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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Moderne Opern
von Paul Moos

le Weiterentwicklung der Oper nach Wagners Tode schlug allen
Berechnungen und Mutmaßungen ein Schnippchen. Die Wag¬
nerianer, die in Deutschland das Feld beherrschten, glaubten mit
Zuversicht, daß nur ihnen die Opernbühne der Zukunft gehören
könne. Aber der ersehnte Erfolg eines nachwagnerischen Musik¬
dramas wollte sich nicht einstellen. Da kam eines Tages, während man noch
in Deutschland eine lebensfähige Oper mit der Laterne suchte, aus Italien
die Kunde eines phänomenalen Sieges, und Mascagnis Cavalleria rusticcma,
die sich in schroffen Gegensatz zu dem setzte, was man in Deutschland sür
richtig hielt, zog über alle Bühnen der Welt. Ihr folgte alsbald Leoneavallos
Bajazzo, der sich ebenfalls als lebensfähig erwies, trotz aller gegen ihn er-
hobnen Bedenken. Mit den Opern, die von 7 bis ^/z12 Uhr dauern, war es
fürs erste vorbei. Auch Deutschland mußte sich wohl oder übel bequemen,
vom hohen Pferde herabzusteigen und sich mit den Italienern auf gleichem
Boden zu messen. Einaktige Opern schössen wie Pilze aus dem Boden, und
endlich hörte man aus Berlin, in Ferdinand Hnmmels Mara sei der ersehnte
deutsche Treffer gefunden. Mara fand denn anch allgemeine Verbreitung, wenn sich
auch der Erfolg an sieghafter Freude nicht mit dem der Italiener messen konnte.
Während sich nun aber die Italiener mit nachfolgenden Werken nicht mehr auf
der erkämpften Höhe zu halten vermochten, tauchte gerade zur rechten Zeit ein
Frankfurter Musikus, Engelbert Humperdinck, mit seinem Märchenspiel Häusel
und Gretel auf, man staunte, wieder einmal Musik von echter Schönheit zu
hören, und die deutsche musikalische Ehre war gerettet.

Jetzt, wo diese ganze Bewegung zu einiger Breite gediehen ist und auch
einen gewissen Abschluß gefunden hat, dürfte es vielleicht von Interesse sein,
die genannten vier Werke, in denen sich die Entwicklung der Oper seit Wagners
Tod getreu wiederspiegelt, einer zusammenfassenden Betrachtung zu unterziehen.
Es handelt sich dabei um die Frage, in wieweit die angeführten Werke ihren
thatsächlichen Erfolg verdient haben, was ihre Vorzüge und Fehler sind, und
wie sie sich wohl ihrem künstlerischen Werte nach unter einander Verhalten
mögen. Was Mascagni und Leoncavallo nachträglich noch vor die Offene-




Moderne Opern
von Paul Moos

le Weiterentwicklung der Oper nach Wagners Tode schlug allen
Berechnungen und Mutmaßungen ein Schnippchen. Die Wag¬
nerianer, die in Deutschland das Feld beherrschten, glaubten mit
Zuversicht, daß nur ihnen die Opernbühne der Zukunft gehören
könne. Aber der ersehnte Erfolg eines nachwagnerischen Musik¬
dramas wollte sich nicht einstellen. Da kam eines Tages, während man noch
in Deutschland eine lebensfähige Oper mit der Laterne suchte, aus Italien
die Kunde eines phänomenalen Sieges, und Mascagnis Cavalleria rusticcma,
die sich in schroffen Gegensatz zu dem setzte, was man in Deutschland sür
richtig hielt, zog über alle Bühnen der Welt. Ihr folgte alsbald Leoneavallos
Bajazzo, der sich ebenfalls als lebensfähig erwies, trotz aller gegen ihn er-
hobnen Bedenken. Mit den Opern, die von 7 bis ^/z12 Uhr dauern, war es
fürs erste vorbei. Auch Deutschland mußte sich wohl oder übel bequemen,
vom hohen Pferde herabzusteigen und sich mit den Italienern auf gleichem
Boden zu messen. Einaktige Opern schössen wie Pilze aus dem Boden, und
endlich hörte man aus Berlin, in Ferdinand Hnmmels Mara sei der ersehnte
deutsche Treffer gefunden. Mara fand denn anch allgemeine Verbreitung, wenn sich
auch der Erfolg an sieghafter Freude nicht mit dem der Italiener messen konnte.
Während sich nun aber die Italiener mit nachfolgenden Werken nicht mehr auf
der erkämpften Höhe zu halten vermochten, tauchte gerade zur rechten Zeit ein
Frankfurter Musikus, Engelbert Humperdinck, mit seinem Märchenspiel Häusel
und Gretel auf, man staunte, wieder einmal Musik von echter Schönheit zu
hören, und die deutsche musikalische Ehre war gerettet.

