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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

Osterreich und in Süddeutschland eine ganze Reihe von diesen Geschlechtern mit
großen Gütern angesessen, ihre Häupter und Mitglieder stehen dort im Staats¬
dienste oder haben erbliche Hofämter inne. Unter diesen und andern, die
im Auslande wohnen, giebt es wiederum einige, die noch nicht einmal das
preußische Staatsbürgerrecht erworben haben, und deren Häupter daher den
bestehenden Vorschriften gemäß ihren Herrenhaussitz nicht einnehmen dürfen.
Wieder andre haben zwar ihre" Wohnsitz in Preußen, nehmen aber that¬
sächlich ihren steten Aufenthalt im Auslande, wo sie als Privatleute leben
und sich weder um den heimatlichen Staat, noch um das Reich sonderlich
kümmern. Auffallend wenig tritt besonders die Mehrheit der vormals Neichs-
unmittelbaren in der Öffentlichkeit hervor; freilich trifft bei einer Anzahl von
ihnen gerade das zu, was über den wirtschaftlichen Mittelpunkt außerhalb
Preußens gesagt ist. In einigen dieser Geschlechter ist die dem preußischen
Staate abgünstige Familienüberlieferung anscheinend noch nicht erloschen, sie
neigen nach einem der süddeutschen Staaten oder auch nach Österreich,
wo sie in den höchsten Kreisen nahe Verbindungen unterhalten. Wenn sie
auch nicht mehr mit dem preußischen Hofe frondiren, so zeigen sie doch
nur geringes Interesse für die politischen Verhältnisse des Landes. In den
meisten mediatisirten Familien ist die Erinnerung an die eigne Landeshoheit
offenbar noch zu lebendig, um zu gestatten, daß ihre Angehörigen in dem
öffentlichen Leben des Staates, dem sie nunmehr unterworfen sind, eine be¬
sondre Thätigkeit entfalten.

Auch der hohe Beruf des Gesetzgebers scheint den heutigen preußischen
hohen Adel nicht eben zu locken. Das Herrenhaus ist der Ort, wo er dem
geltenden Staatsrechte zufolge an erster Stelle seinen Platz einnehmen müßte.
Freilich hat man ihm keine maßgebende Stellung darin angewiesen. Die Ge¬
samtheit der erblichen Pairs macht noch nicht ein Drittel aller Mitglieder aus,
und bei der wunderlichen Zusammensetzung des Herrenhauskörpers sind schon
die Vertreter des sogenannten alten und befestigten Grundbesitzes mit ihren
Anhängen und den Grafen- und Familienverbänden den Vertretern des hohen
Adels überlegen. Die verschiedenartige Besetzung dieser ersten Kammer und ins¬
besondre die ganz ungerechtfertigte Bevorzugung des "alten und befestigten,"
aber vielfach verschuldeten Grundbesitzes, der allein neunzig Mitglieder stellt,
mag eine der Ursachen sein, daß sich die Häupter vornehmer Hänser von der
Teilnahme an den Verhandlungen der Körperschaft fernhalten. Viele von den
Standesherren erscheinen geflissentlich niemals, andre höchst selten, und nur
wenige pflegen, außer in Fällen, wo sie durch besondre örtliche oder land-
schaftliche Interessen dazu genötigt werden, das Wort zu ergreifen. Nament¬
lich die Mediatisirten glänzen in ihrer Mehrheit durch Abwesenheit, und
eine ganze Reihe hat niemals in die Debatten eingegriffen.

Die geringe Vertretung der Mitglieder des hohen Adels im Reichstage


Der hohe Adel in Preußen

Osterreich und in Süddeutschland eine ganze Reihe von diesen Geschlechtern mit
großen Gütern angesessen, ihre Häupter und Mitglieder stehen dort im Staats¬
dienste oder haben erbliche Hofämter inne. Unter diesen und andern, die
im Auslande wohnen, giebt es wiederum einige, die noch nicht einmal das
preußische Staatsbürgerrecht erworben haben, und deren Häupter daher den
bestehenden Vorschriften gemäß ihren Herrenhaussitz nicht einnehmen dürfen.
Wieder andre haben zwar ihre» Wohnsitz in Preußen, nehmen aber that¬
sächlich ihren steten Aufenthalt im Auslande, wo sie als Privatleute leben
und sich weder um den heimatlichen Staat, noch um das Reich sonderlich
kümmern. Auffallend wenig tritt besonders die Mehrheit der vormals Neichs-
unmittelbaren in der Öffentlichkeit hervor; freilich trifft bei einer Anzahl von
ihnen gerade das zu, was über den wirtschaftlichen Mittelpunkt außerhalb
Preußens gesagt ist. In einigen dieser Geschlechter ist die dem preußischen
Staate abgünstige Familienüberlieferung anscheinend noch nicht erloschen, sie
neigen nach einem der süddeutschen Staaten oder auch nach Österreich,
wo sie in den höchsten Kreisen nahe Verbindungen unterhalten. Wenn sie
auch nicht mehr mit dem preußischen Hofe frondiren, so zeigen sie doch
nur geringes Interesse für die politischen Verhältnisse des Landes. In den
meisten mediatisirten Familien ist die Erinnerung an die eigne Landeshoheit
offenbar noch zu lebendig, um zu gestatten, daß ihre Angehörigen in dem
öffentlichen Leben des Staates, dem sie nunmehr unterworfen sind, eine be¬
sondre Thätigkeit entfalten.

