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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Lin Wort an unsre Marineverwaltnng

zweiten und dritten Ranges in Europa, Amerika und Ostasien stehen wir an
Zahl und Beschaffenheit der Kreuzer weit zurück; ein jetzt ausbrechender Krieg
würde unsre gewaltige Handelsflotte fast schutzlos finden. Soweit ist es ge¬
kommen, nachdem unsre Volksvertretung in schwer erklärlicher Einsichtslosigkeit
Jahre hindurch den Ban kriegsbrauchbarer Kreuzer verweigert hat! Daß die
Sozialdemokraten nicht gesonnen sind, Kriegsschiffe zu bewilligen und dadurch
die Stellung der bestehenden Staatsordnung mittelbar zu verstärken, finden
wir ja begreiflich. Auch vom Freisinn erwarten wir in dieser Beziehung nichts.
Die Geschichte der freisinnigen Partei zeigt, das; man an den politischen Ver¬
stand ihrer Mitglieder nur ganz bescheidne Anforderungen stellen darf, besonders
wenn es sich um Maßregeln handelt, die die Festigung der äußern Macht¬
stellung Deutschlands bezwecken. Übrigens kommt es ja auf die armseligen
Trümmer dieser Partei nicht mehr an. Aber selbst die positiven Parteien, zu
denen wir natürlich auch das Zentrum rechnen, haben es in der Kreuzerfrage
an Verständnis fehlen lassen. Die Ablehnung der "Ersatz-Leipzig" in der
vorigen Session wurde dadurch herbeigeführt, daß eine Anzahl Abgeordneter
ans den frühern Kartellparteien gegen die Bewilligung stimmten, zweifellos
nationalgesinnte Männer!

Wie soll man sich nun diese Gleichgiltigkeit und geringe Urteilsfähigkeit,
die der Reichstag der Marine gegenüber an den Tag legt, erklären? Wir
glauben, unsre Marineverwaltnng trägt selber einen nicht geringen Teil der
Schuld. In der ausländischen Presse werden die Marineangelegenheiten des
eignen Landes ausführlich erörtert, namentlich werden die Neubauten eingehend
besprochen. Über Anzahl, Kaliber, Kciliberlänge, Nohrgewicht und Aufstellung
der Geschütze, vom schweren Turmgeschütz bis herunter zum kleinkalibrigen
Maschinengewehr, wird genau berichtet. Man erfährt Stärke und Verteilung
der vertikalen und der horizontalen Panzerung, das Maß des Schutzes, das
Armirnng, Kommandostände u. s. w. erhalten. Die Ergebnisse der Probe¬
fahrten werden mitgeteilt, nicht summarisch, sondern genau bis ius einzelne.
Über Stabilität, Drehfähigkeit, Kohlenfassungsvermögen des Fahrzeugs wird
der Leser ausreichend unterrichtet. Dasselbe gilt von den Ergebnissen der
Manöver, Schießübungen u. f. w. Kurz, man vermißt in diesen Mitteilungen
nichts, was zur Kenntnis des betreffenden Schiffs beitragen kann. Und das
gilt nicht bloß -- um mir von den wichtigern Mariner zu reden -- von
England und Amerika, sondern anch von Frankreich und Rußland, nirgends
werden der Presse solche Nachrichten von den Marinebehörden vorenthalten.
Aus den Fachblättern gelangen sie in die Tageszeitungen, man bespricht sie,
äußert Lob oder Tadel, Zustimmung oder Bedenken; das lesende Publikum


Ermordung eines Deutschen Genugthuung zu erzwingen. Ein besondres Kriegsschiff für diesen
Zweck in Dienst zu stellen, war offenbar nicht möglich gewesen!
Lin Wort an unsre Marineverwaltnng

zweiten und dritten Ranges in Europa, Amerika und Ostasien stehen wir an
Zahl und Beschaffenheit der Kreuzer weit zurück; ein jetzt ausbrechender Krieg
würde unsre gewaltige Handelsflotte fast schutzlos finden. Soweit ist es ge¬
kommen, nachdem unsre Volksvertretung in schwer erklärlicher Einsichtslosigkeit
Jahre hindurch den Ban kriegsbrauchbarer Kreuzer verweigert hat! Daß die
Sozialdemokraten nicht gesonnen sind, Kriegsschiffe zu bewilligen und dadurch
die Stellung der bestehenden Staatsordnung mittelbar zu verstärken, finden
wir ja begreiflich. Auch vom Freisinn erwarten wir in dieser Beziehung nichts.
Die Geschichte der freisinnigen Partei zeigt, das; man an den politischen Ver¬
stand ihrer Mitglieder nur ganz bescheidne Anforderungen stellen darf, besonders
wenn es sich um Maßregeln handelt, die die Festigung der äußern Macht¬
stellung Deutschlands bezwecken. Übrigens kommt es ja auf die armseligen
Trümmer dieser Partei nicht mehr an. Aber selbst die positiven Parteien, zu
denen wir natürlich auch das Zentrum rechnen, haben es in der Kreuzerfrage
an Verständnis fehlen lassen. Die Ablehnung der „Ersatz-Leipzig" in der
vorigen Session wurde dadurch herbeigeführt, daß eine Anzahl Abgeordneter
ans den frühern Kartellparteien gegen die Bewilligung stimmten, zweifellos
nationalgesinnte Männer!

Wie soll man sich nun diese Gleichgiltigkeit und geringe Urteilsfähigkeit,
die der Reichstag der Marine gegenüber an den Tag legt, erklären? Wir
glauben, unsre Marineverwaltnng trägt selber einen nicht geringen Teil der
Schuld. In der ausländischen Presse werden die Marineangelegenheiten des
eignen Landes ausführlich erörtert, namentlich werden die Neubauten eingehend
besprochen. Über Anzahl, Kaliber, Kciliberlänge, Nohrgewicht und Aufstellung
der Geschütze, vom schweren Turmgeschütz bis herunter zum kleinkalibrigen
Maschinengewehr, wird genau berichtet. Man erfährt Stärke und Verteilung
der vertikalen und der horizontalen Panzerung, das Maß des Schutzes, das
Armirnng, Kommandostände u. s. w. erhalten. Die Ergebnisse der Probe¬
fahrten werden mitgeteilt, nicht summarisch, sondern genau bis ius einzelne.
Über Stabilität, Drehfähigkeit, Kohlenfassungsvermögen des Fahrzeugs wird
der Leser ausreichend unterrichtet. Dasselbe gilt von den Ergebnissen der
Manöver, Schießübungen u. f. w. Kurz, man vermißt in diesen Mitteilungen
nichts, was zur Kenntnis des betreffenden Schiffs beitragen kann. Und das
gilt nicht bloß — um mir von den wichtigern Mariner zu reden — von
England und Amerika, sondern anch von Frankreich und Rußland, nirgends
werden der Presse solche Nachrichten von den Marinebehörden vorenthalten.
Aus den Fachblättern gelangen sie in die Tageszeitungen, man bespricht sie,
äußert Lob oder Tadel, Zustimmung oder Bedenken; das lesende Publikum


Ermordung eines Deutschen Genugthuung zu erzwingen. Ein besondres Kriegsschiff für diesen
Zweck in Dienst zu stellen, war offenbar nicht möglich gewesen!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/76>, abgerufen am 22.07.2024.