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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der hohe Adel in Preußen

Die nicht regierenden Mitglieder der souveränen Familien und alle Mit¬
glieder der vormals reichsunmittelbaren Geschlechter sind Staatsbürger, aber
kraft ihres Geburtsstandes bevorrechtete Staatsbürger. Weder die Standes¬
vorrechte der einen noch die der andern sind in den einzelnen Staaten die¬
selben. Die der souveränen Familien werden durch die Hausgesetze und zum
Teil durch die Verfassungen bestimmt, aber auch das Gewohnheitsrecht ist nicht
ganz selten eine entscheidende Rechtsquelle. Die der reichsunmittelbaren Ge¬
schlechter find nach Konstituirung des deutschen Bundes bundesrechtlich fest¬
gestellt (Artikel 14 der ' deutschen Bundesakte mit dem Hinweis auf die
bairische Verordnung vom 19. März 1807) und dadurch völkerrechtlich ver¬
bürgt. Dennoch ist der Rechtszustand der Mediatisirten in Deutschland nicht
völlig gleich, weil später einzelne Staaten mit einzelnen dieser Geschlechter be¬
sondre Verträge abgeschlossen haben, durch die ihnen die Sonderrechtssphüre
anderweit begrenzt wird.

In Preußen nehmen vor allen nicht zum königlichen Hause gehörigen
Unterthanen die Mitglieder des fürstlichen Hauses Hohenzollern die bevor¬
zugteste Stellung ein. Selbst vor den königlichen Prinzen hat der Chef dieses
Hauses ein Recht voraus: er ist erbliches Mitglied des preußischen Herren¬
hauses. Die königlichen Prinzen sind nicht kraft eignen Rechts Mitglieder des
Herrenhauses, sie können zwar durch besondern Willensakt der Krone in das
Haus berufen werden, aber sie sind, solange es besteht, niemals berufen worden-
Überhaupt beschränkt sich die Mitwirkung der königlichen Prinzen bei staat¬
lichen Angelegenheiten auf das Recht der Teilnahme an den Plenarsitzungen
des Staatsrath, dessen Mitglieder sie sind, sobald sie das achtzehnte Lebens¬
jahr erreicht haben.

Nicht ganz so hervorragend wie die staatsrechtliche Stellung der Mit¬
glieder des königlichen und des fürstlichen Hohenzollernhauses ist die der in
Preußen angesessenen oder residirenden Familien der Mediatisirten. Während
die Prärogative der Familie des Herrscherhauses aus der monarchischen Idee
und aus den Bestimmungen über die Thronfolge zu erklären und zu recht¬
fertigen sind, beruhen die Vorrechte der einst reichsunmittelbaren Geschlechter
ihrem letzten Grunde nach auf einem der Geschichte ungehörigen Zustande, auf
dem Andenken an die öffentlichrechtliche Stellung dieser Geschlechter im alten
Reiche. Aber dieses Andenken ist lange verblaßt, und die moderne Staats-
auffcisfung ist der Erhaltung von Vorrechten, die nur eine geschichtliche Grund¬
lage haben, nicht geneigt. Vorübergehend waren in Preußen die Standes¬
vorrechte der Mediatisirten schon einmal beseitigt (Artikel 4 der Verfassung:
"Standesvorrechte finden nicht statt"), sie wurden dann in den Reaktions¬
jahren wiederhergestellt, erlitten jedoch in neuerer Zeit, abgesehen von den
Ehrenrechten, die Wenig Widerspruch finden, wieder starke Einbußen. Die
staudesherrliche Gerichtsbarkeit und in Zivilsachen der privilegirte Gerichts-


Der hohe Adel in Preußen

Die nicht regierenden Mitglieder der souveränen Familien und alle Mit¬
glieder der vormals reichsunmittelbaren Geschlechter sind Staatsbürger, aber
kraft ihres Geburtsstandes bevorrechtete Staatsbürger. Weder die Standes¬
vorrechte der einen noch die der andern sind in den einzelnen Staaten die¬
selben. Die der souveränen Familien werden durch die Hausgesetze und zum
Teil durch die Verfassungen bestimmt, aber auch das Gewohnheitsrecht ist nicht
ganz selten eine entscheidende Rechtsquelle. Die der reichsunmittelbaren Ge¬
schlechter find nach Konstituirung des deutschen Bundes bundesrechtlich fest¬
gestellt (Artikel 14 der ' deutschen Bundesakte mit dem Hinweis auf die
bairische Verordnung vom 19. März 1807) und dadurch völkerrechtlich ver¬
bürgt. Dennoch ist der Rechtszustand der Mediatisirten in Deutschland nicht
völlig gleich, weil später einzelne Staaten mit einzelnen dieser Geschlechter be¬
sondre Verträge abgeschlossen haben, durch die ihnen die Sonderrechtssphüre
anderweit begrenzt wird.

In Preußen nehmen vor allen nicht zum königlichen Hause gehörigen
Unterthanen die Mitglieder des fürstlichen Hauses Hohenzollern die bevor¬
zugteste Stellung ein. Selbst vor den königlichen Prinzen hat der Chef dieses
Hauses ein Recht voraus: er ist erbliches Mitglied des preußischen Herren¬
hauses. Die königlichen Prinzen sind nicht kraft eignen Rechts Mitglieder des
Herrenhauses, sie können zwar durch besondern Willensakt der Krone in das
Haus berufen werden, aber sie sind, solange es besteht, niemals berufen worden-
Überhaupt beschränkt sich die Mitwirkung der königlichen Prinzen bei staat¬
lichen Angelegenheiten auf das Recht der Teilnahme an den Plenarsitzungen
des Staatsrath, dessen Mitglieder sie sind, sobald sie das achtzehnte Lebens¬
jahr erreicht haben.

