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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

der Bahn, die bezeichnet ist durch die Haltepunkte: Besitzung, selbständiges Glied
des britischen Reiches, Glied eines größern Ganzen und erst dadurch Bestandteil
des Reichs. Während Kanadas Halt am Mutterlande durch die ein Vierteljahr¬
hundert alte Bildung der Dominion ok Xg.ng.6g, thatsächlich nicht erschüttert, son¬
dern eher befestigt wurde, ist Australien selbständiger schon durch Lage und Größe
und durch keine angrenzende Macht so nahe bedroht wie Kanada. Als der
ehemals einflußreichste Staatsmann Australiens, Henry Parkes, 1881 den eng¬
lische" Münstern empfahl, statt unfähiger Leute als Gouverneure dieser wich¬
tigen Kolonien nur Männer auszusenden, die man in der Heimat für Minister¬
posten reif halte, wurde er verlacht. Seitdem amtirten Loftus und Brasfey
in Sydney. Wie lange wird es dauern, und England wird sich in Australien
dnrch einen Generalstatthalter mit fürstlichem Rang vertreten lassen, wie in
der Dominion von Kanada. Der <üommonvvg.M ok ^.ustrgllg, dessen Ver¬
fassung eigentlich seit 1891 fertig ist, wird in wenig Jahren als der jüngste
Großstaat, der einzige, der zugleich ein Kontinent ist, vor uns stehen. Er
mag dann noch eine Reihe von Jahren im Kielwasser des großen Schiffes
Altengland fahren, aber seine Lage bestimmt ihm eine eigne Politik, und diese
zu machen, werden sich ganz bestimmt die australischen Staatsmänner beeilen,
die von dem jugendlichen Ehrgeiz aller Kolonialvölker beseelt sind und ihre
Interessen rücksichtslos zur Geltung bringen wollen.

Es ist sehr bezeichnend, daß die aufrichtigsten Anhänger Englands in
Australien, die Konservativen von Neusüdwales, unter der Führung des Mi¬
nisters Dalley den ursprünglich in Viktoria besonders gepflegten Föderations¬
ideen das Programm entgegensetzten: Verbindung der australischen Kolonien
in und durch eine allgemeine Verbindung aller englischen Kolonien mit dem
Mutterlande; wenn diese nicht zu erreichen wäre, Selbständigkeit jeder einzelnen
wie bisher. Um eine solche Vereinigung anzubahnen, sollte eine einzige große
Flotte gebildet werden mit einem Geschwader für jede Kolonie oder Gruppe
von Kolonien, unter englischer Oberleitung u. dergl. Diese Pläne haben immer
mehr Boden verloren. In London selbst wünschten viele Staatsmänner eine
Föderation, die die kolonialen Lasten des Mutterlandes erleichtere; vielleicht
waren darunter Bekehrte aus der Schar derer, die einst die volle Unabhän¬
gigkeit Australiens sür den größte" Vorteil Englands gehalten hatten. Am
unerträglichsten schien der Gedanke, Abgeordneten oder Staatsmännern der
Kolonien Sitze im Parlament einzuräumen. Ihre Generalagenten in London
zu einem Beratungskörper zu vereinigen, schien den Kolonien unpraktisch, denn
diese Agenten sind auf der eiuen Seite vom Kolonialamt abhängig, auf der
andern von den Geldmächten beeinflußt. So blieb der erste und einfachste
Gedanke eines Bundes der australischen Kolonien auch hier der beste, tauchte
unter allen andern Plänen immer wieder auf und gewann immer mehr
Raum.


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

der Bahn, die bezeichnet ist durch die Haltepunkte: Besitzung, selbständiges Glied
des britischen Reiches, Glied eines größern Ganzen und erst dadurch Bestandteil
des Reichs. Während Kanadas Halt am Mutterlande durch die ein Vierteljahr¬
hundert alte Bildung der Dominion ok Xg.ng.6g, thatsächlich nicht erschüttert, son¬
dern eher befestigt wurde, ist Australien selbständiger schon durch Lage und Größe
und durch keine angrenzende Macht so nahe bedroht wie Kanada. Als der
ehemals einflußreichste Staatsmann Australiens, Henry Parkes, 1881 den eng¬
lische» Münstern empfahl, statt unfähiger Leute als Gouverneure dieser wich¬
tigen Kolonien nur Männer auszusenden, die man in der Heimat für Minister¬
posten reif halte, wurde er verlacht. Seitdem amtirten Loftus und Brasfey
in Sydney. Wie lange wird es dauern, und England wird sich in Australien
dnrch einen Generalstatthalter mit fürstlichem Rang vertreten lassen, wie in
der Dominion von Kanada. Der <üommonvvg.M ok ^.ustrgllg, dessen Ver¬
fassung eigentlich seit 1891 fertig ist, wird in wenig Jahren als der jüngste
Großstaat, der einzige, der zugleich ein Kontinent ist, vor uns stehen. Er
mag dann noch eine Reihe von Jahren im Kielwasser des großen Schiffes
Altengland fahren, aber seine Lage bestimmt ihm eine eigne Politik, und diese
zu machen, werden sich ganz bestimmt die australischen Staatsmänner beeilen,
die von dem jugendlichen Ehrgeiz aller Kolonialvölker beseelt sind und ihre
Interessen rücksichtslos zur Geltung bringen wollen.

