Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle zeugt; sie wissen, daß all unsre Kulturgewächse, die Getreidesorten wie die Ist es da ein Wunder, daß die Scholle auch auf den Menschen, dieses Und so ist es in der That, die Scholle macht ihren Einfluß rettungslos Also die Angst ist unbegründet, die nächste Ablösung wird binnen kurzer Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle zeugt; sie wissen, daß all unsre Kulturgewächse, die Getreidesorten wie die Ist es da ein Wunder, daß die Scholle auch auf den Menschen, dieses Und so ist es in der That, die Scholle macht ihren Einfluß rettungslos Also die Angst ist unbegründet, die nächste Ablösung wird binnen kurzer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219985"/> <fw type="header" place="top"> Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle</fw><lb/> <p xml:id="ID_1115" prev="#ID_1114"> zeugt; sie wissen, daß all unsre Kulturgewächse, die Getreidesorten wie die<lb/> Kartoffeln, ihren Gehalt an Nährstoffen ganz nach der Scholle abändern, und<lb/> daß der Züchter dem Einfluß der Scholle nur entgegenarbeiten kann, wenn er<lb/> immer wieder neues Blut, neuen Samen zur Weiterzucht benutzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1116"> Ist es da ein Wunder, daß die Scholle auch auf den Menschen, dieses<lb/> wandelbarste aller Geschöpfe, ihren Einfluß ausübt? Namentlich auf den<lb/> deutschen Menschen, der seine VerWandlungsfähigkeit ja auf das schauder¬<lb/> hafteste bewiesen hat, der binnen unglaublich kurzer Zeit zum Polen, zum<lb/> Engländer, zum Franzosen wird — es gehören bei ihm gar nicht einmal Ge¬<lb/> schlechter dazu, es genügt ja manchmal ein einziges Jahr!</p><lb/> <p xml:id="ID_1117"> Und so ist es in der That, die Scholle macht ihren Einfluß rettungslos<lb/> geltend auf alles, was ans der Stadt, aus der Fabrik auf sie verpflanzt<lb/> wird. Der Sohn des fortschrittlichsten Danziger Kaufmanns, ja vielleicht er<lb/> selber wird uationalliberal, wenn er aufs Land kommt und ein Rittergut<lb/> kauft; der Enkel ist bereits streng konservativ, antisemitisch, schwärmt für<lb/> Prügelstrafe, Stöcker, Börsenreform, Bimetallismus und Antrag Kanitz, ist<lb/> mit einem Worte vollberechtigter notleidender Landwirt und Mitglied des<lb/> Bundes mit der von ihm ganz allein gepachteten oder vielmehr ihm angebornen<lb/> „Königstreue bis in die Knochen." Es ist zum Lachen, wenn man sieht,<lb/> welchen entsittlichenden Einfluß die Scholle auf die Enkel der alten Konflikts¬<lb/> kämpen in den allermeisten Fällen hat und gehabt hat. Wers nicht glauben<lb/> will, der greife sich nur einen nach dem andern heraus und prüfe ihn auf<lb/> feine Herkunft, auf seine Abstammung und aus die Quelle seines Besitzes.<lb/> Jedenfalls zeugt das heutige Benehmen der meisten ostelbischeu Großgrund¬<lb/> besitzer nicht von Pietät für Vater und Großvater und von Dankbarkeit für<lb/> das, was die Alten durch Handel und Industrie zusammengebracht haben, um<lb/> eine Scholle für sich und ihre Brut zu erwerben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1118" next="#ID_1119"> Also die Angst ist unbegründet, die nächste Ablösung wird binnen kurzer<lb/> Frist ebenso konservativ lind königstreu sein und dem Baterlande ebenso gute,<lb/> zuverlässige Offiziere stellen wie die Ablösungsmanuschaft, die vor zwanzig oder<lb/> vierzig Jahren angetreten ist; sie wird bald unter dem Einfluß der Scholle<lb/> auf das Gewerbe der Väter und Großväter fluchen lernen, wenn das Gold,<lb/> das „von dem werteschaffenden Stande in sauerm Schweiß der heimatlichen<lb/> Scholle abgerungen wird," verdunstet, um sich an andern Stellen in größern<lb/> Massen niederzuschlagen. Das Schicksal der Einzelnen kann tief ergreifend sein,<lb/> kann uns zum größten Mitleiden veranlassen, aber der Wechsel selbst folgt<lb/> ganz natürlichen Gesetzen, die wohl in ihrer Härte gemildert, in ihren Folgen<lb/> verzögert, aber durch menschliche Weisheit nicht abgewendet werden können.<lb/> Soll der Besitz dauernd in einer Familie erhalten werden, so kann das nur<lb/> dadurch geschehen, daß der Einzelne ans Kosten der andern Familienmitglieder<lb/> bevorzugt wird. Wird das Erbe gleichmäßig geteilt, so beginnt sofort der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0309]
Der Kreislauf des Goldes und der Einfluß der Scholle
zeugt; sie wissen, daß all unsre Kulturgewächse, die Getreidesorten wie die
Kartoffeln, ihren Gehalt an Nährstoffen ganz nach der Scholle abändern, und
daß der Züchter dem Einfluß der Scholle nur entgegenarbeiten kann, wenn er
immer wieder neues Blut, neuen Samen zur Weiterzucht benutzt.
