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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die Umsturzvorlage

Vorlage zu reden, wenn man nicht darunter den Umsturz einiger der bewähr¬
testen Grundsätze der Gesetzgebungspolitik und der Strafrechtswissenschaft ver¬
stehen will.

Zu diesen gehörte bisher der Satz, daß eine strafbare Handlung für den
Strafrichter nicht eher vorhanden ist, als bis ein wenn auch nur entfernter
Anfang mit der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens gemacht worden
ist. Nur beim Hochverrat straft das Gesetz bereits die das hochverräterische
Unternehmen vorbereitende Handlung, namentlich die Verabredung mehrerer
zu hochverräterischen Zwecken, die sogenannte Verschwörung. Noch der Ne-
gierungsentwurf hielt sich einigermaßen in diesen Grenzen, indem er nur das
in umstürzlerischer Absicht eingegangne Komplot bestraft wissen wollte (§ 129
Statt dessen hat die Kommission jede Verabredung zur Ausführung eines
Verbrechens (Z 49 a) und in § 129 jede Verbindung zur fortgesetzten
Begehung mehrerer Verbrechen unter Strafe gestellt und im ersten Falle
nur den, der die Ausführung des Verbrechens rechtzeitig verhindert, also
regelmäßig den Denunzianten, im zweiten Falle den vor der Entdeckung frei¬
willig zurücktretenden für straflos erklärt. Wir gehen hier nicht näher auf
die fast unlösbaren Schwierigkeiten ein, die sich aus diesen Bestimmungen im
Verhältnis zum 8 83 und insbesondre zu dem jetzt geltenden Rechte vom
straflosen Versuch ergeben. Wir halten aber an dem alten Satze fest, daß der
Wille allein, auch der in Worten geäußerte Wille, und selbst der von mehreren
vereinbarte Vorsatz noch kein Verbrechen schafft, solange die Ernstlichkeit dieses
Vorsatzes nicht wenigstens durch einen ersten Anfang der Ausführung bewiesen
worden ist. Mag die Sicherheitspolizei ihre Maßnahmen treffen, wenn sie
von einem strafbaren Vorhaben Kenntnis erhält. Die kriminelle Bedrohung
des bloßen Komplots ist entweder wirkungslos, oder sie fördert das Denun¬
ziantenwesen, namentlich das Lockspitzeltum, das man vergeblich ableugnet. Sie
bringt weiter die Gefahr mit sich, auch Vereinigungen zu erlaubten Zwecken in
gefährliche Fußangeln zu verwickeln. So kann es z. B. nicht schwer fallen, die
Verabredung eines Streiks, bei dem es ja leicht zu Gewaltthätigkeiten kommen
kann, mit Hilfe der prächtigen Erfindung des sogenannten unbestimmten Vor¬
satzes zum strafbaren Komplot zu stempeln. Die von der Kommission ange-
nommne und auf jede, nicht bloß die umstürzlerische Verbindung verall¬
gemeinerte Fassung: Verbindung "zur Begehung mehrerer, wenn auch im
einzelnen uoch nicht bestimmter Verbrechen" ladet ja sörmlich dazu ein, und
es ist nützlich, sich zu erinnern, daß die englischen Gewerkvereine jahrzehnte¬
lang wegen <zon8virg.o^ verfolgt worden sind.

Den Anpreisungsparagraphen des Entwurfs (Z 111) in eine juristisch auch
nur erträgliche Fassung zu bringen, überstieg die Kraft menschlichen Witzes.
Wir können es deshalb der Kommission nicht übel nehmen, wenn sie anch
hier ein juristisches Monstrum geliefert hat. Zwar hat sie das Anpreisen


Die Umsturzvorlage

Vorlage zu reden, wenn man nicht darunter den Umsturz einiger der bewähr¬
testen Grundsätze der Gesetzgebungspolitik und der Strafrechtswissenschaft ver¬
stehen will.

Zu diesen gehörte bisher der Satz, daß eine strafbare Handlung für den
Strafrichter nicht eher vorhanden ist, als bis ein wenn auch nur entfernter
Anfang mit der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens gemacht worden
ist. Nur beim Hochverrat straft das Gesetz bereits die das hochverräterische
Unternehmen vorbereitende Handlung, namentlich die Verabredung mehrerer
zu hochverräterischen Zwecken, die sogenannte Verschwörung. Noch der Ne-
gierungsentwurf hielt sich einigermaßen in diesen Grenzen, indem er nur das
in umstürzlerischer Absicht eingegangne Komplot bestraft wissen wollte (§ 129
Statt dessen hat die Kommission jede Verabredung zur Ausführung eines
Verbrechens (Z 49 a) und in § 129 jede Verbindung zur fortgesetzten
Begehung mehrerer Verbrechen unter Strafe gestellt und im ersten Falle
nur den, der die Ausführung des Verbrechens rechtzeitig verhindert, also
regelmäßig den Denunzianten, im zweiten Falle den vor der Entdeckung frei¬
willig zurücktretenden für straflos erklärt. Wir gehen hier nicht näher auf
die fast unlösbaren Schwierigkeiten ein, die sich aus diesen Bestimmungen im
Verhältnis zum 8 83 und insbesondre zu dem jetzt geltenden Rechte vom
straflosen Versuch ergeben. Wir halten aber an dem alten Satze fest, daß der
Wille allein, auch der in Worten geäußerte Wille, und selbst der von mehreren
vereinbarte Vorsatz noch kein Verbrechen schafft, solange die Ernstlichkeit dieses
Vorsatzes nicht wenigstens durch einen ersten Anfang der Ausführung bewiesen
worden ist. Mag die Sicherheitspolizei ihre Maßnahmen treffen, wenn sie
von einem strafbaren Vorhaben Kenntnis erhält. Die kriminelle Bedrohung
des bloßen Komplots ist entweder wirkungslos, oder sie fördert das Denun¬
ziantenwesen, namentlich das Lockspitzeltum, das man vergeblich ableugnet. Sie
bringt weiter die Gefahr mit sich, auch Vereinigungen zu erlaubten Zwecken in
gefährliche Fußangeln zu verwickeln. So kann es z. B. nicht schwer fallen, die
Verabredung eines Streiks, bei dem es ja leicht zu Gewaltthätigkeiten kommen
kann, mit Hilfe der prächtigen Erfindung des sogenannten unbestimmten Vor¬
satzes zum strafbaren Komplot zu stempeln. Die von der Kommission ange-
nommne und auf jede, nicht bloß die umstürzlerische Verbindung verall¬
gemeinerte Fassung: Verbindung „zur Begehung mehrerer, wenn auch im
einzelnen uoch nicht bestimmter Verbrechen" ladet ja sörmlich dazu ein, und
es ist nützlich, sich zu erinnern, daß die englischen Gewerkvereine jahrzehnte¬
lang wegen <zon8virg.o^ verfolgt worden sind.

