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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

mals der Graf Solms die Standesherrschaft Baruth, in der Lausitz der Graf
von Lhnar die Standesherrschaft Lübbenau, und auch noch einige von den
jetzigen Herrenhausgeschlechtern waren im Besitze freier Herrschaften. Die
meisten von den heutigen Magnaten sind aber erst später, teils noch im vorigen
Jahrhundert, teils erst in diesem, mit der Einverleibung der Landesteile, in
denen ihre Besitzungen liegen, preußische Unterthanen geworden, so namentlich
die vielen schlesischen und alle vormals reichsunmittelbaren Standesherren.
Nur eine kleine Minderheit dieser Familien hat rein preußische Überlieferungen,
und nur wenige von ihnen sind in der politischen Geschichte des Staats von
einiger Bedeutung gewesen. Die Umstände, unter denen sich die "Angliederung"
eines großen Teils der Standesherren an den Staat vollzog, sind bis auf den
heutigen Tag anscheinend auf ihr Verhältnis zum Staate nicht ohne Einfluß
geblieben.

Im großen und ganzen zeigt die vornehme preußische Grundaristokratie nicht
den Ehrgeiz, eine führende Stellung im Lande zu übernehmen, mindestens hat
sie bisher nichts verstanden, dem niedern Adel, namentlich dem ostelbischen, der,
wie bekannt, trotz der staatsgrundgesetzlichen Aufhebung der Standesvorrechte
in Ämtern und Würden bevorzugt wird, und der die wichtigste politische Rolle
spielt, den Rang streitig zu machen. Nur wenige Staats- und Verwaltungs¬
männer sind aus den hundert Familien der Mediatisirten und preußischen
Standesherren hervorgegangen. Viele von diesen Familien haben in den letzten
fünfzig Jahren keinen einzigen ihrer Angehörigen in den preußischen Staats¬
dienst treten lassen. Es ist zwar hergebracht und gebräuchlich, daß die
meisten ihrer wehrfähigen Sprossen einige Jahre Offiziersdienste leisten, wo¬
möglich in einem "vornehmen" Regiment und im Bereiche des Hoff. Aber man
wird diesen zeitweiligen Offiziersdienst, der übrigens auch nicht immer in einem
preußischen Regiment abgeleistet wird, ebenso wenig für einen dem sozialen
Range des Mitglieds einer hocharistokratischen Familie entsprechenden Wirkungs¬
kreis im öffentlichen Leben halten, wie den vorübergehenden Dienst als Bot¬
schaftsattache oder Legationssekretär bei einer auswärtigen Gesandtschaft, mit
dem die öffentliche Thätigkeit manches andern dieses Standes abschließt. Einige
Geschlechter machen zwar eine rühmliche Ausnahme. In ihnen ist eine Art
englischen Adelsgeistes lebendig. Ihre Mitglieder übernehmen Staatsämter in
der Verwaltung und pflegen sich mit Eifer an den Verhandlungen der par¬
lamentarischen Körperschaften und der provinziellen Selbstverwaltung zu be¬
teiligen. Ihre Erziehung und ihre stete Beschäftigung mit öffentlichen Dingen
bewahrt sie denn auch vor selbstischer und einseitiger Auffassung in politischen
Fragen und vor der übermäßigen Hervvrkehrung der Standesinteressen, die
einem großen Teile der preußischen Landaristokratie nicht mit Unrecht zum
Vorwurf gemacht wird. Aber der größte Teil unsrer hohen Aristokratie tritt
ganz im Gegensatz zu den englischen Baronen in der politischen Welt hinter


Der hohe Adel in Preußen

mals der Graf Solms die Standesherrschaft Baruth, in der Lausitz der Graf
von Lhnar die Standesherrschaft Lübbenau, und auch noch einige von den
jetzigen Herrenhausgeschlechtern waren im Besitze freier Herrschaften. Die
meisten von den heutigen Magnaten sind aber erst später, teils noch im vorigen
Jahrhundert, teils erst in diesem, mit der Einverleibung der Landesteile, in
denen ihre Besitzungen liegen, preußische Unterthanen geworden, so namentlich
die vielen schlesischen und alle vormals reichsunmittelbaren Standesherren.
Nur eine kleine Minderheit dieser Familien hat rein preußische Überlieferungen,
und nur wenige von ihnen sind in der politischen Geschichte des Staats von
einiger Bedeutung gewesen. Die Umstände, unter denen sich die „Angliederung"
eines großen Teils der Standesherren an den Staat vollzog, sind bis auf den
heutigen Tag anscheinend auf ihr Verhältnis zum Staate nicht ohne Einfluß
geblieben.

