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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

reichsunmittelbaren Herrschaften angesessen sind, wie die Fürsten aus dem Hause
Hohenlohe, die Fürsten von Sayn-Wittgenstein-Seyn, Salm-Reifferscheid-Dhk
und Nheinci-Wolbeck, die beiden hessischen Landgrafen u. a., verdanken ihre
erblichen Sitze teils ihrer frühern Berufung zur Herrenkurie des Vereinigten
Landtags, teils besondrer königlicher Entschließung.

Die staatsrechtliche Anerkennung und Befestigung eines spezifisch preußischen
hohen Adels war eine der Lieblingsideen Friedrich Wilhelms IV., der sich noch
zu einer Zeit, wo die überlieferte ständische Gliederung längst nicht mehr
lebendig war, mit Entwürfen über eine neue Adelsgesetzgcbung beschäftigte.
Im Vereinigten Landtage suchte er die hocharistokratischen Kräfte des Landes,
die damals durch Verwaltungsbefugnisse und Gerichtsbarkeit, sowie durch
Sonderrechte bei den Provinzialstünden noch bei weitem mächtiger waren als
heute, in einer "Herrenkurie" zusammenzufassen, die als eine Art Oberhaus
gedacht war. In diese Kurie berief er außer den königlichen Prinzen die vor¬
nehmsten Mitglieder der Provinziallandtage, im ganzen 72, darunter in erster
Linie die Häupter der reichsstündischen Familien, dann eine Reihe hochbetitelter
Standesherren aus den östlichen Provinzen und eine Anzahl reichbegüterter
Fideikommißbesitzer aus altadlichen Häusern. Sehr ungleich war dabei die Ver¬
teilung auf die einzelnen Provinzen; Größe, Vevölkerungsziffer und Bedeutung
wurden nicht in Rücksicht gezogen, es entschied die geschichtlich begründete
Sonderstellung der Magnaten. So kam es, daß aus Schlesien allein nicht
weniger als 26 Standesherren berufen wurden, weil sie unter den Ständen
ihrer Provinz eine mehr oder weniger bevorzugte Stellung einnahmen, aus
Pommern dagegen nur der Fürst Putbus und aus der großen Provinz Preußen
nur fünf Herrschaftsbesitzer, darunter allein vier Grafen Dohna.

Daß außer diesen Gruppen noch andre Bestandteile einer Großaristokratie
im Lande vorhanden waren, wurde von der Krone uicht verkannt. Das
dynamische Element im Staate, das nach dem an sich richtigen Gefühle des
Königs eine besondre politische Macht bilden und unter staatsrechtlicher An¬
erkennung aus dem Volke hervortreten sollte, war mit den in der Herrenkurie
zusammengefaßten Geschlechtern noch nicht erschöpft, und in dieser Erwägung
behielt sich der König vor, die Kurie durch neue Mitglieder zu verstärken.
Unbedingte Erfordernisse für die Berufung waren nach den Anschauungen des
Königs alter Reichs- oder Landesadel, Großgrundbesitz und als rechtliche
Garantie für den Verbleib der Güter in der Familie Stamm- oder Fidei-
kommißgutseigenschaft der Hauptbestandteile des Besitzes. In jeder Provinz gab
es altadliche, mit der Geschichte des Landes oder wenigstens der Landschaft
eng verbundne hochgeachtete Geschlechter, die diesen Bedingungen Hütten genügen
können und daher ihre Berufung in die Herrenkurie wohl erwarten durften.
Sie hielten sich für ebenso vornehm wie viele der zunächst auserwählten, sie
führten ebenso hohe Adelstitel wie viele von diesen, und manche von ihnen


Der hohe Adel in Preußen

reichsunmittelbaren Herrschaften angesessen sind, wie die Fürsten aus dem Hause
Hohenlohe, die Fürsten von Sayn-Wittgenstein-Seyn, Salm-Reifferscheid-Dhk
und Nheinci-Wolbeck, die beiden hessischen Landgrafen u. a., verdanken ihre
erblichen Sitze teils ihrer frühern Berufung zur Herrenkurie des Vereinigten
Landtags, teils besondrer königlicher Entschließung.

Die staatsrechtliche Anerkennung und Befestigung eines spezifisch preußischen
hohen Adels war eine der Lieblingsideen Friedrich Wilhelms IV., der sich noch
zu einer Zeit, wo die überlieferte ständische Gliederung längst nicht mehr
lebendig war, mit Entwürfen über eine neue Adelsgesetzgcbung beschäftigte.
Im Vereinigten Landtage suchte er die hocharistokratischen Kräfte des Landes,
die damals durch Verwaltungsbefugnisse und Gerichtsbarkeit, sowie durch
Sonderrechte bei den Provinzialstünden noch bei weitem mächtiger waren als
heute, in einer „Herrenkurie" zusammenzufassen, die als eine Art Oberhaus
gedacht war. In diese Kurie berief er außer den königlichen Prinzen die vor¬
nehmsten Mitglieder der Provinziallandtage, im ganzen 72, darunter in erster
Linie die Häupter der reichsstündischen Familien, dann eine Reihe hochbetitelter
Standesherren aus den östlichen Provinzen und eine Anzahl reichbegüterter
Fideikommißbesitzer aus altadlichen Häusern. Sehr ungleich war dabei die Ver¬
teilung auf die einzelnen Provinzen; Größe, Vevölkerungsziffer und Bedeutung
wurden nicht in Rücksicht gezogen, es entschied die geschichtlich begründete
Sonderstellung der Magnaten. So kam es, daß aus Schlesien allein nicht
weniger als 26 Standesherren berufen wurden, weil sie unter den Ständen
ihrer Provinz eine mehr oder weniger bevorzugte Stellung einnahmen, aus
Pommern dagegen nur der Fürst Putbus und aus der großen Provinz Preußen
nur fünf Herrschaftsbesitzer, darunter allein vier Grafen Dohna.