Auch der hohe Beruf des Gesetzgebers scheint den heutigen preußischen
hohen Adel nicht eben zu locken. Das Herrenhaus ist der Ort, wo er dem
geltenden Staatsrechte zufolge an erster Stelle seinen Platz einnehmen müßte.
Freilich hat man ihm keine maßgebende Stellung darin angewiesen. Die Ge¬
samtheit der erblichen Pairs macht noch nicht ein Drittel aller Mitglieder aus,
und bei der wunderlichen Zusammensetzung des Herrenhauskörpers sind schon
die Vertreter des sogenannten alten und befestigten Grundbesitzes mit ihren
Anhängen und den Grafen- und Familienverbänden den Vertretern des hohen
Adels überlegen. Die verschiedenartige Besetzung dieser ersten Kammer und ins¬
besondre die ganz ungerechtfertigte Bevorzugung des „alten und befestigten,"
aber vielfach verschuldeten Grundbesitzes, der allein neunzig Mitglieder stellt,
mag eine der Ursachen sein, daß sich die Häupter vornehmer Hänser von der
Teilnahme an den Verhandlungen der Körperschaft fernhalten. Viele von den
Standesherren erscheinen geflissentlich niemals, andre höchst selten, und nur
wenige pflegen, außer in Fällen, wo sie durch besondre örtliche oder land-
schaftliche Interessen dazu genötigt werden, das Wort zu ergreifen. Nament¬
lich die Mediatisirten glänzen in ihrer Mehrheit durch Abwesenheit, und
eine ganze Reihe hat niemals in die Debatten eingegriffen.

Die geringe Vertretung der Mitglieder des hohen Adels im Reichstage


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[0028] Der hohe Adel in Preußen Osterreich und in Süddeutschland eine ganze Reihe von diesen Geschlechtern mit großen Gütern angesessen, ihre Häupter und Mitglieder stehen dort im Staats¬ dienste oder haben erbliche Hofämter inne. Unter diesen und andern, die im Auslande wohnen, giebt es wiederum einige, die noch nicht einmal das preußische Staatsbürgerrecht erworben haben, und deren Häupter daher den bestehenden Vorschriften gemäß ihren Herrenhaussitz nicht einnehmen dürfen. Wieder andre haben zwar ihre» Wohnsitz in Preußen, nehmen aber that¬ sächlich ihren steten Aufenthalt im Auslande, wo sie als Privatleute leben und sich weder um den heimatlichen Staat, noch um das Reich sonderlich kümmern. Auffallend wenig tritt besonders die Mehrheit der vormals Neichs- unmittelbaren in der Öffentlichkeit hervor; freilich trifft bei einer Anzahl von ihnen gerade das zu, was über den wirtschaftlichen Mittelpunkt außerhalb Preußens gesagt ist. In einigen dieser Geschlechter ist die dem preußischen Staate abgünstige Familienüberlieferung anscheinend noch nicht erloschen, sie neigen nach einem der süddeutschen Staaten oder auch nach Österreich, wo sie in den höchsten Kreisen nahe Verbindungen unterhalten. Wenn sie auch nicht mehr mit dem preußischen Hofe frondiren, so zeigen sie doch nur geringes Interesse für die politischen Verhältnisse des Landes. In den meisten mediatisirten Familien ist die Erinnerung an die eigne Landeshoheit offenbar noch zu lebendig, um zu gestatten, daß ihre Angehörigen in dem öffentlichen Leben des Staates, dem sie nunmehr unterworfen sind, eine be¬ sondre Thätigkeit entfalten. Auch der hohe Beruf des Gesetzgebers scheint den heutigen preußischen hohen Adel nicht eben zu locken. Das Herrenhaus ist der Ort, wo er dem geltenden Staatsrechte zufolge an erster Stelle seinen Platz einnehmen müßte. Freilich hat man ihm keine maßgebende Stellung darin angewiesen. Die Ge¬ samtheit der erblichen Pairs macht noch nicht ein Drittel aller Mitglieder aus, und bei der wunderlichen Zusammensetzung des Herrenhauskörpers sind schon die Vertreter des sogenannten alten und befestigten Grundbesitzes mit ihren Anhängen und den Grafen- und Familienverbänden den Vertretern des hohen Adels überlegen. Die verschiedenartige Besetzung dieser ersten Kammer und ins¬ besondre die ganz ungerechtfertigte Bevorzugung des „alten und befestigten," aber vielfach verschuldeten Grundbesitzes, der allein neunzig Mitglieder stellt, mag eine der Ursachen sein, daß sich die Häupter vornehmer Hänser von der Teilnahme an den Verhandlungen der Körperschaft fernhalten. Viele von den Standesherren erscheinen geflissentlich niemals, andre höchst selten, und nur wenige pflegen, außer in Fällen, wo sie durch besondre örtliche oder land- schaftliche Interessen dazu genötigt werden, das Wort zu ergreifen. Nament¬ lich die Mediatisirten glänzen in ihrer Mehrheit durch Abwesenheit, und eine ganze Reihe hat niemals in die Debatten eingegriffen. Die geringe Vertretung der Mitglieder des hohen Adels im Reichstage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/28>, abgerufen am 25.08.2024.