Im großen und ganzen zeigt die vornehme preußische Grundaristokratie nicht
den Ehrgeiz, eine führende Stellung im Lande zu übernehmen, mindestens hat
sie bisher nichts verstanden, dem niedern Adel, namentlich dem ostelbischen, der,
wie bekannt, trotz der staatsgrundgesetzlichen Aufhebung der Standesvorrechte
in Ämtern und Würden bevorzugt wird, und der die wichtigste politische Rolle
spielt, den Rang streitig zu machen. Nur wenige Staats- und Verwaltungs¬
männer sind aus den hundert Familien der Mediatisirten und preußischen
Standesherren hervorgegangen. Viele von diesen Familien haben in den letzten
fünfzig Jahren keinen einzigen ihrer Angehörigen in den preußischen Staats¬
dienst treten lassen. Es ist zwar hergebracht und gebräuchlich, daß die
meisten ihrer wehrfähigen Sprossen einige Jahre Offiziersdienste leisten, wo¬
möglich in einem „vornehmen" Regiment und im Bereiche des Hoff. Aber man
wird diesen zeitweiligen Offiziersdienst, der übrigens auch nicht immer in einem
preußischen Regiment abgeleistet wird, ebenso wenig für einen dem sozialen
Range des Mitglieds einer hocharistokratischen Familie entsprechenden Wirkungs¬
kreis im öffentlichen Leben halten, wie den vorübergehenden Dienst als Bot¬
schaftsattache oder Legationssekretär bei einer auswärtigen Gesandtschaft, mit
dem die öffentliche Thätigkeit manches andern dieses Standes abschließt. Einige
Geschlechter machen zwar eine rühmliche Ausnahme. In ihnen ist eine Art
englischen Adelsgeistes lebendig. Ihre Mitglieder übernehmen Staatsämter in
der Verwaltung und pflegen sich mit Eifer an den Verhandlungen der par¬
lamentarischen Körperschaften und der provinziellen Selbstverwaltung zu be¬
teiligen. Ihre Erziehung und ihre stete Beschäftigung mit öffentlichen Dingen
bewahrt sie denn auch vor selbstischer und einseitiger Auffassung in politischen
Fragen und vor der übermäßigen Hervvrkehrung der Standesinteressen, die
einem großen Teile der preußischen Landaristokratie nicht mit Unrecht zum
Vorwurf gemacht wird. Aber der größte Teil unsrer hohen Aristokratie tritt
ganz im Gegensatz zu den englischen Baronen in der politischen Welt hinter


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[0026] Der hohe Adel in Preußen mals der Graf Solms die Standesherrschaft Baruth, in der Lausitz der Graf von Lhnar die Standesherrschaft Lübbenau, und auch noch einige von den jetzigen Herrenhausgeschlechtern waren im Besitze freier Herrschaften. Die meisten von den heutigen Magnaten sind aber erst später, teils noch im vorigen Jahrhundert, teils erst in diesem, mit der Einverleibung der Landesteile, in denen ihre Besitzungen liegen, preußische Unterthanen geworden, so namentlich die vielen schlesischen und alle vormals reichsunmittelbaren Standesherren. Nur eine kleine Minderheit dieser Familien hat rein preußische Überlieferungen, und nur wenige von ihnen sind in der politischen Geschichte des Staats von einiger Bedeutung gewesen. Die Umstände, unter denen sich die „Angliederung" eines großen Teils der Standesherren an den Staat vollzog, sind bis auf den heutigen Tag anscheinend auf ihr Verhältnis zum Staate nicht ohne Einfluß geblieben. Im großen und ganzen zeigt die vornehme preußische Grundaristokratie nicht den Ehrgeiz, eine führende Stellung im Lande zu übernehmen, mindestens hat sie bisher nichts verstanden, dem niedern Adel, namentlich dem ostelbischen, der, wie bekannt, trotz der staatsgrundgesetzlichen Aufhebung der Standesvorrechte in Ämtern und Würden bevorzugt wird, und der die wichtigste politische Rolle spielt, den Rang streitig zu machen. Nur wenige Staats- und Verwaltungs¬ männer sind aus den hundert Familien der Mediatisirten und preußischen Standesherren hervorgegangen. Viele von diesen Familien haben in den letzten fünfzig Jahren keinen einzigen ihrer Angehörigen in den preußischen Staats¬ dienst treten lassen. Es ist zwar hergebracht und gebräuchlich, daß die meisten ihrer wehrfähigen Sprossen einige Jahre Offiziersdienste leisten, wo¬ möglich in einem „vornehmen" Regiment und im Bereiche des Hoff. Aber man wird diesen zeitweiligen Offiziersdienst, der übrigens auch nicht immer in einem preußischen Regiment abgeleistet wird, ebenso wenig für einen dem sozialen Range des Mitglieds einer hocharistokratischen Familie entsprechenden Wirkungs¬ kreis im öffentlichen Leben halten, wie den vorübergehenden Dienst als Bot¬ schaftsattache oder Legationssekretär bei einer auswärtigen Gesandtschaft, mit dem die öffentliche Thätigkeit manches andern dieses Standes abschließt. Einige Geschlechter machen zwar eine rühmliche Ausnahme. In ihnen ist eine Art englischen Adelsgeistes lebendig. Ihre Mitglieder übernehmen Staatsämter in der Verwaltung und pflegen sich mit Eifer an den Verhandlungen der par¬ lamentarischen Körperschaften und der provinziellen Selbstverwaltung zu be¬ teiligen. Ihre Erziehung und ihre stete Beschäftigung mit öffentlichen Dingen bewahrt sie denn auch vor selbstischer und einseitiger Auffassung in politischen Fragen und vor der übermäßigen Hervvrkehrung der Standesinteressen, die einem großen Teile der preußischen Landaristokratie nicht mit Unrecht zum Vorwurf gemacht wird. Aber der größte Teil unsrer hohen Aristokratie tritt ganz im Gegensatz zu den englischen Baronen in der politischen Welt hinter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/26>, abgerufen am 25.08.2024.