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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Geisteskrankheiten im Heere
von Georg Jlberz

le Anforderungen, die in einem Kriege der Zukunft an die Ärzte
werden gestellt werden, die die Truppe ins Feld zu begleiten
haben, werden außerordentlich groß sein infolge mancher Ver¬
änderung in der Kriegführung, infolge der Verbesserung der
Schußwaffen, endlich auch infolge des größern Zeitaufwands,
den die gegenwärtige Behandlung der Verwundungen erfordert. Bei aller
Geschicklichkeit, bei allem Fleiße und bei dem besten Willen wird der Arzt im
Felde nicht immer allen an ihn herantretenden Verpflichtungen gerecht werden
können. Es gehört daher zu den notwendigen Vorbereitungen für den Krieg,
weitern Kreisen der Gebildeten, die zum Heere in Beziehung stehen, wenigstens
einiges Verständnis für bestimmte Erkrankungen zu vermitteln. Dies ist
namentlich auch hinsichtlich der Geisteskrankheiten geboten, über die meist die
notwendigsten richtigen Begriffe fehlen, während die gröbsten Irrtümer weit
verbreitet sind.

Der Ausbruch einer Geistesstörung kann im Kriege sehr ernste Folgen
nach sich ziehen. Während im Frieden immer leicht ein Fachmann. der den
einzelnen Fall in Ruhe prüfen kann, zu erreichen ist, werden im Felde die
Ärzte günz außer stände sein, alle die verstreut bei der Armee auftauchenden
Geisteskranken felbst genau zu beobachten und zu beurteilen. Zur Be¬
urteilung eines kranken Seelenzustandes braucht man vor allen Dingen Zeit;
denn es kommt nicht nur auf das Bild an, das der zu Untersuchende in dem
Augenblick, wo ihn der Arzt sieht, darbietet, sondern meist ist es erforderlich,
genaue Kunde über seine Familienverhältnisse, seinen Lebensgang, sein gesamtes
früheres Wesen und Benehmen einzuziehen. Zur Feststellung der seelischen
Veränderungen eines Soldaten während des Krieges sind daher die Ärzte
natürlich auf die Mitwirkung der Offiziere angewiesen, die ihren Untergebnen
oder Standesgenossen durch täglichen Verkehr kennen, die in der Lage sind,
ihn zur Zeit der Entwicklung einer Krankheit zu beobachten. Es ist daher
gewiß im Interesse der Sache, daß die Offiziere -- wie es ja für die Juristen
schon längst als notwendig anerkannt ist -- gelegentlich einen Überblick über
die sie angehenden irrenürztlichen Dinge erhalten, damit sie ungefähr wissen,




Die Geisteskrankheiten im Heere
von Georg Jlberz

le Anforderungen, die in einem Kriege der Zukunft an die Ärzte
werden gestellt werden, die die Truppe ins Feld zu begleiten
haben, werden außerordentlich groß sein infolge mancher Ver¬
änderung in der Kriegführung, infolge der Verbesserung der
Schußwaffen, endlich auch infolge des größern Zeitaufwands,
den die gegenwärtige Behandlung der Verwundungen erfordert. Bei aller
Geschicklichkeit, bei allem Fleiße und bei dem besten Willen wird der Arzt im
Felde nicht immer allen an ihn herantretenden Verpflichtungen gerecht werden
können. Es gehört daher zu den notwendigen Vorbereitungen für den Krieg,
weitern Kreisen der Gebildeten, die zum Heere in Beziehung stehen, wenigstens
einiges Verständnis für bestimmte Erkrankungen zu vermitteln. Dies ist
namentlich auch hinsichtlich der Geisteskrankheiten geboten, über die meist die
notwendigsten richtigen Begriffe fehlen, während die gröbsten Irrtümer weit
verbreitet sind.