Ist es da ein Wunder, daß die Scholle auch auf den Menschen, dieses
wandelbarste aller Geschöpfe, ihren Einfluß ausübt? Namentlich auf den
deutschen Menschen, der seine VerWandlungsfähigkeit ja auf das schauder¬
hafteste bewiesen hat, der binnen unglaublich kurzer Zeit zum Polen, zum
Engländer, zum Franzosen wird — es gehören bei ihm gar nicht einmal Ge¬
schlechter dazu, es genügt ja manchmal ein einziges Jahr!
Und so ist es in der That, die Scholle macht ihren Einfluß rettungslos
geltend auf alles, was ans der Stadt, aus der Fabrik auf sie verpflanzt
wird. Der Sohn des fortschrittlichsten Danziger Kaufmanns, ja vielleicht er
selber wird uationalliberal, wenn er aufs Land kommt und ein Rittergut
kauft; der Enkel ist bereits streng konservativ, antisemitisch, schwärmt für
Prügelstrafe, Stöcker, Börsenreform, Bimetallismus und Antrag Kanitz, ist
mit einem Worte vollberechtigter notleidender Landwirt und Mitglied des
Bundes mit der von ihm ganz allein gepachteten oder vielmehr ihm angebornen
„Königstreue bis in die Knochen." Es ist zum Lachen, wenn man sieht,
welchen entsittlichenden Einfluß die Scholle auf die Enkel der alten Konflikts¬
kämpen in den allermeisten Fällen hat und gehabt hat. Wers nicht glauben
will, der greife sich nur einen nach dem andern heraus und prüfe ihn auf
feine Herkunft, auf seine Abstammung und aus die Quelle seines Besitzes.
Jedenfalls zeugt das heutige Benehmen der meisten ostelbischeu Großgrund¬
besitzer nicht von Pietät für Vater und Großvater und von Dankbarkeit für
das, was die Alten durch Handel und Industrie zusammengebracht haben, um
eine Scholle für sich und ihre Brut zu erwerben.
Also die Angst ist unbegründet, die nächste Ablösung wird binnen kurzer
Frist ebenso konservativ lind königstreu sein und dem Baterlande ebenso gute,
zuverlässige Offiziere stellen wie die Ablösungsmanuschaft, die vor zwanzig oder
vierzig Jahren angetreten ist; sie wird bald unter dem Einfluß der Scholle
auf das Gewerbe der Väter und Großväter fluchen lernen, wenn das Gold,
das „von dem werteschaffenden Stande in sauerm Schweiß der heimatlichen
Scholle abgerungen wird," verdunstet, um sich an andern Stellen in größern
Massen niederzuschlagen. Das Schicksal der Einzelnen kann tief ergreifend sein,
kann uns zum größten Mitleiden veranlassen, aber der Wechsel selbst folgt
ganz natürlichen Gesetzen, die wohl in ihrer Härte gemildert, in ihren Folgen
verzögert, aber durch menschliche Weisheit nicht abgewendet werden können.
Soll der Besitz dauernd in einer Familie erhalten werden, so kann das nur
dadurch geschehen, daß der Einzelne ans Kosten der andern Familienmitglieder
bevorzugt wird. Wird das Erbe gleichmäßig geteilt, so beginnt sofort der
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