzendenten Befriedigung der Rache reden.
Einige sprechen es freilich auch ehrlich aus, daß der Staat das schmutzige
Geschäft, vor dem der einzelne Staatsbürger zurückschrickt, nämlich Rache zu
üben, im Namen der Gesamtheit besorge.

In der nüchternen Wirklichkeit wird es wohl keinem einfallen, zu be¬
haupten, auch wenn er theoretisch noch so sehr auf das ^us ouvris schwört,
daß die menschliche oder staatliche Vergeltung das Unrecht "neutralisire."
Nehmen wir ein Beispiel aus dem Leben: Einem Manne A werden aus seiner
Schublade hundert Thaler gestohlen. Der Dieb B wird entdeckt und zu einer
Gefängnisstrafe von einem Jahre verurteilt. Das Gerechtigkeitsgefühl des
Publikums ist durch dieses unter Umständen strenge Urteil befriedigt, jeder¬
mann blickt Heller ins Leben und schläft hinfort sanfter. Nur der Bestohlene
erkennt gar bald, daß er nicht nur nicht zu seinen hundert Thalern gekommen
ist, sondern auch noch viele Wege, Zeitverlust, Unkosten, Ärger und Verdrie߬
lichkeiten durch den Prozeß gehabt hat. Er hat nichts davon, daß der Dieb


Die Behandlung des Verbrechers

Welches man selbst verursacht hat, sich über das erlittene zu trösten. Daher
ist Kants Theorie der Strafe als bloßer Vergeltung, um der Vergeltung
willen, eine völlig grundlose und verkehrte Ansicht. Und doch spukt sie noch
immer in den Schriften vieler Rechtslehrer, unter allerlei Phrasen, die auf
leeren Wortkram hinauslaufen, wie: durch die Strafe werde das Verbrechen
gesühnt oder neutralisirt und aufgehoben. Kein Mensch aber hat die Befugnis,
sich zum rein moralischen Richter und Vergelter aufzuwerfen und die Misse¬
thaten des andern durch Schmerzen, die er ihm zufügt, heimzusuchen. Viel¬
mehr wäre dies eine höchst vermessene Anmaßung, daher eben das biblische:
Mein ist die Rache, spricht der Herr, und ich will vergelten." Noch ver¬
messener ist der Gedanke, durch die Strafe die göttliche Gerechtigkeit stützen
zu wollen, wo sie auf Erden auszubleiben scheint, und es ist sehr bedenklich,
was doch oft genug geschieht, die Strafe des Staats ganz allgemein auf ein
göttliches Gebot zurückzuführen, denn viele Strafen richten sich gar nicht gegen
sittliche Mängel, sondern gegen solche Handlungen, die selbst das feinfühligste
Gewissen ohne Bedrückung lassen. Man denke auch an das bekannte drastische
Wort jenes Berliner Richters: Wer einen Meineid schwört, bekommt Zucht¬
haus und Gewissensbisse. Die Gewissensbisse, die die Strafe erst zu einer
wirklichen Sühne macheu könnten, natürlich nicht von Staats wegen, sondern
von Gott, dem Rächer und Vergelter, der sich also doch auf Erden fein Recht
suchen muß. Daß der Vorwurf, das sogenannte Gerechtigkeitsgefühl sei im
Grunde nichts andres als ein verkapptes Rachegefühl, nicht aus der Luft ge¬
griffen ist, läßt sich wohl schon daraus schließen, daß die Verteidiger der
absoluten Theorien um den Rachegedanken herumgehen, wie die Katze um den
heißen Brei, daß sie ihn immer wieder zurechtstutzen, durch allerlei Kunststücke
salonfähig zu machen suchen und daher von veredelter Rache, ja sogar in
ihrer Verzweiflung von einer transzendenten Befriedigung der Rache reden.
Einige sprechen es freilich auch ehrlich aus, daß der Staat das schmutzige
Geschäft, vor dem der einzelne Staatsbürger zurückschrickt, nämlich Rache zu
üben, im Namen der Gesamtheit besorge.