Es ist sehr bezeichnend, daß die aufrichtigsten Anhänger Englands in
Australien, die Konservativen von Neusüdwales, unter der Führung des Mi¬
nisters Dalley den ursprünglich in Viktoria besonders gepflegten Föderations¬
ideen das Programm entgegensetzten: Verbindung der australischen Kolonien
in und durch eine allgemeine Verbindung aller englischen Kolonien mit dem
Mutterlande; wenn diese nicht zu erreichen wäre, Selbständigkeit jeder einzelnen
wie bisher. Um eine solche Vereinigung anzubahnen, sollte eine einzige große
Flotte gebildet werden mit einem Geschwader für jede Kolonie oder Gruppe
von Kolonien, unter englischer Oberleitung u. dergl. Diese Pläne haben immer
mehr Boden verloren. In London selbst wünschten viele Staatsmänner eine
Föderation, die die kolonialen Lasten des Mutterlandes erleichtere; vielleicht
waren darunter Bekehrte aus der Schar derer, die einst die volle Unabhän¬
gigkeit Australiens sür den größte» Vorteil Englands gehalten hatten. Am
unerträglichsten schien der Gedanke, Abgeordneten oder Staatsmännern der
Kolonien Sitze im Parlament einzuräumen. Ihre Generalagenten in London
zu einem Beratungskörper zu vereinigen, schien den Kolonien unpraktisch, denn
diese Agenten sind auf der eiuen Seite vom Kolonialamt abhängig, auf der
andern von den Geldmächten beeinflußt. So blieb der erste und einfachste
Gedanke eines Bundes der australischen Kolonien auch hier der beste, tauchte
unter allen andern Plänen immer wieder auf und gewann immer mehr
Raum.


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[0311] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik der Bahn, die bezeichnet ist durch die Haltepunkte: Besitzung, selbständiges Glied des britischen Reiches, Glied eines größern Ganzen und erst dadurch Bestandteil des Reichs. Während Kanadas Halt am Mutterlande durch die ein Vierteljahr¬ hundert alte Bildung der Dominion ok Xg.ng.6g, thatsächlich nicht erschüttert, son¬ dern eher befestigt wurde, ist Australien selbständiger schon durch Lage und Größe und durch keine angrenzende Macht so nahe bedroht wie Kanada. Als der ehemals einflußreichste Staatsmann Australiens, Henry Parkes, 1881 den eng¬ lische» Münstern empfahl, statt unfähiger Leute als Gouverneure dieser wich¬ tigen Kolonien nur Männer auszusenden, die man in der Heimat für Minister¬ posten reif halte, wurde er verlacht. Seitdem amtirten Loftus und Brasfey in Sydney. Wie lange wird es dauern, und England wird sich in Australien dnrch einen Generalstatthalter mit fürstlichem Rang vertreten lassen, wie in der Dominion von Kanada. Der <üommonvvg.M ok ^.ustrgllg, dessen Ver¬ fassung eigentlich seit 1891 fertig ist, wird in wenig Jahren als der jüngste Großstaat, der einzige, der zugleich ein Kontinent ist, vor uns stehen. Er mag dann noch eine Reihe von Jahren im Kielwasser des großen Schiffes Altengland fahren, aber seine Lage bestimmt ihm eine eigne Politik, und diese zu machen, werden sich ganz bestimmt die australischen Staatsmänner beeilen, die von dem jugendlichen Ehrgeiz aller Kolonialvölker beseelt sind und ihre Interessen rücksichtslos zur Geltung bringen wollen. Es ist sehr bezeichnend, daß die aufrichtigsten Anhänger Englands in Australien, die Konservativen von Neusüdwales, unter der Führung des Mi¬ nisters Dalley den ursprünglich in Viktoria besonders gepflegten Föderations¬ ideen das Programm entgegensetzten: Verbindung der australischen Kolonien in und durch eine allgemeine Verbindung aller englischen Kolonien mit dem Mutterlande; wenn diese nicht zu erreichen wäre, Selbständigkeit jeder einzelnen wie bisher. Um eine solche Vereinigung anzubahnen, sollte eine einzige große Flotte gebildet werden mit einem Geschwader für jede Kolonie oder Gruppe von Kolonien, unter englischer Oberleitung u. dergl. Diese Pläne haben immer mehr Boden verloren. In London selbst wünschten viele Staatsmänner eine Föderation, die die kolonialen Lasten des Mutterlandes erleichtere; vielleicht waren darunter Bekehrte aus der Schar derer, die einst die volle Unabhän¬ gigkeit Australiens sür den größte» Vorteil Englands gehalten hatten. Am unerträglichsten schien der Gedanke, Abgeordneten oder Staatsmännern der Kolonien Sitze im Parlament einzuräumen. Ihre Generalagenten in London zu einem Beratungskörper zu vereinigen, schien den Kolonien unpraktisch, denn diese Agenten sind auf der eiuen Seite vom Kolonialamt abhängig, auf der andern von den Geldmächten beeinflußt. So blieb der erste und einfachste Gedanke eines Bundes der australischen Kolonien auch hier der beste, tauchte unter allen andern Plänen immer wieder auf und gewann immer mehr Raum.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/311>, abgerufen am 24.08.2024.