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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Ver hohe Adel in Preußen

Ausschüssen höherer und niederer Ordnung ist der hohe Adel spärlich vertreten.
In größerer Anzahl sind seine Mitglieder in einige Provinzialversamm-
lungen gewählt, doch entspricht diese Zahl nirgends der Bedeutung des Standes¬
herrlichen Grundbesitzes und der frühern Stellung der Standesherren auf
den Provinziallanddtagen. Mit den frühern Privilegien der Standesherren im
Kreise und in der Provinz haben freilich die neuern Kreis- und Provinzial-
ordnungen aufgeräumt; ihre Viril- und Kollektivstimmen sind weggefallen, eine
Vertretung durch Bevollmächtigte, wie sie früher den Mediatisirten und den
erstern preußischen Standesherren in den Versammlungen von Rechts wegen
zustand, giebt es nicht mehr, und nur die vormals Reichsunmittelbaren haben
noch die Befugnis behalten, das aktive Wahlrecht durch Bevollmächtigte aus¬
zuüben. Vielleicht ist diese Veränderung ihrer Rechtslage der Grund, daß sich
die hohen Herren in der Mehrzahl nicht bewogen finden, bei den Geschäften
der Provinzial- und Kreisverbünde thätiger als bisher mitzuarbeiten.

Fragt man endlich, wie sich der hohe Adel zu solchen Angelegenheiten
stellt, die außerhalb des Rahmens einer staatlichen Organisation patriotische
oder Gesellschaftszwecke verfolgen und deren Förderung auf die freie Thätigkeit
von Einzelnen oder von Vereinigungen angewiesen ist, gemeinnützigen Be¬
strebungen, freiwilliger Krankenpflege und andrer Leistungen der varitas, innerer
und äußerer Kolonisation, sozialpolitischen Reformen u. f. w., so findet man
allerdings hie und da feine Angehörigen als Teilnehmer und Förderer von
dergleichen Angelegenheiten, häufiger aber als "repräsentirende" Leiter, selten
als werkthätige Mitarbeiter. Auf sozial- und agrarpolitischem Gebiete ins¬
besondre nimmt die hohe Aristokratie in der großen Mehrzahl ihrer Mitglieder
keine den modernen Reformbestrebungen günstige Stellung ein. Sie betrachtet
z. B. die Landarbeiterfrage wie die meisten Großgrundbesitzer vom Standpunkte
des Unternehmers, ist für polizeiliche Repressivmaßregeln gegen die Binnen¬
wanderungen und für polizeiliche Erschwerung der Freizügigkeit und zeigt sich
selbstverständlich den Forderungen, die aus volkswirtschaftlichen Gründen die
Beseitigung oder Beschränkung der großen Fideikommisse erstreben, nicht geneigt.
Andrerseits muß man anerkennen, daß es der hohe Adel bisher verschmäht hat,
im Sinne des wirtschaftlichen Beharrens nach Art vieler Großgrundbesitzer,
Großkapitalisten und Großindustriellen agitatorisch zu kämpfen. Man kann
überhaupt nicht sagen, daß sich in Preußen der hohe Adel in rückschrittlicher
Agitation hervorthue, wie das in andern Ländern zu bemerken ist; in wüsten
und lächerlichen Tiraden gegen sozialreformatorische Ideen und Streiter, die
man wohl von großindustrieller Seite oder von ehrlichen Landjunkern zuweilen
an öffentlicher Stelle zu hören bekommt, pflegt sich die vornehme Aristokratie
nicht zu ergehen.

Ob es für die politische Entwicklung des Staats ersprießlich sei und ob
es überhaupt im Interesse des Landes liege, wenn eine staatsrechtlich privi-


Ver hohe Adel in Preußen

Ausschüssen höherer und niederer Ordnung ist der hohe Adel spärlich vertreten.
In größerer Anzahl sind seine Mitglieder in einige Provinzialversamm-
lungen gewählt, doch entspricht diese Zahl nirgends der Bedeutung des Standes¬
herrlichen Grundbesitzes und der frühern Stellung der Standesherren auf
den Provinziallanddtagen. Mit den frühern Privilegien der Standesherren im
Kreise und in der Provinz haben freilich die neuern Kreis- und Provinzial-
ordnungen aufgeräumt; ihre Viril- und Kollektivstimmen sind weggefallen, eine
Vertretung durch Bevollmächtigte, wie sie früher den Mediatisirten und den
erstern preußischen Standesherren in den Versammlungen von Rechts wegen
zustand, giebt es nicht mehr, und nur die vormals Reichsunmittelbaren haben
noch die Befugnis behalten, das aktive Wahlrecht durch Bevollmächtigte aus¬
zuüben. Vielleicht ist diese Veränderung ihrer Rechtslage der Grund, daß sich
die hohen Herren in der Mehrzahl nicht bewogen finden, bei den Geschäften
der Provinzial- und Kreisverbünde thätiger als bisher mitzuarbeiten.

