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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Meltpolitik

die riesigen Aufstände Maßregeln auf, die gerade so über die Grenzen der
Kolonien hinausgreifen mußten, wie die Arbeitervereinigungen darüber hinaus-
reichten. So fand die erneute Anregung von 1894 nicht mehr die Stimmung,
in der der Verfasfungsvorschlag von 1891 untergcgcingeu war.

Die wirtschaftlichen Vorteile eines Bodens sind leichter zu gewinnen als
die politischen, die wirtschaftliche Arbeit erfordert weniger und einfachere Fähig¬
keiten und Kenntnisse. Junge Kolonien kennen daher fast nur wirtschaftliche
Interessen, und das Mutterland wird vor allem diese zu schonen haben, wenn
es nicht Unfrieden aussäen will. In einer Timeskorrespondenz aus Brisbane
(Queensland) lasen wir 1893: "Die Politik von Queensland ist so sehr die
Frucht der Entfaltung seiner Naturschütze, daß es unmöglich ist, von ihr zu
sprechen, ohne vorher das Land zu beschreiben. Mit wenigen Ausnahmen
sind die besten Männer der Kolonie beschäftigt, ihre Hilfsquellen zu erschließen.
Sie schenken politischen Bewegungen wenig Beachtung, solange nicht das Ge¬
deihen ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen davon berührt wird. Die meisten
politischen Fragen entspringen den materiellen Bedürfnissen wenigstens eines
Teils der Kolonie. Wenn diese in Kampf kommen oder zu kommen scheinen
mit den Interessen andrer Teile, so entsteht immer eine politische Bewegung,
die zu Streitigkeiten führt, die mehr oder weniger heiß und allgemein geführt
werden, je nach der Zahl der Menschen, die sie berühren. Aber keine politische
Spannung hält lange an, wenn sie nicht materiellen Verlust oder Gewinn
bringt, und keine erscheint unwichtig, sobald sie dieses thut." Das Mutter¬
land hat diese Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen vollständig gewürdigt,
aber sie sind nicht so einfach, daß es nichts andres zu thun hätte, als sie
mit dem Kursblatt und der Schere zu pflegen. Von den etwa 3000 Mil¬
lionen Mark, die alljährlich an Zinsen und Renten der verschiedensten Art von
den Kolonien nach London fließen, kommt sicherlich ein großer Teil aus
Australien, das finanziell ganz eng mit England zusammenhängt und offiziell
nur ihm schuldet, aber viel. Das ist ein starker Zusammenhang, für Australien
mehr Kette als Rosenband. Er kann England über die allmählich ungünstiger
gewordne Handelsbilanz (1893: 587 Millionen Einfuhr aus Australien und
Neuseeland gegen 300 Millionen Ausfuhr dahin) trösten, in der sich die regel¬
mäßige Zunahme der deutschen, französischen, nordamerikanischen und andern
Einfuhren in Australien bemerklich macht. Es fragt sich nur, ob die goldne
Kette nicht das junge Australien mit der Zeit immer schwerer drücken wird.

Australiens Finanzen haben besonders durch den Eisenbahnbau gelitten, der
durch die Natur des flußarmen, von schwer zu überschreitenden Gebirgen an
den wichtigsten Seiten eingefaßten Kontinents eine viel größere Notwendigkeit
ist als in allen europäischen oder nordamerikanischen Ländern. Daß der
Murray in nassen Jahren mit flachbodigen Dampfern bis Albury schiffbar ist,
2700 Kilometer von seiner Mündung, wo ihn die Eisenbahn von Melbourne


Grenzboten II 1895 39
Zur Kenntnis der englischen Meltpolitik

die riesigen Aufstände Maßregeln auf, die gerade so über die Grenzen der
Kolonien hinausgreifen mußten, wie die Arbeitervereinigungen darüber hinaus-
reichten. So fand die erneute Anregung von 1894 nicht mehr die Stimmung,
in der der Verfasfungsvorschlag von 1891 untergcgcingeu war.

Die wirtschaftlichen Vorteile eines Bodens sind leichter zu gewinnen als
die politischen, die wirtschaftliche Arbeit erfordert weniger und einfachere Fähig¬
keiten und Kenntnisse. Junge Kolonien kennen daher fast nur wirtschaftliche
Interessen, und das Mutterland wird vor allem diese zu schonen haben, wenn
es nicht Unfrieden aussäen will. In einer Timeskorrespondenz aus Brisbane
(Queensland) lasen wir 1893: „Die Politik von Queensland ist so sehr die
Frucht der Entfaltung seiner Naturschütze, daß es unmöglich ist, von ihr zu
sprechen, ohne vorher das Land zu beschreiben. Mit wenigen Ausnahmen
sind die besten Männer der Kolonie beschäftigt, ihre Hilfsquellen zu erschließen.
Sie schenken politischen Bewegungen wenig Beachtung, solange nicht das Ge¬
deihen ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen davon berührt wird. Die meisten
politischen Fragen entspringen den materiellen Bedürfnissen wenigstens eines
Teils der Kolonie. Wenn diese in Kampf kommen oder zu kommen scheinen
mit den Interessen andrer Teile, so entsteht immer eine politische Bewegung,
die zu Streitigkeiten führt, die mehr oder weniger heiß und allgemein geführt
werden, je nach der Zahl der Menschen, die sie berühren. Aber keine politische
Spannung hält lange an, wenn sie nicht materiellen Verlust oder Gewinn
bringt, und keine erscheint unwichtig, sobald sie dieses thut." Das Mutter¬
land hat diese Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen vollständig gewürdigt,
aber sie sind nicht so einfach, daß es nichts andres zu thun hätte, als sie
mit dem Kursblatt und der Schere zu pflegen. Von den etwa 3000 Mil¬
lionen Mark, die alljährlich an Zinsen und Renten der verschiedensten Art von
den Kolonien nach London fließen, kommt sicherlich ein großer Teil aus
Australien, das finanziell ganz eng mit England zusammenhängt und offiziell
nur ihm schuldet, aber viel. Das ist ein starker Zusammenhang, für Australien
mehr Kette als Rosenband. Er kann England über die allmählich ungünstiger
gewordne Handelsbilanz (1893: 587 Millionen Einfuhr aus Australien und
Neuseeland gegen 300 Millionen Ausfuhr dahin) trösten, in der sich die regel¬
mäßige Zunahme der deutschen, französischen, nordamerikanischen und andern
Einfuhren in Australien bemerklich macht. Es fragt sich nur, ob die goldne
Kette nicht das junge Australien mit der Zeit immer schwerer drücken wird.