In der nüchternen Wirklichkeit wird es wohl keinem einfallen, zu be¬
haupten, auch wenn er theoretisch noch so sehr auf das ^us ouvris schwört,
daß die menschliche oder staatliche Vergeltung das Unrecht „neutralisire."
Nehmen wir ein Beispiel aus dem Leben: Einem Manne A werden aus seiner
Schublade hundert Thaler gestohlen. Der Dieb B wird entdeckt und zu einer
Gefängnisstrafe von einem Jahre verurteilt. Das Gerechtigkeitsgefühl des
Publikums ist durch dieses unter Umständen strenge Urteil befriedigt, jeder¬
mann blickt Heller ins Leben und schläft hinfort sanfter. Nur der Bestohlene
erkennt gar bald, daß er nicht nur nicht zu seinen hundert Thalern gekommen
ist, sondern auch noch viele Wege, Zeitverlust, Unkosten, Ärger und Verdrie߬
lichkeiten durch den Prozeß gehabt hat. Er hat nichts davon, daß der Dieb


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[0035] Die Behandlung des Verbrechers Welches man selbst verursacht hat, sich über das erlittene zu trösten. Daher ist Kants Theorie der Strafe als bloßer Vergeltung, um der Vergeltung willen, eine völlig grundlose und verkehrte Ansicht. Und doch spukt sie noch immer in den Schriften vieler Rechtslehrer, unter allerlei Phrasen, die auf leeren Wortkram hinauslaufen, wie: durch die Strafe werde das Verbrechen gesühnt oder neutralisirt und aufgehoben. Kein Mensch aber hat die Befugnis, sich zum rein moralischen Richter und Vergelter aufzuwerfen und die Misse¬ thaten des andern durch Schmerzen, die er ihm zufügt, heimzusuchen. Viel¬ mehr wäre dies eine höchst vermessene Anmaßung, daher eben das biblische: Mein ist die Rache, spricht der Herr, und ich will vergelten." Noch ver¬ messener ist der Gedanke, durch die Strafe die göttliche Gerechtigkeit stützen zu wollen, wo sie auf Erden auszubleiben scheint, und es ist sehr bedenklich, was doch oft genug geschieht, die Strafe des Staats ganz allgemein auf ein göttliches Gebot zurückzuführen, denn viele Strafen richten sich gar nicht gegen sittliche Mängel, sondern gegen solche Handlungen, die selbst das feinfühligste Gewissen ohne Bedrückung lassen. Man denke auch an das bekannte drastische Wort jenes Berliner Richters: Wer einen Meineid schwört, bekommt Zucht¬ haus und Gewissensbisse. Die Gewissensbisse, die die Strafe erst zu einer wirklichen Sühne macheu könnten, natürlich nicht von Staats wegen, sondern von Gott, dem Rächer und Vergelter, der sich also doch auf Erden fein Recht suchen muß. Daß der Vorwurf, das sogenannte Gerechtigkeitsgefühl sei im Grunde nichts andres als ein verkapptes Rachegefühl, nicht aus der Luft ge¬ griffen ist, läßt sich wohl schon daraus schließen, daß die Verteidiger der absoluten Theorien um den Rachegedanken herumgehen, wie die Katze um den heißen Brei, daß sie ihn immer wieder zurechtstutzen, durch allerlei Kunststücke salonfähig zu machen suchen und daher von veredelter Rache, ja sogar in ihrer Verzweiflung von einer transzendenten Befriedigung der Rache reden. Einige sprechen es freilich auch ehrlich aus, daß der Staat das schmutzige Geschäft, vor dem der einzelne Staatsbürger zurückschrickt, nämlich Rache zu üben, im Namen der Gesamtheit besorge. In der nüchternen Wirklichkeit wird es wohl keinem einfallen, zu be¬ haupten, auch wenn er theoretisch noch so sehr auf das ^us ouvris schwört, daß die menschliche oder staatliche Vergeltung das Unrecht „neutralisire." Nehmen wir ein Beispiel aus dem Leben: Einem Manne A werden aus seiner Schublade hundert Thaler gestohlen. Der Dieb B wird entdeckt und zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahre verurteilt. Das Gerechtigkeitsgefühl des Publikums ist durch dieses unter Umständen strenge Urteil befriedigt, jeder¬ mann blickt Heller ins Leben und schläft hinfort sanfter. Nur der Bestohlene erkennt gar bald, daß er nicht nur nicht zu seinen hundert Thalern gekommen ist, sondern auch noch viele Wege, Zeitverlust, Unkosten, Ärger und Verdrie߬ lichkeiten durch den Prozeß gehabt hat. Er hat nichts davon, daß der Dieb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/35>, abgerufen am 25.08.2024.