Fragt man endlich, wie sich der hohe Adel zu solchen Angelegenheiten
stellt, die außerhalb des Rahmens einer staatlichen Organisation patriotische
oder Gesellschaftszwecke verfolgen und deren Förderung auf die freie Thätigkeit
von Einzelnen oder von Vereinigungen angewiesen ist, gemeinnützigen Be¬
strebungen, freiwilliger Krankenpflege und andrer Leistungen der varitas, innerer
und äußerer Kolonisation, sozialpolitischen Reformen u. f. w., so findet man
allerdings hie und da feine Angehörigen als Teilnehmer und Förderer von
dergleichen Angelegenheiten, häufiger aber als „repräsentirende" Leiter, selten
als werkthätige Mitarbeiter. Auf sozial- und agrarpolitischem Gebiete ins¬
besondre nimmt die hohe Aristokratie in der großen Mehrzahl ihrer Mitglieder
keine den modernen Reformbestrebungen günstige Stellung ein. Sie betrachtet
z. B. die Landarbeiterfrage wie die meisten Großgrundbesitzer vom Standpunkte
des Unternehmers, ist für polizeiliche Repressivmaßregeln gegen die Binnen¬
wanderungen und für polizeiliche Erschwerung der Freizügigkeit und zeigt sich
selbstverständlich den Forderungen, die aus volkswirtschaftlichen Gründen die
Beseitigung oder Beschränkung der großen Fideikommisse erstreben, nicht geneigt.
Andrerseits muß man anerkennen, daß es der hohe Adel bisher verschmäht hat,
im Sinne des wirtschaftlichen Beharrens nach Art vieler Großgrundbesitzer,
Großkapitalisten und Großindustriellen agitatorisch zu kämpfen. Man kann
überhaupt nicht sagen, daß sich in Preußen der hohe Adel in rückschrittlicher
Agitation hervorthue, wie das in andern Ländern zu bemerken ist; in wüsten
und lächerlichen Tiraden gegen sozialreformatorische Ideen und Streiter, die
man wohl von großindustrieller Seite oder von ehrlichen Landjunkern zuweilen
an öffentlicher Stelle zu hören bekommt, pflegt sich die vornehme Aristokratie
nicht zu ergehen.

Ob es für die politische Entwicklung des Staats ersprießlich sei und ob
es überhaupt im Interesse des Landes liege, wenn eine staatsrechtlich privi-


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[0030] Ver hohe Adel in Preußen Ausschüssen höherer und niederer Ordnung ist der hohe Adel spärlich vertreten. In größerer Anzahl sind seine Mitglieder in einige Provinzialversamm- lungen gewählt, doch entspricht diese Zahl nirgends der Bedeutung des Standes¬ herrlichen Grundbesitzes und der frühern Stellung der Standesherren auf den Provinziallanddtagen. Mit den frühern Privilegien der Standesherren im Kreise und in der Provinz haben freilich die neuern Kreis- und Provinzial- ordnungen aufgeräumt; ihre Viril- und Kollektivstimmen sind weggefallen, eine Vertretung durch Bevollmächtigte, wie sie früher den Mediatisirten und den erstern preußischen Standesherren in den Versammlungen von Rechts wegen zustand, giebt es nicht mehr, und nur die vormals Reichsunmittelbaren haben noch die Befugnis behalten, das aktive Wahlrecht durch Bevollmächtigte aus¬ zuüben. Vielleicht ist diese Veränderung ihrer Rechtslage der Grund, daß sich die hohen Herren in der Mehrzahl nicht bewogen finden, bei den Geschäften der Provinzial- und Kreisverbünde thätiger als bisher mitzuarbeiten. Fragt man endlich, wie sich der hohe Adel zu solchen Angelegenheiten stellt, die außerhalb des Rahmens einer staatlichen Organisation patriotische oder Gesellschaftszwecke verfolgen und deren Förderung auf die freie Thätigkeit von Einzelnen oder von Vereinigungen angewiesen ist, gemeinnützigen Be¬ strebungen, freiwilliger Krankenpflege und andrer Leistungen der varitas, innerer und äußerer Kolonisation, sozialpolitischen Reformen u. f. w., so findet man allerdings hie und da feine Angehörigen als Teilnehmer und Förderer von dergleichen Angelegenheiten, häufiger aber als „repräsentirende" Leiter, selten als werkthätige Mitarbeiter. Auf sozial- und agrarpolitischem Gebiete ins¬ besondre nimmt die hohe Aristokratie in der großen Mehrzahl ihrer Mitglieder keine den modernen Reformbestrebungen günstige Stellung ein. Sie betrachtet z. B. die Landarbeiterfrage wie die meisten Großgrundbesitzer vom Standpunkte des Unternehmers, ist für polizeiliche Repressivmaßregeln gegen die Binnen¬ wanderungen und für polizeiliche Erschwerung der Freizügigkeit und zeigt sich selbstverständlich den Forderungen, die aus volkswirtschaftlichen Gründen die Beseitigung oder Beschränkung der großen Fideikommisse erstreben, nicht geneigt. Andrerseits muß man anerkennen, daß es der hohe Adel bisher verschmäht hat, im Sinne des wirtschaftlichen Beharrens nach Art vieler Großgrundbesitzer, Großkapitalisten und Großindustriellen agitatorisch zu kämpfen. Man kann überhaupt nicht sagen, daß sich in Preußen der hohe Adel in rückschrittlicher Agitation hervorthue, wie das in andern Ländern zu bemerken ist; in wüsten und lächerlichen Tiraden gegen sozialreformatorische Ideen und Streiter, die man wohl von großindustrieller Seite oder von ehrlichen Landjunkern zuweilen an öffentlicher Stelle zu hören bekommt, pflegt sich die vornehme Aristokratie nicht zu ergehen. Ob es für die politische Entwicklung des Staats ersprießlich sei und ob es überhaupt im Interesse des Landes liege, wenn eine staatsrechtlich privi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/30>, abgerufen am 22.12.2024.