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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.

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Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

reichs und Rußlands gleich sei, sie soll zu diesen wie 5 zu 3 stehen, damit
sie sie in ihren Häfen blockiren könne. Angstprodukt! Gerade so wie der An¬
schlag, daß England zu seiner Kriegsflotte noch 300 Kreuzer nötig habe, um
seine Handelsflotte zu decken. Oder die andre Seifenblase, daß England, der
Staat, die im Falle eines Seekrieges unsinnig steigende Versicherung seiner
Handelsflotte selbst übernehmen und aus -- der zu erwartenden Kriegskosten¬
entschädigung den Steuerzahlern die Unkosten zurückerstatten solle. Es ist etwas
wahnwitzig Großartiges in dieser Auffassung, die übrige Welt für die Erhal¬
tung des Handels des im Überfluß erstickenden Jnselreichs in Kontribution zu
setzen; aber nichts Großartigeres als in der Dummheit und Schlaffheit, mit
der es die übrige Welt so weit hat kommen lassen.

Die Kolonien Englands können wir heute nur berühren. Sie wachsen
bekanntlich noch immer an, und eifersüchtig wird jede fremde Erwerbung be¬
trachtet. Gern betrachtet sich England als die einzige berufne Kolonialmacht.
Seine Kolonien sind großenteils in blühendem Stande. Die Kolonialkvnferenz
hat im Dezember ihren Bericht erstattet, der äußerst rosige Phrasen hat, aber nur
über deu wichtigsten Punkt, den politischen Hauptpunkt, nicht beruhigt, den
Zusammenhang der Kolonien mit dem Mutterlande. Ein festeres politisches
Band um sie zu schlingen, geht gegen ihre eignen Wünsche, wie gegen die
Rechte andrer. Die Juphrut ,?olivy, d. h. die "Weltherrschaft," kaun nicht
verwirklicht werden, weil gerade die blühendsten Kolonien auch die selbständigsten
sind. Die Verhandlungen der Kolvnialtonfereuz lassen keinen Zweifel darüber,
daß gerade diese vom Mutterlande nur Schutz verlangen, um sich ruhiger zur
Selbständigkeit entwickeln zu können. Zwischen diesem Wunsch und der Reichs¬
politik haben Englands Staatsmänner zu laviren. Der erste Minister mußte
sich neulich selbst in einem Briefe an die 'livcuzZ berichtigen, als er gesagt hatte,
die Kolonialregieruug von Neuseeland wünsche nicht Samoa zu "verwalten."
Aus diesen Zweideutigkeiten kommen englische Staatsmänner, die mit aus¬
wärtigen Angelegenheiten zu thun haben, nie heraus. Als Lord Derby 1884
die Kapregieruug vorschob, um Deutschland aus Südwestafrika fernzuhalten,
zerhieb Bismarck den Knoten durch "ubedingte Erklärung des Schutzes über
die deutsche Niederlassung in Angra Pequena. Möchten doch seine Nachfolger
den Augenblick finden, auch im Stillen Ozean das Doppelspiel des Mutter¬
landes und der Kolonie wirksam zu durchkreuzen. Auch darin einen wohl¬
bedachten, oft mit Erfolg wiederholten Zug der englischen Politik erkannt zu
haben, ist ein Vorteil der heutigen nichtenglischen Welt vor der von gestern,
und zugleich einer der vielen Nachteile, deren Empfindung England immer
schwerer bedrückt.




Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

reichs und Rußlands gleich sei, sie soll zu diesen wie 5 zu 3 stehen, damit
sie sie in ihren Häfen blockiren könne. Angstprodukt! Gerade so wie der An¬
schlag, daß England zu seiner Kriegsflotte noch 300 Kreuzer nötig habe, um
seine Handelsflotte zu decken. Oder die andre Seifenblase, daß England, der
Staat, die im Falle eines Seekrieges unsinnig steigende Versicherung seiner
Handelsflotte selbst übernehmen und aus — der zu erwartenden Kriegskosten¬
entschädigung den Steuerzahlern die Unkosten zurückerstatten solle. Es ist etwas
wahnwitzig Großartiges in dieser Auffassung, die übrige Welt für die Erhal¬
tung des Handels des im Überfluß erstickenden Jnselreichs in Kontribution zu
setzen; aber nichts Großartigeres als in der Dummheit und Schlaffheit, mit
der es die übrige Welt so weit hat kommen lassen.

Die Kolonien Englands können wir heute nur berühren. Sie wachsen
bekanntlich noch immer an, und eifersüchtig wird jede fremde Erwerbung be¬
trachtet. Gern betrachtet sich England als die einzige berufne Kolonialmacht.
Seine Kolonien sind großenteils in blühendem Stande. Die Kolonialkvnferenz
hat im Dezember ihren Bericht erstattet, der äußerst rosige Phrasen hat, aber nur
über deu wichtigsten Punkt, den politischen Hauptpunkt, nicht beruhigt, den
Zusammenhang der Kolonien mit dem Mutterlande. Ein festeres politisches
Band um sie zu schlingen, geht gegen ihre eignen Wünsche, wie gegen die
Rechte andrer. Die Juphrut ,?olivy, d. h. die „Weltherrschaft," kaun nicht
verwirklicht werden, weil gerade die blühendsten Kolonien auch die selbständigsten
sind. Die Verhandlungen der Kolvnialtonfereuz lassen keinen Zweifel darüber,
daß gerade diese vom Mutterlande nur Schutz verlangen, um sich ruhiger zur
Selbständigkeit entwickeln zu können. Zwischen diesem Wunsch und der Reichs¬
politik haben Englands Staatsmänner zu laviren. Der erste Minister mußte
sich neulich selbst in einem Briefe an die 'livcuzZ berichtigen, als er gesagt hatte,
die Kolonialregieruug von Neuseeland wünsche nicht Samoa zu „verwalten."
Aus diesen Zweideutigkeiten kommen englische Staatsmänner, die mit aus¬
wärtigen Angelegenheiten zu thun haben, nie heraus. Als Lord Derby 1884
die Kapregieruug vorschob, um Deutschland aus Südwestafrika fernzuhalten,
zerhieb Bismarck den Knoten durch »ubedingte Erklärung des Schutzes über
die deutsche Niederlassung in Angra Pequena. Möchten doch seine Nachfolger
den Augenblick finden, auch im Stillen Ozean das Doppelspiel des Mutter¬
landes und der Kolonie wirksam zu durchkreuzen. Auch darin einen wohl¬
bedachten, oft mit Erfolg wiederholten Zug der englischen Politik erkannt zu
haben, ist ein Vorteil der heutigen nichtenglischen Welt vor der von gestern,
und zugleich einer der vielen Nachteile, deren Empfindung England immer
schwerer bedrückt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219001/67>, abgerufen am 03.07.2024.