Nicht ganz so hervorragend wie die staatsrechtliche Stellung der Mit¬
glieder des königlichen und des fürstlichen Hohenzollernhauses ist die der in
Preußen angesessenen oder residirenden Familien der Mediatisirten. Während
die Prärogative der Familie des Herrscherhauses aus der monarchischen Idee
und aus den Bestimmungen über die Thronfolge zu erklären und zu recht¬
fertigen sind, beruhen die Vorrechte der einst reichsunmittelbaren Geschlechter
ihrem letzten Grunde nach auf einem der Geschichte ungehörigen Zustande, auf
dem Andenken an die öffentlichrechtliche Stellung dieser Geschlechter im alten
Reiche. Aber dieses Andenken ist lange verblaßt, und die moderne Staats-
auffcisfung ist der Erhaltung von Vorrechten, die nur eine geschichtliche Grund¬
lage haben, nicht geneigt. Vorübergehend waren in Preußen die Standes¬
vorrechte der Mediatisirten schon einmal beseitigt (Artikel 4 der Verfassung:
„Standesvorrechte finden nicht statt"), sie wurden dann in den Reaktions¬
jahren wiederhergestellt, erlitten jedoch in neuerer Zeit, abgesehen von den
Ehrenrechten, die Wenig Widerspruch finden, wieder starke Einbußen. Die
staudesherrliche Gerichtsbarkeit und in Zivilsachen der privilegirte Gerichts-


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[0016] Der hohe Adel in Preußen Die nicht regierenden Mitglieder der souveränen Familien und alle Mit¬ glieder der vormals reichsunmittelbaren Geschlechter sind Staatsbürger, aber kraft ihres Geburtsstandes bevorrechtete Staatsbürger. Weder die Standes¬ vorrechte der einen noch die der andern sind in den einzelnen Staaten die¬ selben. Die der souveränen Familien werden durch die Hausgesetze und zum Teil durch die Verfassungen bestimmt, aber auch das Gewohnheitsrecht ist nicht ganz selten eine entscheidende Rechtsquelle. Die der reichsunmittelbaren Ge¬ schlechter find nach Konstituirung des deutschen Bundes bundesrechtlich fest¬ gestellt (Artikel 14 der ' deutschen Bundesakte mit dem Hinweis auf die bairische Verordnung vom 19. März 1807) und dadurch völkerrechtlich ver¬ bürgt. Dennoch ist der Rechtszustand der Mediatisirten in Deutschland nicht völlig gleich, weil später einzelne Staaten mit einzelnen dieser Geschlechter be¬ sondre Verträge abgeschlossen haben, durch die ihnen die Sonderrechtssphüre anderweit begrenzt wird. In Preußen nehmen vor allen nicht zum königlichen Hause gehörigen Unterthanen die Mitglieder des fürstlichen Hauses Hohenzollern die bevor¬ zugteste Stellung ein. Selbst vor den königlichen Prinzen hat der Chef dieses Hauses ein Recht voraus: er ist erbliches Mitglied des preußischen Herren¬ hauses. Die königlichen Prinzen sind nicht kraft eignen Rechts Mitglieder des Herrenhauses, sie können zwar durch besondern Willensakt der Krone in das Haus berufen werden, aber sie sind, solange es besteht, niemals berufen worden- Überhaupt beschränkt sich die Mitwirkung der königlichen Prinzen bei staat¬ lichen Angelegenheiten auf das Recht der Teilnahme an den Plenarsitzungen des Staatsrath, dessen Mitglieder sie sind, sobald sie das achtzehnte Lebens¬ jahr erreicht haben. Nicht ganz so hervorragend wie die staatsrechtliche Stellung der Mit¬ glieder des königlichen und des fürstlichen Hohenzollernhauses ist die der in Preußen angesessenen oder residirenden Familien der Mediatisirten. Während die Prärogative der Familie des Herrscherhauses aus der monarchischen Idee und aus den Bestimmungen über die Thronfolge zu erklären und zu recht¬ fertigen sind, beruhen die Vorrechte der einst reichsunmittelbaren Geschlechter ihrem letzten Grunde nach auf einem der Geschichte ungehörigen Zustande, auf dem Andenken an die öffentlichrechtliche Stellung dieser Geschlechter im alten Reiche. Aber dieses Andenken ist lange verblaßt, und die moderne Staats- auffcisfung ist der Erhaltung von Vorrechten, die nur eine geschichtliche Grund¬ lage haben, nicht geneigt. Vorübergehend waren in Preußen die Standes¬ vorrechte der Mediatisirten schon einmal beseitigt (Artikel 4 der Verfassung: „Standesvorrechte finden nicht statt"), sie wurden dann in den Reaktions¬ jahren wiederhergestellt, erlitten jedoch in neuerer Zeit, abgesehen von den Ehrenrechten, die Wenig Widerspruch finden, wieder starke Einbußen. Die staudesherrliche Gerichtsbarkeit und in Zivilsachen der privilegirte Gerichts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/16>, abgerufen am 24.08.2024.