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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Historikertage

le Frankfurter Zusammenkunft der deutschen Historiker ist vor¬
über, und aus den Zeitungen konnte man sehen, wer dabei ge¬
wesen und was geschehen ist. Daß solche Berichte, zumal in
unserm Jahrhundert der Fixigkeit, trotz ziemlicher Vollständigkeit
und ohne daß sie bestimmt zu bezeichnende Unrichtigkeiten zu
haben brauchen, doch ein unzulängliches und innerlich unwahres Bild geben
können, weiß nicht bloß der an Quellenkritik gewöhnte Historiker. Einige Er¬
gänzungen und Erörterungen, die sich an den Gesamteindruck jener Zusammen¬
kunft knüpfen, werden daher für den weiten Kreis der Fachleute und Ge¬
schichtsfreunde nicht ohne Interesse und, wie wir hoffen, auch nicht ganz
ohne Nutzen sein.

Um zuvor noch eins aus der Frankfurter Berichterstattung zu erwähnen:
auch die Umsturzvorlage wurde, und zwar gleich als erstes, in der Versamm¬
lung aufs Tapet gebracht. Nach demi Bericht der Frankfurter Zeitung, der
auch andre Zeitungen beeinflußt hat, mußte es nun so scheinen, als wären
die sechs Gegner der Umsturzvorlage von einer gewaltigen Mehrheit von
Freunden dieses Knebelgesctzes niedergcstimmt worden. Aber davon und vou
solchen Freunden konnte gar keine Rede sein; die meisten Herren, die gegen
die sechs stimmten, hatten längst ihre Namen unter die bekannten Petitionen
gesetzt. Die wahre Sachlage war die: man empfand es erstens überhaupt als
unangebracht, aus einer fachwissenschaftlichen Vereinigung heraus eine tages¬
politische Demonstration hervorgehen zu lassen. Aber noch weit unangenehmer
berührte die Art, wie das gemacht werden sollte. Den Antrag brachte ein
Gelehrter ans -- Zürich ein, der übrigens weniger durch schweizerische als
durch anderweitige Abkunft verhindert war, den Eindruck eines berufnen Ur¬
walds unsers Volkes zu machen, er war ferner unvorsichtig genng, zunächst
gerade lauter Glaubensgenossen zur Unterstützung heranzuziehen, kurz, der
Historikertag schien mit einer richtigen Mache von sehr bekannter Art beginnen
zu sollen, für die zum Überfluß noch der Verfasser einer inzwischen vergessenen
Schandschrift Caligula eintrat, dem aber nicht vergessen sein konnte, daß er,
mutvoll zurückweichend, das Pamphlet nachträglich für eine rein historische
Studie hatte ausgeben wollen. Aus allen diesen Ursachen erfolgte die grünt-




Die Zukunft der Historikertage

le Frankfurter Zusammenkunft der deutschen Historiker ist vor¬
über, und aus den Zeitungen konnte man sehen, wer dabei ge¬
wesen und was geschehen ist. Daß solche Berichte, zumal in
unserm Jahrhundert der Fixigkeit, trotz ziemlicher Vollständigkeit
und ohne daß sie bestimmt zu bezeichnende Unrichtigkeiten zu
haben brauchen, doch ein unzulängliches und innerlich unwahres Bild geben
können, weiß nicht bloß der an Quellenkritik gewöhnte Historiker. Einige Er¬
gänzungen und Erörterungen, die sich an den Gesamteindruck jener Zusammen¬
kunft knüpfen, werden daher für den weiten Kreis der Fachleute und Ge¬
schichtsfreunde nicht ohne Interesse und, wie wir hoffen, auch nicht ganz
ohne Nutzen sein.

