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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Vortrefflichkeit ihrer Einrichtungen sagen, bezieht sich gewöhnlich auf das
eine oder andre Renommirschiff, gegen das der Nest der Flotte absticht. Der
Unkundige halte sich vornehmlich an die Doppelschraubendampfer, weil sie aus
den letzten Jahren stammen und mit den Errungenschaften der modernen
Technik ausgestattet sind. Daneben ist auf hohe Schnelligkeit zu achten. Diese
erfordert so große Opfer, daß da, wo solche gebracht werden, auch im übrigen
nicht gespart wird. Da sich der Widerstand des Wassers mit dem Quadrat
der Schifssgeschwiudigkeit erhöht, so muß zur Leistung von nutzbringender
Mehrarbeit die Maschinenkraft und dementsprechend auch der Kohlenverbrauch
in der dritten Potenz gesteigert werden. Wollte man z. B. die Lahn (1887)
von ihren 18 Seemeilen Durchschnittsgeschwindigkeit auf die 21 Seemeilen der
neuesten Dampfer bringen, so müßte sie eine Maschine erhalten, die um mehr
als die Hälfte stärker wäre als die jetzige, nämlich in dem Verhältnis von
18x18x18: 21 x 21 x 21 5832 : 9261.

In der Beurteilung des Unfalls der Elbe war man bei uns selbstver¬
ständlich ausheilen des deutschen Schiffs. Sachlich liefen aber Irrtümer aller
Art unter, zu denen, wenn man der Genauigkeit der Zeitungen trauen dürfte,
selbst ein Fachmann wie Admiral Werner das seinige beigetragen hätte. Die
dem Norddeutschen Lloyd wohlwollende Presse bemühte sich nach Kräften um
die Beschwichtigung des öffentlichen Gewissens*) und vergaß darum, zu be¬
richten, daß kurz nach der Katastrophe der Elbe der norddeutsche Lloyd vom
englischen Admiralitätsgericht verurteilt worden ist, weil sein Schnelldampfer
Lahn im vergangnen Herbst ein italienisches Fahrzeug von hinten überrannt
hat, und das, obwohl zwei Offiziere und ein englischer Lotse auf der Kom¬
mandobrücke waren. Wahrscheinlich wurde durch Überhast gefehlt. Der
Fall der Lahn steht übrigens so wenig vereinzelt da, daß man ihm allein
aus dem Sommer des Jahres 1892 drei ähnliche an die Seite stellen
könnte, nämlich die Kollisionen der Havel, der Trave und der Saale mit
Segelschiffen. Das Seegericht erklärte bezüglich der Havel, es sei eine "große
Rücksichtslosigkeit," daß sie die in die Masten geflüchtete Mannschaft des von
ihr niedergestoßnen Schiffs ihrem Schicksal überlassen und sich davongemacht
habe. An der Trave wurde getadelt, daß sie vorschriftswidrig mit voller



^) In ziemlich komischer Weise war auch eine bekannte Manneerzählerin an der Arbeit.
Sie forderte die "übrigen Nationen" auf, "die Herren Engländer zu zwingen, sich ein die Be¬
stimmungen des Seeverkehrs so streng zu halten, wie sie es ja doch von den andern See¬
fahrern verlangen, und ihnen das verbrecherische Handwerk zu legen, das sie sich jetzt noch
nicht scheuen zu betreiben." Gleich der Mehrzahl ihrer männlichen Kollegen setzt sich die
Dame zu unsern Ausführungen in Gegensatz. Nebenbei lehrt sie uns, daß ein Knoten "un¬
gefähr"^) eine Seemeile sei und daß die Elbe "durchschnittlich 16, ja auch 18 Knoten
Fahrt" gemacht habe? sie sei im Punkte der Sicherheit "unübertrefflich" gewesen, auf ein paar
Schotten mehr oder weniger komme es nicht aut
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

Vortrefflichkeit ihrer Einrichtungen sagen, bezieht sich gewöhnlich auf das
eine oder andre Renommirschiff, gegen das der Nest der Flotte absticht. Der
Unkundige halte sich vornehmlich an die Doppelschraubendampfer, weil sie aus
den letzten Jahren stammen und mit den Errungenschaften der modernen
Technik ausgestattet sind. Daneben ist auf hohe Schnelligkeit zu achten. Diese
erfordert so große Opfer, daß da, wo solche gebracht werden, auch im übrigen
nicht gespart wird. Da sich der Widerstand des Wassers mit dem Quadrat
der Schifssgeschwiudigkeit erhöht, so muß zur Leistung von nutzbringender
Mehrarbeit die Maschinenkraft und dementsprechend auch der Kohlenverbrauch
in der dritten Potenz gesteigert werden. Wollte man z. B. die Lahn (1887)
von ihren 18 Seemeilen Durchschnittsgeschwindigkeit auf die 21 Seemeilen der
neuesten Dampfer bringen, so müßte sie eine Maschine erhalten, die um mehr
als die Hälfte stärker wäre als die jetzige, nämlich in dem Verhältnis von
18x18x18: 21 x 21 x 21 5832 : 9261.

In der Beurteilung des Unfalls der Elbe war man bei uns selbstver¬
ständlich ausheilen des deutschen Schiffs. Sachlich liefen aber Irrtümer aller
Art unter, zu denen, wenn man der Genauigkeit der Zeitungen trauen dürfte,
selbst ein Fachmann wie Admiral Werner das seinige beigetragen hätte. Die
dem Norddeutschen Lloyd wohlwollende Presse bemühte sich nach Kräften um
die Beschwichtigung des öffentlichen Gewissens*) und vergaß darum, zu be¬
richten, daß kurz nach der Katastrophe der Elbe der norddeutsche Lloyd vom
englischen Admiralitätsgericht verurteilt worden ist, weil sein Schnelldampfer
Lahn im vergangnen Herbst ein italienisches Fahrzeug von hinten überrannt
hat, und das, obwohl zwei Offiziere und ein englischer Lotse auf der Kom¬
mandobrücke waren. Wahrscheinlich wurde durch Überhast gefehlt. Der
Fall der Lahn steht übrigens so wenig vereinzelt da, daß man ihm allein
aus dem Sommer des Jahres 1892 drei ähnliche an die Seite stellen
könnte, nämlich die Kollisionen der Havel, der Trave und der Saale mit
Segelschiffen. Das Seegericht erklärte bezüglich der Havel, es sei eine „große
Rücksichtslosigkeit," daß sie die in die Masten geflüchtete Mannschaft des von
ihr niedergestoßnen Schiffs ihrem Schicksal überlassen und sich davongemacht
habe. An der Trave wurde getadelt, daß sie vorschriftswidrig mit voller



^) In ziemlich komischer Weise war auch eine bekannte Manneerzählerin an der Arbeit.
Sie forderte die „übrigen Nationen" auf, „die Herren Engländer zu zwingen, sich ein die Be¬
stimmungen des Seeverkehrs so streng zu halten, wie sie es ja doch von den andern See¬
fahrern verlangen, und ihnen das verbrecherische Handwerk zu legen, das sie sich jetzt noch
nicht scheuen zu betreiben." Gleich der Mehrzahl ihrer männlichen Kollegen setzt sich die
Dame zu unsern Ausführungen in Gegensatz. Nebenbei lehrt sie uns, daß ein Knoten „un¬
gefähr"^) eine Seemeile sei und daß die Elbe „durchschnittlich 16, ja auch 18 Knoten
Fahrt" gemacht habe? sie sei im Punkte der Sicherheit „unübertrefflich" gewesen, auf ein paar
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/220>, abgerufen am 24.08.2024.