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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der Areislauf des Goldes nud der Einfluß der Scholle

übergegangen. Seit fünfzig Jahren haben den zugänglichen Quellen much
überhaupt 81 Güter den Besitzer gewechselt, davon 42 einmal, 28 zweimal,
9 dreimal und 1 fünfmal! Sehr merkwürdig und lehrreich ist es, daß gerade
in guten Zeiten, wenn die Landwirtschaft gedeiht, die meiste Lust bei den alten
ehrenfester Grundbesitzern zum Verkauf des Erbes ihrer Väter erwacht. In
schlechten Zeiten, wie jetzt, hört man viel weniger von Verkäufen; der Güter¬
handel wird erst wieder in Flor kommen, wenn die Getreidepreise steigen.
Fragen wir nun darnach, aus welchen Erwerbskreisen die neuen Besitzer
stammen, aus welchen Quellen die Geldmittel zu dem Kauf geflossen sind,
so zeigt sich uns eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die von Ahnen
blutwenig aufzuweisen hat. Der heute so viel verlästerte Kaufmannsstand
hat im neunzehnten Jahrhundert das meiste Geld hergegeben, um Grundbesitz
zu erwerben und zu erhalten. In unserm Falle finden wir allein 48 Kauf¬
leute, Bankiers, Fabrikanten, und unter ihnen 18 Juden! Gevatter Schneider
und Handschuhmacher, Hotelbesitzer, Schnapsfabrikanten, Pferdehändler, Armee¬
lieferanten, Rechtsanwälte ein ganzer Schwarm, Viehhändler, Fleischer, Theater-
direktorcn und theatralische Berühmtheiten, Weinhändler, Bauunternehmer,
Düngerhändler, Düngerfabrikauten, christliche und jüdische Halsabschneider --
kurz alles, was sich der Mensch nur denken kann, ist als Käufer für den großen
Grundbesitz aufgetreten für sich oder für den Sohn oder für) den Tochter-
mann. Aber welcher Stand fehlt bei diesem großen Ausverkauf der alten feu¬
dalen Rittersitze, der nun schon über hundert Jahre dauert? Nur Professoren
und Gerichts- oder Regierungsbeamte suchen wir vergebens unter den Bietern.
Der Kommerzienrat ist unbestritten der bevorzugteste Erbe des alten befestigten
Grundbesitzes oder wenigstens das Medium, durch das das heutige Geschlecht
zum Grundbesitz gelangt ist, und doch sind nicht viel über hundert Jahre ver¬
strichen, seit der alte Fritz seine Randbemerkung machte zu dem Gesuch des
Stettiner Kommerz- und Admiralitätsrats um gnädigste Permission zum Erwerb
eines Ritterguts für 40000 Thaler: "40000 Thaler im nLAotio bringen 8
proczsnt, in gühter nur 4, also verstehet er sein Handwerk nicht, ein Schuster
muß Schuster seindt, ein Kaufmann handeln und keine gühter haben." Was der
Stettiner Kommerzienrat darauf gethan hat, ist nicht bekannt. Er fand vermutlich
auch damals bald den für die Erwerbung eines Ritterguts notwendigen adlichen
Schwiegersohn, wenn er im Besitz einer Tochter war. Aus unsern Unter¬
suchungen mögen hier ein paar Beispiele folgen, die man leicht vermehren kann,
und die ihresgleichen in allen begehrten! Regierungsbezirken haben.

^. Hcrrschaftsbesitzer, bekannter alter protestantischer Adel, sehr feudal,
sehr fromm, vermählt mit einer ebenbürtigen Fron, die Kinder verheiratet mit
anerkannt hohem preußische" Adel. Aber die Mutter des Herrn ^ hat mit
ihrem sehr mosaischen Gelde die Herrschaft einst erhalten müssen.

1Z. Säule des Bundes der Landwirte. Nur für die Allgemeinheit not-


Der Areislauf des Goldes nud der Einfluß der Scholle

übergegangen. Seit fünfzig Jahren haben den zugänglichen Quellen much
überhaupt 81 Güter den Besitzer gewechselt, davon 42 einmal, 28 zweimal,
9 dreimal und 1 fünfmal! Sehr merkwürdig und lehrreich ist es, daß gerade
in guten Zeiten, wenn die Landwirtschaft gedeiht, die meiste Lust bei den alten
ehrenfester Grundbesitzern zum Verkauf des Erbes ihrer Väter erwacht. In
schlechten Zeiten, wie jetzt, hört man viel weniger von Verkäufen; der Güter¬
handel wird erst wieder in Flor kommen, wenn die Getreidepreise steigen.
Fragen wir nun darnach, aus welchen Erwerbskreisen die neuen Besitzer
stammen, aus welchen Quellen die Geldmittel zu dem Kauf geflossen sind,
so zeigt sich uns eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die von Ahnen
blutwenig aufzuweisen hat. Der heute so viel verlästerte Kaufmannsstand
hat im neunzehnten Jahrhundert das meiste Geld hergegeben, um Grundbesitz
zu erwerben und zu erhalten. In unserm Falle finden wir allein 48 Kauf¬
leute, Bankiers, Fabrikanten, und unter ihnen 18 Juden! Gevatter Schneider
und Handschuhmacher, Hotelbesitzer, Schnapsfabrikanten, Pferdehändler, Armee¬
lieferanten, Rechtsanwälte ein ganzer Schwarm, Viehhändler, Fleischer, Theater-
direktorcn und theatralische Berühmtheiten, Weinhändler, Bauunternehmer,
Düngerhändler, Düngerfabrikauten, christliche und jüdische Halsabschneider —
kurz alles, was sich der Mensch nur denken kann, ist als Käufer für den großen
Grundbesitz aufgetreten für sich oder für den Sohn oder für) den Tochter-
mann. Aber welcher Stand fehlt bei diesem großen Ausverkauf der alten feu¬
dalen Rittersitze, der nun schon über hundert Jahre dauert? Nur Professoren
und Gerichts- oder Regierungsbeamte suchen wir vergebens unter den Bietern.
Der Kommerzienrat ist unbestritten der bevorzugteste Erbe des alten befestigten
Grundbesitzes oder wenigstens das Medium, durch das das heutige Geschlecht
zum Grundbesitz gelangt ist, und doch sind nicht viel über hundert Jahre ver¬
strichen, seit der alte Fritz seine Randbemerkung machte zu dem Gesuch des
Stettiner Kommerz- und Admiralitätsrats um gnädigste Permission zum Erwerb
eines Ritterguts für 40000 Thaler: „40000 Thaler im nLAotio bringen 8
proczsnt, in gühter nur 4, also verstehet er sein Handwerk nicht, ein Schuster
muß Schuster seindt, ein Kaufmann handeln und keine gühter haben." Was der
Stettiner Kommerzienrat darauf gethan hat, ist nicht bekannt. Er fand vermutlich
auch damals bald den für die Erwerbung eines Ritterguts notwendigen adlichen
Schwiegersohn, wenn er im Besitz einer Tochter war. Aus unsern Unter¬
suchungen mögen hier ein paar Beispiele folgen, die man leicht vermehren kann,
und die ihresgleichen in allen begehrten! Regierungsbezirken haben.