Um zuvor noch eins aus der Frankfurter Berichterstattung zu erwähnen:
auch die Umsturzvorlage wurde, und zwar gleich als erstes, in der Versamm¬
lung aufs Tapet gebracht. Nach demi Bericht der Frankfurter Zeitung, der
auch andre Zeitungen beeinflußt hat, mußte es nun so scheinen, als wären
die sechs Gegner der Umsturzvorlage von einer gewaltigen Mehrheit von
Freunden dieses Knebelgesctzes niedergcstimmt worden. Aber davon und vou
solchen Freunden konnte gar keine Rede sein; die meisten Herren, die gegen
die sechs stimmten, hatten längst ihre Namen unter die bekannten Petitionen
gesetzt. Die wahre Sachlage war die: man empfand es erstens überhaupt als
unangebracht, aus einer fachwissenschaftlichen Vereinigung heraus eine tages¬
politische Demonstration hervorgehen zu lassen. Aber noch weit unangenehmer
berührte die Art, wie das gemacht werden sollte. Den Antrag brachte ein
Gelehrter ans — Zürich ein, der übrigens weniger durch schweizerische als
durch anderweitige Abkunft verhindert war, den Eindruck eines berufnen Ur¬
walds unsers Volkes zu machen, er war ferner unvorsichtig genng, zunächst
gerade lauter Glaubensgenossen zur Unterstützung heranzuziehen, kurz, der
Historikertag schien mit einer richtigen Mache von sehr bekannter Art beginnen
zu sollen, für die zum Überfluß noch der Verfasser einer inzwischen vergessenen
Schandschrift Caligula eintrat, dem aber nicht vergessen sein konnte, daß er,
mutvoll zurückweichend, das Pamphlet nachträglich für eine rein historische
Studie hatte ausgeben wollen. Aus allen diesen Ursachen erfolgte die grünt-


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[0280] [Abbildung] Die Zukunft der Historikertage le Frankfurter Zusammenkunft der deutschen Historiker ist vor¬ über, und aus den Zeitungen konnte man sehen, wer dabei ge¬ wesen und was geschehen ist. Daß solche Berichte, zumal in unserm Jahrhundert der Fixigkeit, trotz ziemlicher Vollständigkeit und ohne daß sie bestimmt zu bezeichnende Unrichtigkeiten zu haben brauchen, doch ein unzulängliches und innerlich unwahres Bild geben können, weiß nicht bloß der an Quellenkritik gewöhnte Historiker. Einige Er¬ gänzungen und Erörterungen, die sich an den Gesamteindruck jener Zusammen¬ kunft knüpfen, werden daher für den weiten Kreis der Fachleute und Ge¬ schichtsfreunde nicht ohne Interesse und, wie wir hoffen, auch nicht ganz ohne Nutzen sein. Um zuvor noch eins aus der Frankfurter Berichterstattung zu erwähnen: auch die Umsturzvorlage wurde, und zwar gleich als erstes, in der Versamm¬ lung aufs Tapet gebracht. Nach demi Bericht der Frankfurter Zeitung, der auch andre Zeitungen beeinflußt hat, mußte es nun so scheinen, als wären die sechs Gegner der Umsturzvorlage von einer gewaltigen Mehrheit von Freunden dieses Knebelgesctzes niedergcstimmt worden. Aber davon und vou solchen Freunden konnte gar keine Rede sein; die meisten Herren, die gegen die sechs stimmten, hatten längst ihre Namen unter die bekannten Petitionen gesetzt. Die wahre Sachlage war die: man empfand es erstens überhaupt als unangebracht, aus einer fachwissenschaftlichen Vereinigung heraus eine tages¬ politische Demonstration hervorgehen zu lassen. Aber noch weit unangenehmer berührte die Art, wie das gemacht werden sollte. Den Antrag brachte ein Gelehrter ans — Zürich ein, der übrigens weniger durch schweizerische als durch anderweitige Abkunft verhindert war, den Eindruck eines berufnen Ur¬ walds unsers Volkes zu machen, er war ferner unvorsichtig genng, zunächst gerade lauter Glaubensgenossen zur Unterstützung heranzuziehen, kurz, der Historikertag schien mit einer richtigen Mache von sehr bekannter Art beginnen zu sollen, für die zum Überfluß noch der Verfasser einer inzwischen vergessenen Schandschrift Caligula eintrat, dem aber nicht vergessen sein konnte, daß er, mutvoll zurückweichend, das Pamphlet nachträglich für eine rein historische Studie hatte ausgeben wollen. Aus allen diesen Ursachen erfolgte die grünt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/280>, abgerufen am 21.12.2024.