Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.Anarchie und Rechtsstaat ist. Nur der folgerichtige Anarchismus, z. B. eines Stirner, mit seinem aus¬ Also die äußern Beziehungen (des Eigentums), die seine Nutzbarmachung Nun ist aber die Frage, ob nicht jene Ordnung, die die Benutzung der Anarchie und Rechtsstaat ist. Nur der folgerichtige Anarchismus, z. B. eines Stirner, mit seinem aus¬ Also die äußern Beziehungen (des Eigentums), die seine Nutzbarmachung Nun ist aber die Frage, ob nicht jene Ordnung, die die Benutzung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219890"/> <fw type="header" place="top"> Anarchie und Rechtsstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_765" prev="#ID_764"> ist. Nur der folgerichtige Anarchismus, z. B. eines Stirner, mit seinem aus¬<lb/> geprägten Selbstbewußtsein kommt (theoretisch) zur völlige» Atomisirung der<lb/> Gesellschaft, um nachträglich, nachdem seinem theoretischen Bedürfnis genügt<lb/> ist, durch Bildung von Vereinen, deren Beschlüsse den Einzelnen nicht binden,<lb/> wieder zur „Vergesellschaftung" überzugehen. Der Anarchismus der Massen<lb/> ist immer stark mit kommunistischen Ideen durchsetzt, die der beste Beweis<lb/> dafür sind, daß seine Quelle in der Unzufriedenheit mit den bestehenden Eigen¬<lb/> tumsverhältnissen zu suchen ist. Charakteristisch hierfür ist eine Denkschrift,<lb/> die dem (anarchistischen) Jurakongreß in La Chaux-de-Fonds 1870 durch die<lb/> Arbeitervereine des Distrikts von Cvurtelary vorgelegt wurde. Da heißt es:<lb/> „Jede Körperschaft, die ein bestimmtes Handwerk betreibt, hat nun das Hand¬<lb/> werkszeug, die Rohstoffe, das zum Betriebe der jedem Handwerk eigentüm¬<lb/> lichen Arbeit notwendige Kapital in Besitz genommen. Wir müssen hier wohl<lb/> den Charakter dieser Besitznahme näher bestimmen. Wir wenden diesen Aus¬<lb/> druck an, um zu bezeichnen, daß es sich nicht um absolute Erwerbung, sondern<lb/> uni eine einfache bedingte Besitznahme handeln kann. In der That ist das<lb/> Eigentum einer Gruppe in der Volkswirtschaft ebenso unzulässig wie das<lb/> Eigentum des Einzelnen selbst. Das Eigentum soll gemeinsam werden, d. h.<lb/> es soll allen Privatcharakter verlieren, sowohl was den Einzelnen, als was<lb/> die Gruppe, die Gemeinde, den Verein betrifft. Nur die äußern Bedingungen,<lb/> die seine Nutzbarmachung betreffen, können den Gegenstand von Verträgen<lb/> zwischen Gruppen, Gemeinden und Vereinen abgeben."</p><lb/> <p xml:id="ID_766"> Also die äußern Beziehungen (des Eigentums), die seine Nutzbarmachung<lb/> betreffen, können Gegenstand von Verträgen sein! Mit einem solchen Anarchismus<lb/> ließe sich schon verhandeln. Der absolute Eigentumsbegriff ist ja ohnehin längst<lb/> aufgegeben: mau darf nicht nach Belieben in seinem Walde jagen, in seinem<lb/> Wasser fischen u. s. w. Ob aber eine weitergehende Einschränkung des Eigen¬<lb/> tumsrechts wünschenswert ist oder in Zukunft wünschenswert sein wird, läßt<lb/> sich offenbar nicht prinzipiell, sondern lediglich durch besondre Prüfung der<lb/> Verhältnisse entscheiden. Nun heißt es zwar: das Eigentum soll allen Privat¬<lb/> charakter verlieren. Aber insofern ich über die Dinge verfüge, sie zu meiner<lb/> Bethätigung benutze, bin ich ihr Eigentümer, bilden sie mein privates Eigentum,<lb/> und meinen menschlichen Interessen ist genügt. Anders wäre es, wenn das<lb/> Kapital an Naturgütern in den Besitz einer Gruppe überginge, die es, nach<lb/> den Forderungen des eigentlichen Kommunismus, dem Einzelnen zur Bearbei¬<lb/> tung überwiese und den Ertrag der Arbeit verteilte. Hier hörte die freie<lb/> menschliche Thätigkeit, die sich ihre Zwecke selbst steckt, auf, und die ganze<lb/> Bitterkeit der Stiruerschen Polemik gegen solchen „sozialen Liberalismus," der<lb/> alle zu „Lumpen" macht, wäre am Platze.</p><lb/> <p xml:id="ID_767" next="#ID_768"> Nun ist aber die Frage, ob nicht jene Ordnung, die die Benutzung der<lb/> Dinge regelt und dadurch eine erfolgreiche menschliche Thätigkeit möglich macht,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