^. Hcrrschaftsbesitzer, bekannter alter protestantischer Adel, sehr feudal,
sehr fromm, vermählt mit einer ebenbürtigen Fron, die Kinder verheiratet mit
anerkannt hohem preußische» Adel. Aber die Mutter des Herrn ^ hat mit
ihrem sehr mosaischen Gelde die Herrschaft einst erhalten müssen.

1Z. Säule des Bundes der Landwirte. Nur für die Allgemeinheit not-


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[0307] Der Areislauf des Goldes nud der Einfluß der Scholle übergegangen. Seit fünfzig Jahren haben den zugänglichen Quellen much überhaupt 81 Güter den Besitzer gewechselt, davon 42 einmal, 28 zweimal, 9 dreimal und 1 fünfmal! Sehr merkwürdig und lehrreich ist es, daß gerade in guten Zeiten, wenn die Landwirtschaft gedeiht, die meiste Lust bei den alten ehrenfester Grundbesitzern zum Verkauf des Erbes ihrer Väter erwacht. In schlechten Zeiten, wie jetzt, hört man viel weniger von Verkäufen; der Güter¬ handel wird erst wieder in Flor kommen, wenn die Getreidepreise steigen. Fragen wir nun darnach, aus welchen Erwerbskreisen die neuen Besitzer stammen, aus welchen Quellen die Geldmittel zu dem Kauf geflossen sind, so zeigt sich uns eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die von Ahnen blutwenig aufzuweisen hat. Der heute so viel verlästerte Kaufmannsstand hat im neunzehnten Jahrhundert das meiste Geld hergegeben, um Grundbesitz zu erwerben und zu erhalten. In unserm Falle finden wir allein 48 Kauf¬ leute, Bankiers, Fabrikanten, und unter ihnen 18 Juden! Gevatter Schneider und Handschuhmacher, Hotelbesitzer, Schnapsfabrikanten, Pferdehändler, Armee¬ lieferanten, Rechtsanwälte ein ganzer Schwarm, Viehhändler, Fleischer, Theater- direktorcn und theatralische Berühmtheiten, Weinhändler, Bauunternehmer, Düngerhändler, Düngerfabrikauten, christliche und jüdische Halsabschneider — kurz alles, was sich der Mensch nur denken kann, ist als Käufer für den großen Grundbesitz aufgetreten für sich oder für den Sohn oder für) den Tochter- mann. Aber welcher Stand fehlt bei diesem großen Ausverkauf der alten feu¬ dalen Rittersitze, der nun schon über hundert Jahre dauert? Nur Professoren und Gerichts- oder Regierungsbeamte suchen wir vergebens unter den Bietern. Der Kommerzienrat ist unbestritten der bevorzugteste Erbe des alten befestigten Grundbesitzes oder wenigstens das Medium, durch das das heutige Geschlecht zum Grundbesitz gelangt ist, und doch sind nicht viel über hundert Jahre ver¬ strichen, seit der alte Fritz seine Randbemerkung machte zu dem Gesuch des Stettiner Kommerz- und Admiralitätsrats um gnädigste Permission zum Erwerb eines Ritterguts für 40000 Thaler: „40000 Thaler im nLAotio bringen 8 proczsnt, in gühter nur 4, also verstehet er sein Handwerk nicht, ein Schuster muß Schuster seindt, ein Kaufmann handeln und keine gühter haben." Was der Stettiner Kommerzienrat darauf gethan hat, ist nicht bekannt. Er fand vermutlich auch damals bald den für die Erwerbung eines Ritterguts notwendigen adlichen Schwiegersohn, wenn er im Besitz einer Tochter war. Aus unsern Unter¬ suchungen mögen hier ein paar Beispiele folgen, die man leicht vermehren kann, und die ihresgleichen in allen begehrten! Regierungsbezirken haben. ^. Hcrrschaftsbesitzer, bekannter alter protestantischer Adel, sehr feudal, sehr fromm, vermählt mit einer ebenbürtigen Fron, die Kinder verheiratet mit anerkannt hohem preußische» Adel. Aber die Mutter des Herrn ^ hat mit ihrem sehr mosaischen Gelde die Herrschaft einst erhalten müssen. 1Z. Säule des Bundes der Landwirte. Nur für die Allgemeinheit not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/307>, abgerufen am 24.08.2024.