Daß außer diesen Gruppen noch andre Bestandteile einer Großaristokratie
im Lande vorhanden waren, wurde von der Krone uicht verkannt. Das
dynamische Element im Staate, das nach dem an sich richtigen Gefühle des
Königs eine besondre politische Macht bilden und unter staatsrechtlicher An¬
erkennung aus dem Volke hervortreten sollte, war mit den in der Herrenkurie
zusammengefaßten Geschlechtern noch nicht erschöpft, und in dieser Erwägung
behielt sich der König vor, die Kurie durch neue Mitglieder zu verstärken.
Unbedingte Erfordernisse für die Berufung waren nach den Anschauungen des
Königs alter Reichs- oder Landesadel, Großgrundbesitz und als rechtliche
Garantie für den Verbleib der Güter in der Familie Stamm- oder Fidei-
kommißgutseigenschaft der Hauptbestandteile des Besitzes. In jeder Provinz gab
es altadliche, mit der Geschichte des Landes oder wenigstens der Landschaft
eng verbundne hochgeachtete Geschlechter, die diesen Bedingungen Hütten genügen
können und daher ihre Berufung in die Herrenkurie wohl erwarten durften.
Sie hielten sich für ebenso vornehm wie viele der zunächst auserwählten, sie
führten ebenso hohe Adelstitel wie viele von diesen, und manche von ihnen


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[0018] Der hohe Adel in Preußen reichsunmittelbaren Herrschaften angesessen sind, wie die Fürsten aus dem Hause Hohenlohe, die Fürsten von Sayn-Wittgenstein-Seyn, Salm-Reifferscheid-Dhk und Nheinci-Wolbeck, die beiden hessischen Landgrafen u. a., verdanken ihre erblichen Sitze teils ihrer frühern Berufung zur Herrenkurie des Vereinigten Landtags, teils besondrer königlicher Entschließung. Die staatsrechtliche Anerkennung und Befestigung eines spezifisch preußischen hohen Adels war eine der Lieblingsideen Friedrich Wilhelms IV., der sich noch zu einer Zeit, wo die überlieferte ständische Gliederung längst nicht mehr lebendig war, mit Entwürfen über eine neue Adelsgesetzgcbung beschäftigte. Im Vereinigten Landtage suchte er die hocharistokratischen Kräfte des Landes, die damals durch Verwaltungsbefugnisse und Gerichtsbarkeit, sowie durch Sonderrechte bei den Provinzialstünden noch bei weitem mächtiger waren als heute, in einer „Herrenkurie" zusammenzufassen, die als eine Art Oberhaus gedacht war. In diese Kurie berief er außer den königlichen Prinzen die vor¬ nehmsten Mitglieder der Provinziallandtage, im ganzen 72, darunter in erster Linie die Häupter der reichsstündischen Familien, dann eine Reihe hochbetitelter Standesherren aus den östlichen Provinzen und eine Anzahl reichbegüterter Fideikommißbesitzer aus altadlichen Häusern. Sehr ungleich war dabei die Ver¬ teilung auf die einzelnen Provinzen; Größe, Vevölkerungsziffer und Bedeutung wurden nicht in Rücksicht gezogen, es entschied die geschichtlich begründete Sonderstellung der Magnaten. So kam es, daß aus Schlesien allein nicht weniger als 26 Standesherren berufen wurden, weil sie unter den Ständen ihrer Provinz eine mehr oder weniger bevorzugte Stellung einnahmen, aus Pommern dagegen nur der Fürst Putbus und aus der großen Provinz Preußen nur fünf Herrschaftsbesitzer, darunter allein vier Grafen Dohna. Daß außer diesen Gruppen noch andre Bestandteile einer Großaristokratie im Lande vorhanden waren, wurde von der Krone uicht verkannt. Das dynamische Element im Staate, das nach dem an sich richtigen Gefühle des Königs eine besondre politische Macht bilden und unter staatsrechtlicher An¬ erkennung aus dem Volke hervortreten sollte, war mit den in der Herrenkurie zusammengefaßten Geschlechtern noch nicht erschöpft, und in dieser Erwägung behielt sich der König vor, die Kurie durch neue Mitglieder zu verstärken. Unbedingte Erfordernisse für die Berufung waren nach den Anschauungen des Königs alter Reichs- oder Landesadel, Großgrundbesitz und als rechtliche Garantie für den Verbleib der Güter in der Familie Stamm- oder Fidei- kommißgutseigenschaft der Hauptbestandteile des Besitzes. In jeder Provinz gab es altadliche, mit der Geschichte des Landes oder wenigstens der Landschaft eng verbundne hochgeachtete Geschlechter, die diesen Bedingungen Hütten genügen können und daher ihre Berufung in die Herrenkurie wohl erwarten durften. Sie hielten sich für ebenso vornehm wie viele der zunächst auserwählten, sie führten ebenso hohe Adelstitel wie viele von diesen, und manche von ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/18>, abgerufen am 24.08.2024.