Jetzt, wo diese ganze Bewegung zu einiger Breite gediehen ist und auch
einen gewissen Abschluß gefunden hat, dürfte es vielleicht von Interesse sein,
die genannten vier Werke, in denen sich die Entwicklung der Oper seit Wagners
Tod getreu wiederspiegelt, einer zusammenfassenden Betrachtung zu unterziehen.
Es handelt sich dabei um die Frage, in wieweit die angeführten Werke ihren
thatsächlichen Erfolg verdient haben, was ihre Vorzüge und Fehler sind, und
wie sie sich wohl ihrem künstlerischen Werte nach unter einander Verhalten
mögen. Was Mascagni und Leoncavallo nachträglich noch vor die Offene-


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[0189] [Abbildung] Moderne Opern von Paul Moos le Weiterentwicklung der Oper nach Wagners Tode schlug allen Berechnungen und Mutmaßungen ein Schnippchen. Die Wag¬ nerianer, die in Deutschland das Feld beherrschten, glaubten mit Zuversicht, daß nur ihnen die Opernbühne der Zukunft gehören könne. Aber der ersehnte Erfolg eines nachwagnerischen Musik¬ dramas wollte sich nicht einstellen. Da kam eines Tages, während man noch in Deutschland eine lebensfähige Oper mit der Laterne suchte, aus Italien die Kunde eines phänomenalen Sieges, und Mascagnis Cavalleria rusticcma, die sich in schroffen Gegensatz zu dem setzte, was man in Deutschland sür richtig hielt, zog über alle Bühnen der Welt. Ihr folgte alsbald Leoneavallos Bajazzo, der sich ebenfalls als lebensfähig erwies, trotz aller gegen ihn er- hobnen Bedenken. Mit den Opern, die von 7 bis ^/z12 Uhr dauern, war es fürs erste vorbei. Auch Deutschland mußte sich wohl oder übel bequemen, vom hohen Pferde herabzusteigen und sich mit den Italienern auf gleichem Boden zu messen. Einaktige Opern schössen wie Pilze aus dem Boden, und endlich hörte man aus Berlin, in Ferdinand Hnmmels Mara sei der ersehnte deutsche Treffer gefunden. Mara fand denn anch allgemeine Verbreitung, wenn sich auch der Erfolg an sieghafter Freude nicht mit dem der Italiener messen konnte. Während sich nun aber die Italiener mit nachfolgenden Werken nicht mehr auf der erkämpften Höhe zu halten vermochten, tauchte gerade zur rechten Zeit ein Frankfurter Musikus, Engelbert Humperdinck, mit seinem Märchenspiel Häusel und Gretel auf, man staunte, wieder einmal Musik von echter Schönheit zu hören, und die deutsche musikalische Ehre war gerettet. Jetzt, wo diese ganze Bewegung zu einiger Breite gediehen ist und auch einen gewissen Abschluß gefunden hat, dürfte es vielleicht von Interesse sein, die genannten vier Werke, in denen sich die Entwicklung der Oper seit Wagners Tod getreu wiederspiegelt, einer zusammenfassenden Betrachtung zu unterziehen. Es handelt sich dabei um die Frage, in wieweit die angeführten Werke ihren thatsächlichen Erfolg verdient haben, was ihre Vorzüge und Fehler sind, und wie sie sich wohl ihrem künstlerischen Werte nach unter einander Verhalten mögen. Was Mascagni und Leoncavallo nachträglich noch vor die Offene-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/189>, abgerufen am 22.12.2024.