Anarchie und Rechtsstaat
ist. Nur der folgerichtige Anarchismus, z. B. eines Stirner, mit seinem aus¬
geprägten Selbstbewußtsein kommt (theoretisch) zur völlige» Atomisirung der
Gesellschaft, um nachträglich, nachdem seinem theoretischen Bedürfnis genügt
ist, durch Bildung von Vereinen, deren Beschlüsse den Einzelnen nicht binden,
wieder zur „Vergesellschaftung" überzugehen. Der Anarchismus der Massen
ist immer stark mit kommunistischen Ideen durchsetzt, die der beste Beweis
dafür sind, daß seine Quelle in der Unzufriedenheit mit den bestehenden Eigen¬
tumsverhältnissen zu suchen ist. Charakteristisch hierfür ist eine Denkschrift,
die dem (anarchistischen) Jurakongreß in La Chaux-de-Fonds 1870 durch die
Arbeitervereine des Distrikts von Cvurtelary vorgelegt wurde. Da heißt es:
„Jede Körperschaft, die ein bestimmtes Handwerk betreibt, hat nun das Hand¬
werkszeug, die Rohstoffe, das zum Betriebe der jedem Handwerk eigentüm¬
lichen Arbeit notwendige Kapital in Besitz genommen. Wir müssen hier wohl
den Charakter dieser Besitznahme näher bestimmen. Wir wenden diesen Aus¬
druck an, um zu bezeichnen, daß es sich nicht um absolute Erwerbung, sondern
uni eine einfache bedingte Besitznahme handeln kann. In der That ist das
Eigentum einer Gruppe in der Volkswirtschaft ebenso unzulässig wie das
Eigentum des Einzelnen selbst. Das Eigentum soll gemeinsam werden, d. h.
es soll allen Privatcharakter verlieren, sowohl was den Einzelnen, als was
die Gruppe, die Gemeinde, den Verein betrifft. Nur die äußern Bedingungen,
die seine Nutzbarmachung betreffen, können den Gegenstand von Verträgen
zwischen Gruppen, Gemeinden und Vereinen abgeben."
Also die äußern Beziehungen (des Eigentums), die seine Nutzbarmachung
betreffen, können Gegenstand von Verträgen sein! Mit einem solchen Anarchismus
ließe sich schon verhandeln. Der absolute Eigentumsbegriff ist ja ohnehin längst
aufgegeben: mau darf nicht nach Belieben in seinem Walde jagen, in seinem
Wasser fischen u. s. w. Ob aber eine weitergehende Einschränkung des Eigen¬
tumsrechts wünschenswert ist oder in Zukunft wünschenswert sein wird, läßt
sich offenbar nicht prinzipiell, sondern lediglich durch besondre Prüfung der
Verhältnisse entscheiden. Nun heißt es zwar: das Eigentum soll allen Privat¬
charakter verlieren. Aber insofern ich über die Dinge verfüge, sie zu meiner
Bethätigung benutze, bin ich ihr Eigentümer, bilden sie mein privates Eigentum,
und meinen menschlichen Interessen ist genügt. Anders wäre es, wenn das
Kapital an Naturgütern in den Besitz einer Gruppe überginge, die es, nach
den Forderungen des eigentlichen Kommunismus, dem Einzelnen zur Bearbei¬
tung überwiese und den Ertrag der Arbeit verteilte. Hier hörte die freie
menschliche Thätigkeit, die sich ihre Zwecke selbst steckt, auf, und die ganze
Bitterkeit der Stiruerschen Polemik gegen solchen „sozialen Liberalismus," der
alle zu „Lumpen" macht, wäre am Platze.
Nun ist aber die Frage, ob nicht jene Ordnung, die die Benutzung der
Dinge regelt und dadurch eine erfolgreiche menschliche Thätigkeit möglich macht,
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