Den Anpreisungsparagraphen des Entwurfs (Z 111) in eine juristisch auch
nur erträgliche Fassung zu bringen, überstieg die Kraft menschlichen Witzes.
Wir können es deshalb der Kommission nicht übel nehmen, wenn sie anch
hier ein juristisches Monstrum geliefert hat. Zwar hat sie das Anpreisen


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[0162] Die Umsturzvorlage Vorlage zu reden, wenn man nicht darunter den Umsturz einiger der bewähr¬ testen Grundsätze der Gesetzgebungspolitik und der Strafrechtswissenschaft ver¬ stehen will. Zu diesen gehörte bisher der Satz, daß eine strafbare Handlung für den Strafrichter nicht eher vorhanden ist, als bis ein wenn auch nur entfernter Anfang mit der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens gemacht worden ist. Nur beim Hochverrat straft das Gesetz bereits die das hochverräterische Unternehmen vorbereitende Handlung, namentlich die Verabredung mehrerer zu hochverräterischen Zwecken, die sogenannte Verschwörung. Noch der Ne- gierungsentwurf hielt sich einigermaßen in diesen Grenzen, indem er nur das in umstürzlerischer Absicht eingegangne Komplot bestraft wissen wollte (§ 129 Statt dessen hat die Kommission jede Verabredung zur Ausführung eines Verbrechens (Z 49 a) und in § 129 jede Verbindung zur fortgesetzten Begehung mehrerer Verbrechen unter Strafe gestellt und im ersten Falle nur den, der die Ausführung des Verbrechens rechtzeitig verhindert, also regelmäßig den Denunzianten, im zweiten Falle den vor der Entdeckung frei¬ willig zurücktretenden für straflos erklärt. Wir gehen hier nicht näher auf die fast unlösbaren Schwierigkeiten ein, die sich aus diesen Bestimmungen im Verhältnis zum 8 83 und insbesondre zu dem jetzt geltenden Rechte vom straflosen Versuch ergeben. Wir halten aber an dem alten Satze fest, daß der Wille allein, auch der in Worten geäußerte Wille, und selbst der von mehreren vereinbarte Vorsatz noch kein Verbrechen schafft, solange die Ernstlichkeit dieses Vorsatzes nicht wenigstens durch einen ersten Anfang der Ausführung bewiesen worden ist. Mag die Sicherheitspolizei ihre Maßnahmen treffen, wenn sie von einem strafbaren Vorhaben Kenntnis erhält. Die kriminelle Bedrohung des bloßen Komplots ist entweder wirkungslos, oder sie fördert das Denun¬ ziantenwesen, namentlich das Lockspitzeltum, das man vergeblich ableugnet. Sie bringt weiter die Gefahr mit sich, auch Vereinigungen zu erlaubten Zwecken in gefährliche Fußangeln zu verwickeln. So kann es z. B. nicht schwer fallen, die Verabredung eines Streiks, bei dem es ja leicht zu Gewaltthätigkeiten kommen kann, mit Hilfe der prächtigen Erfindung des sogenannten unbestimmten Vor¬ satzes zum strafbaren Komplot zu stempeln. Die von der Kommission ange- nommne und auf jede, nicht bloß die umstürzlerische Verbindung verall¬ gemeinerte Fassung: Verbindung „zur Begehung mehrerer, wenn auch im einzelnen uoch nicht bestimmter Verbrechen" ladet ja sörmlich dazu ein, und es ist nützlich, sich zu erinnern, daß die englischen Gewerkvereine jahrzehnte¬ lang wegen <zon8virg.o^ verfolgt worden sind. Den Anpreisungsparagraphen des Entwurfs (Z 111) in eine juristisch auch nur erträgliche Fassung zu bringen, überstieg die Kraft menschlichen Witzes. Wir können es deshalb der Kommission nicht übel nehmen, wenn sie anch hier ein juristisches Monstrum geliefert hat. Zwar hat sie das Anpreisen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/162>, abgerufen am 24.08.2024.