Der Ausbruch einer Geistesstörung kann im Kriege sehr ernste Folgen
nach sich ziehen. Während im Frieden immer leicht ein Fachmann. der den
einzelnen Fall in Ruhe prüfen kann, zu erreichen ist, werden im Felde die
Ärzte günz außer stände sein, alle die verstreut bei der Armee auftauchenden
Geisteskranken felbst genau zu beobachten und zu beurteilen. Zur Be¬
urteilung eines kranken Seelenzustandes braucht man vor allen Dingen Zeit;
denn es kommt nicht nur auf das Bild an, das der zu Untersuchende in dem
Augenblick, wo ihn der Arzt sieht, darbietet, sondern meist ist es erforderlich,
genaue Kunde über seine Familienverhältnisse, seinen Lebensgang, sein gesamtes
früheres Wesen und Benehmen einzuziehen. Zur Feststellung der seelischen
Veränderungen eines Soldaten während des Krieges sind daher die Ärzte
natürlich auf die Mitwirkung der Offiziere angewiesen, die ihren Untergebnen
oder Standesgenossen durch täglichen Verkehr kennen, die in der Lage sind,
ihn zur Zeit der Entwicklung einer Krankheit zu beobachten. Es ist daher
gewiß im Interesse der Sache, daß die Offiziere — wie es ja für die Juristen
schon längst als notwendig anerkannt ist — gelegentlich einen Überblick über
die sie angehenden irrenürztlichen Dinge erhalten, damit sie ungefähr wissen,


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[0268] [Abbildung] Die Geisteskrankheiten im Heere von Georg Jlberz le Anforderungen, die in einem Kriege der Zukunft an die Ärzte werden gestellt werden, die die Truppe ins Feld zu begleiten haben, werden außerordentlich groß sein infolge mancher Ver¬ änderung in der Kriegführung, infolge der Verbesserung der Schußwaffen, endlich auch infolge des größern Zeitaufwands, den die gegenwärtige Behandlung der Verwundungen erfordert. Bei aller Geschicklichkeit, bei allem Fleiße und bei dem besten Willen wird der Arzt im Felde nicht immer allen an ihn herantretenden Verpflichtungen gerecht werden können. Es gehört daher zu den notwendigen Vorbereitungen für den Krieg, weitern Kreisen der Gebildeten, die zum Heere in Beziehung stehen, wenigstens einiges Verständnis für bestimmte Erkrankungen zu vermitteln. Dies ist namentlich auch hinsichtlich der Geisteskrankheiten geboten, über die meist die notwendigsten richtigen Begriffe fehlen, während die gröbsten Irrtümer weit verbreitet sind. Der Ausbruch einer Geistesstörung kann im Kriege sehr ernste Folgen nach sich ziehen. Während im Frieden immer leicht ein Fachmann. der den einzelnen Fall in Ruhe prüfen kann, zu erreichen ist, werden im Felde die Ärzte günz außer stände sein, alle die verstreut bei der Armee auftauchenden Geisteskranken felbst genau zu beobachten und zu beurteilen. Zur Be¬ urteilung eines kranken Seelenzustandes braucht man vor allen Dingen Zeit; denn es kommt nicht nur auf das Bild an, das der zu Untersuchende in dem Augenblick, wo ihn der Arzt sieht, darbietet, sondern meist ist es erforderlich, genaue Kunde über seine Familienverhältnisse, seinen Lebensgang, sein gesamtes früheres Wesen und Benehmen einzuziehen. Zur Feststellung der seelischen Veränderungen eines Soldaten während des Krieges sind daher die Ärzte natürlich auf die Mitwirkung der Offiziere angewiesen, die ihren Untergebnen oder Standesgenossen durch täglichen Verkehr kennen, die in der Lage sind, ihn zur Zeit der Entwicklung einer Krankheit zu beobachten. Es ist daher gewiß im Interesse der Sache, daß die Offiziere — wie es ja für die Juristen schon längst als notwendig anerkannt ist — gelegentlich einen Überblick über die sie angehenden irrenürztlichen Dinge erhalten, damit sie ungefähr wissen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/268>, abgerufen am 27.08.2024.