Australiens Finanzen haben besonders durch den Eisenbahnbau gelitten, der
durch die Natur des flußarmen, von schwer zu überschreitenden Gebirgen an
den wichtigsten Seiten eingefaßten Kontinents eine viel größere Notwendigkeit
ist als in allen europäischen oder nordamerikanischen Ländern. Daß der
Murray in nassen Jahren mit flachbodigen Dampfern bis Albury schiffbar ist,
2700 Kilometer von seiner Mündung, wo ihn die Eisenbahn von Melbourne


Grenzboten II 1895 39
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[0313] Zur Kenntnis der englischen Meltpolitik die riesigen Aufstände Maßregeln auf, die gerade so über die Grenzen der Kolonien hinausgreifen mußten, wie die Arbeitervereinigungen darüber hinaus- reichten. So fand die erneute Anregung von 1894 nicht mehr die Stimmung, in der der Verfasfungsvorschlag von 1891 untergcgcingeu war. Die wirtschaftlichen Vorteile eines Bodens sind leichter zu gewinnen als die politischen, die wirtschaftliche Arbeit erfordert weniger und einfachere Fähig¬ keiten und Kenntnisse. Junge Kolonien kennen daher fast nur wirtschaftliche Interessen, und das Mutterland wird vor allem diese zu schonen haben, wenn es nicht Unfrieden aussäen will. In einer Timeskorrespondenz aus Brisbane (Queensland) lasen wir 1893: „Die Politik von Queensland ist so sehr die Frucht der Entfaltung seiner Naturschütze, daß es unmöglich ist, von ihr zu sprechen, ohne vorher das Land zu beschreiben. Mit wenigen Ausnahmen sind die besten Männer der Kolonie beschäftigt, ihre Hilfsquellen zu erschließen. Sie schenken politischen Bewegungen wenig Beachtung, solange nicht das Ge¬ deihen ihrer wirtschaftlichen Bestrebungen davon berührt wird. Die meisten politischen Fragen entspringen den materiellen Bedürfnissen wenigstens eines Teils der Kolonie. Wenn diese in Kampf kommen oder zu kommen scheinen mit den Interessen andrer Teile, so entsteht immer eine politische Bewegung, die zu Streitigkeiten führt, die mehr oder weniger heiß und allgemein geführt werden, je nach der Zahl der Menschen, die sie berühren. Aber keine politische Spannung hält lange an, wenn sie nicht materiellen Verlust oder Gewinn bringt, und keine erscheint unwichtig, sobald sie dieses thut." Das Mutter¬ land hat diese Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen vollständig gewürdigt, aber sie sind nicht so einfach, daß es nichts andres zu thun hätte, als sie mit dem Kursblatt und der Schere zu pflegen. Von den etwa 3000 Mil¬ lionen Mark, die alljährlich an Zinsen und Renten der verschiedensten Art von den Kolonien nach London fließen, kommt sicherlich ein großer Teil aus Australien, das finanziell ganz eng mit England zusammenhängt und offiziell nur ihm schuldet, aber viel. Das ist ein starker Zusammenhang, für Australien mehr Kette als Rosenband. Er kann England über die allmählich ungünstiger gewordne Handelsbilanz (1893: 587 Millionen Einfuhr aus Australien und Neuseeland gegen 300 Millionen Ausfuhr dahin) trösten, in der sich die regel¬ mäßige Zunahme der deutschen, französischen, nordamerikanischen und andern Einfuhren in Australien bemerklich macht. Es fragt sich nur, ob die goldne Kette nicht das junge Australien mit der Zeit immer schwerer drücken wird. Australiens Finanzen haben besonders durch den Eisenbahnbau gelitten, der durch die Natur des flußarmen, von schwer zu überschreitenden Gebirgen an den wichtigsten Seiten eingefaßten Kontinents eine viel größere Notwendigkeit ist als in allen europäischen oder nordamerikanischen Ländern. Daß der Murray in nassen Jahren mit flachbodigen Dampfern bis Albury schiffbar ist, 2700 Kilometer von seiner Mündung, wo ihn die Eisenbahn von Melbourne Grenzboten II 1895 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/313>, abgerufen am 24.08.2024.